Das Szenario wäre eine Blamage für Augsburg, aber inzwischen scheint es immer weniger ausgeschlossen: Der Straßenbahntunnel unter dem Bahnhof könnte nach zwölf Jahren Bauzeit im August 2023 betriebsbereit sein, aber Trams könnten noch nicht durchfahren. Die Linie 3 müsste vorläufig weiter durch die Pferseer Unterführung rollen, weil es im Westen noch keinen Gleisanschluss für den Bahnhofstunnel gibt. Die geplante Linie 5 zur Uniklinik, die eigentlich gleichzeitig mit dem Tunnel hätte fertiggestellt werden sollen, wird ohnehin noch mehrere Jahre Vorlauf benötigen – Baubeginn nicht absehbar. Immerhin die Linien 4 und 6 würden die unterirdische Haltestelle anfahren und dann in einer Wendeschleife unter dem Bahnhof umdrehen – für das Projekt, dessen Kosten am Ende zwischen 230 und 250 Millionen Euro liegen dürften, wäre das ein überschaubarer Nutzen.
Dass es so kommt, ist Spekulation, aber klar ist: Die Zeit läuft gegen Stadt und Stadtwerke. Soll bis 2023 ein Gleis im Westen liegen, müsste spätestens ein Jahr vorher mit dem Bau begonnen worden sein. Zuvor muss die Trasse noch von der Regierung von Schwaben genehmigt worden sein, was auch ein gutes Jahr dauern dürfte. Dann ist mit einer Klage durch Anwohner zu rechnen, was für Verzögerungen sorgen könnte. Doch so weit, Unterlagen bei der Regierung von Schwaben einreichen zu können, sind die Stadtwerke momentan noch gar nicht. Die Diskussion, wie die Tram in Bahnhofsnähe trassiert werden soll, hat ein Jahr vor der Kommunalwahl an Fahrt gewonnen, obwohl alles längst entschieden schien.
Straßenbahn-Linie 5: Entscheidung für "geflügelte" Strecke
Rückblick: Im November 2016 beschloss der Stadtrat, dass die Stadtwerke sich bei ihrer Planung auf die Strecke durch die Holzbachstraße konzentrieren sollen. In direkter Bahnhofsnähe im Thelottviertel ist eine sogenannte „geflügelte Lösung“ vorgesehen, bei der die Tram stadtein- und stadtauswärts durch unterschiedliche Straßen fährt (siehe Grafik). Auch die Hörbrotstraße ist Bestandteil der Trasse, wo ein Teil der Anwohner seit Jahren massiven Widerstand übt.
In den Jahren zuvor war die Hessenbach- statt der Holzbachstraße vom Stadtrat favorisiert worden. Das Für und Wider von verschiedenen Strecken im dicht bebauten Gebiet zwischen Rosenau- und Thelottviertel war seit Jahren diskutiert worden. Immer wieder legte sich der Stadtrat auf andere Varianten fest – eine Idealstrecke gibt es nirgendwo. Die Holzbachstraße, so die Argumentation der Stadt vor zwei Jahren, mache weniger Umwelteingriffe nötig, wobei im Gegenzug eine Verlagerung des Autoverkehrs nötig ist.
Doch seit einigen Wochen ist eine Variante ins Rampenlicht gerückt, die längst abgeschrieben schien. Statt durch die Holzbachstraße würde die Tram stadtauswärts weiter durch die nördliche Rosenaustraße fahren, stadteinwärts durch die Holzbach- und Pferseer Straße. In der Vergangenheit war eine Führung durch die nördliche Rosenaustraße schnell zu den Akten gelegt worden – ein maroder Abwasserkanal unter den Gleisen müsste neu gebaut werden, so die Stadt. Und als massives Problem gilt die Kapazität der Kreuzung Rosenau-/Pferseer Straße, sollte diese von den beiden Straßenbahnlinien 3 und 5 befahren werden.
Ist der Alternativ-Vorschlag zu schnell abgelehnt worden?
Doch diese Variante abzulehnen, sei vorschnell gewesen, sagen Herbert König, früherer SPD-Stadtrat in Augsburg und bis zum Beginn seines Ruhestands vor drei Jahren Chef der Münchner Verkehrsbetriebe sowie Rainer Schnierle, ehemaliger Planer bei den Augsburger Stadtwerken. Sie haben die bisher geprüften Varianten der Stadtwerke zu einer neuen Variante verschmolzen. Positiv sei, dass so die Haltestelle Rosenaustraße erhalten werden kann. Den Abwasserkanal lassen König und Schnierle auch nicht ohne Weiteres als K.-o.-Kriterium gelten. „Der Kanal stammt aus dem Jahr 1910. Früher oder später müsste er ohnehin erneuert werden“, so König.
Und auch dass es zum Verkehrskollaps an der Kreuzung Rosenau-/Pferseer Straße kommt, halten er und Schnierle für nicht ausgemacht, wenn man die Trams aus zwei Richtungen mit moderner Signaltechnik gemeinsam in einer Grünphase über die Kreuzung bringt. „Bei unserer Variante würden weniger Parkplätze in der Holzbachstraße wegfallen und die Allee in der nördlichen Rosenaustraße könnte, weil nur noch ein Gleis dort verlegt werden soll, bleiben.“
König, der die SPD-Stadtratsfraktion bei ihrer Ablehnung der umstrittenen Tarifreform beriet, betont, als Privatperson zu handeln. Sein Vorstoß sei nicht mit der SPD abgesprochen und der Fraktion erst vor einigen Tagen fast gleichzeitig mit den Grünen präsentiert worden. Mit der CSU sei noch kein Termin zustande gekommen.
Die CSU hielt das gleichwohl nicht ab, sich mit den Überlegungen von König und Schnierle auseinanderzusetzen, und zwar kritisch.
Warum soll die Rosenau-Variante für die Linie 5 jetzt untersucht werden?
Wie berichtet stellten die Christsozialen vor einigen Wochen den zunächst rätselhaft wirkenden Antrag an die Stadt, die Rosenau-Variante zu untersuchen. König wurde darin nicht namentlich genannt, dafür geht aus dem Antrag recht deutlich hervor, dass man sich von der Stadtverwaltung und den Stadtwerken Argumente gegen die Trasse erwartet.
Der Vorschlag sei „weder neu noch unproblematisch“, sagt CSU-Fraktionschef Bernd Kränzle. Die nördliche Rosenaustraße sei schon im Zuge der Bürgerbeteiligung genau angeschaut und verworfen worden. Stadtrat Leo Dietz sieht bei der von König entwickelten Variante den Verkehrskollaps an der Kreuzung Pferseer Straße/Rosenaustraße programmiert. In der Tat hatte auch die Regierung von Schwaben, als sie den Bahnhofstunnel genehmigte, darauf hingewiesen, dass die Leistungsfähigkeit der Kreuzung dauerhaft ein Problem ist. In jedem Fall schüre die neue Variante die unrealistische Hoffnung bei Bewohnern des Thelottviertels, dass die Tram woanders verlaufen könnte, so die CSU. Eine detaillierte Überprüfung solle für Transparenz auch bei der Bürgerschaft sorgen, so die CSU.
Wie geht es nun weiter mit der neuen Straßenbahn-Linie?
Wie es nun weitergeht, ist unklar. Auch die Regierung von Schwaben will offenbar, dass der König-/Schnierle-Vorschlag genau untersucht wird. Sie muss am Schluss alle Vorschläge gegeneinander abwägen. Stadt und Stadtwerke werden mehrere Monate brauchen, um Planskizzen zur neuen Variante zu erstellen und Detailuntersuchungen zu liefern. Nötig dürfte auch ein externes Verkehrsgutachten sein.
Offenbar fürchtet man in der CSU, dass die SPD-Fraktion noch auf den Zug aufspringen könnte. Sollte die Trassendiskussion die Verwaltungssphäre verlassen und wieder auf die politische Tagesordnung wandern, würde das Verzögerungen mit sich bringen. König, der die neue Diskussion losgetreten hat, fürchtet ebenfalls Verzögerungen, aber aus anderer Richtung. Bei der städtischen Variante durchs Thelottviertel sei eine Klage von Anwohnern absehbar. Diese könnte das Projekt ebenfalls lähmen, so König. Den Gleisanschluss durch die südliche Rosenaustraße bis zur Pferseer Straße zu legen, um zumindest die Linie 3 bis 2023 an den Tunnel anzubinden, sei schnell möglich. Für diesen Abschnitt gibt es prinzipiell eine Baugenehmigung, wobei die Verkehrsprobleme an der Kreuzung ungelöst sind.
Die Linie 5
Mit der Inbetriebnahme des Bahnhofstunnels soll die Linie 3 nicht mehr durch die Pferseer Unterführung fahren, sondern gemeinsam mit der geplanten Linie 5 vom Bahnhofstunnel wegfahren, bevor sich die Wege trennen.
Die geplante Linie 5 soll über die Bgm.-Ackermann-Straße als Verlängerung der bestehenden Linie 6 vom Hauptbahnhof zur Uniklinik fahren. Acht Haltestellen sind eingeplant, die Fahrzeit würde bei etwa 17 Minuten liegen. Auf der Bgm.-Ackermann-Straße soll die Tram in der Mitte fahren. Die vier Autospuren blieben erhalten (skro)
Die Stadtwerke selbst wollen sich zur Variantendiskussion nicht groß äußern. Man prüfe alle Trassenvorschläge, Vorzugsvariante sei gemäß des Stadtratsbeschlusses nach wie vor die Strecke über Hörbrot- und Holzbachstraße. Dass die Linie 3 ab 2023 durch den Bahnhofstunnel fahren kann, hoffe man weiterhin. „Durch die möglichst zügige Umsetzung der jeweiligen Prüf- und Planungsaufträge unsererseits haben wir auch alles dafür getan. Letztendlich hängt das aber auch von der Dauer des Planfeststellungsverfahrens sowie möglicher rechtlicher Widersprüche im Anschluss ab“, sagt Stadtwerkesprecher Jürgen Fergg.
Gegenüber dem Stadtrat hatten die Stadtwerke in einer Stellungnahme vergangenes Jahr deutlich gemacht, dass die Zeit drängt. Selbst der schon genehmigte Bau von zwei Gleisen durch die Rosenaustraße zwischen Tunnel und Pferseer Straße bis 2023 sei aufgrund der bisherigen Verzögerungen „höchst gefährdet“. Auch eine mögliche Klage könne „zu nicht absehbaren Verzögerungen“ führen.