Sie dürfen erst mal bleiben. Die Nachricht erreicht die Aktivisten im Augsburger Klima-Camp am Freitagvormittag. Die Stadt hatte die jungen Leute, die seit Anfang Juli neben dem Rathaus campieren, loswerden wollen. Die Ordnungsbehörde war zum Schluss gekommen, dass es sich bei dem Protestcamp nicht mehr um eine vom Grundgesetz geschützte öffentliche Versammlung handelt. Deshalb wurde auch eine Räumung des Camps angedroht. Nun aber hat das Verwaltungsgericht in einer Eilentscheidung festgestellt: Das Camp ist zulässig und kann vorerst bleiben. In den Tagen zuvor ist die Stimmung auf dem Fischmarkt auch von Unsicherheit geprägt.
Wie lange das Klimacamp in Augsburg bestehen bleibt, ist offen
Eine Frage ist dabei: Wie soll man reagieren, wenn die Polizei anrückt? „Wie ist denn die allgemeine Stimmung?“, fragt Milan Zerbin am Donnerstagmorgen in die Versammlung – unter freiem Himmel und unter dem kritischen Blick einiger Rathausmitarbeiter, die Raucherpause machen. Die Teilnehmer besprechen sich zweimal täglich, abends und morgens. Auf dem Pflaster sitzend klären sie die großen und kleinen Fragen des Camp-Lebens. Wer das Geschirr aufräumt, welche Aktionen anstehen, wie man weiter vorgeht.
Bei der „Stimmungsfrage“ ist die Runde gespalten. Gehen oder bleiben, ist die Frage. Wie lange hält man durch, wenn es keine Räumung gibt? Während die einen glauben, dass das Camp in den nächsten Wochen noch eine größere Wirkung in Politik und Medien auslösen könnte, plädieren andere für ein selbst gewähltes Ende in naher Zukunft.
Auch Franz Hiemen von der Elterninitiative „Parents for Future“ ist dieser Ansicht. Grundsätzlich findet der 63-Jährige die Aktion „super“. Er fordert aber: „Die Kommunikation mit der Stadt muss weiter positiv bleiben.“ Er sieht die Gefahr, dass sich bei einer zu starken Polarisierung die neue Stadtregierung vom Klimaschutz entferne. Nach der Sitzung im Plenum unterhält sich Hiemen noch mit den Schülern und Studenten vor Ort, dann verlässt er das Camp wieder in Richtung Arbeit. „Ich bin gerade in meiner Mittagspause hier“, erklärt er.
Manches im Augsburger Klimacamp ist straff organisiert
Im Camp herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, nicht nur wegen der vielen Rathausangestellten, die durchs Camp eilen, um den Seiteneingang zum Gebäude zu nutzen. Über den Tag hinweg schwankt die Teilnehmerzahl. In der Nacht zum Donnerstag etwa waren nur sieben Menschen vor Ort, berichtet Paula Stoffels. Das sei aber eine der schlecht besuchtesten Nächte gewesen. „Alle haben mal eine Nacht zuhause gebraucht.“ Aktivist Ingo Blechschmidt ergänzt, dass viele Schüler im derzeitigen Corona-Rhythmus alle zwei Wochen in die Schule müssten und deshalb erst mittags zur Protestaktion kämen. Andere verlassen das Lager, um zur Arbeit oder ins Training zu gehen.
Der stetige Wechsel an Menschen passt zum Charakter des Camps. Auf den ersten Blick wirkt alles ein wenig provisorisch. Zwischen den Spruchbändern am Eingang und den Isomatten am Rathaus lehnt eine Palette mit drei Müllbeuteln an der Wand. Die Planen auf den Sofas wurden kurzerhand mit Hanteln beschwert.
Doch der provisorische Eindruck erzählt nur die halbe Geschichte, denn manches im Camp läuft sehr routiniert ab, etwa die Essensversorgung. Die Aktivisten versorgen sich mit Lebensmitteln, die sie gespendet bekommen oder vor dem Wegwerfen retten. Wer einen Joghurt oder eine Tafel Schokolade will, muss nur zum kleinen braunen Pavillon mit der Antifa- und „Stoppt Braunkohle“-Fahne gehen.
Das Klimacamp-Leben am Rathaus entspannt
Um das warme Essen im Lager kümmert sich Milan Zerbin. An den meisten Tagen zieht der 21-jährige Student gegen 16 Uhr mit ein paar Freiwilligen los und kocht in der Küche des Kulturcafés Neruda oder im autonomen Zentrum „Ganze Bäckerei“ das Abendessen. „Ich habe schon häufiger Essen für Ehrenamtliche gekocht, zum Beispiel beim Frauenstreik“, erzählt Zerbin.
Stolz zählt er auf, was es schon alles im Klima-Camp gab: „Gestern haben wir Kartoffelwedges mit Sour Cream gemacht, es gab aber auch schon Risotto oder vegane Maultaschen.“ Zerbin verbringt täglich sechs bis acht Stunden bei der Protestaktion. Für sein Studium sei das kein Problem. „Ich habe von hier teilweise schon Online-Vorlesungen gehört. Das geht“, sagt Zerbin.
Das Leben im Camp entspannt. Niemand gibt lautstark Anweisungen. In Eigenregie bereiten einzelne Aktivisten die Aktionen der nächsten Tage vor, etwa indem sie Holzkästen für Pflanzen bauen oder ihre Moderation für eine anstehende Podiumsdiskussion durchsprechen. Sie stimmen Sprechchöre an und halten Reden zum Thema. Andere versuchen ihr Glück im Kontakt mit Passanten. Diese Aktionen sind es, die nach Ansicht des Verwaltungsgerichts dafür sorgen, dass das Camp eine öffentliche Versammlung ist. Das Camp ziele darauf ab, die Öffentlichkeit auf die aus Sicht der Veranstalter bestehende klimapolitische Situation aufmerksam zu machen, teilt das Verwaltungsgericht am Freitag mit.
Das Klima-Camp, so heißt es weiter, stelle nach seinem „Gesamtgepräge“ eine Versammlung im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes dar. „Wir haben superviel Zustimmung bekommen“, erzählt Paula Stoffels, nachdem sie in der Innenstadt Flyer verteilt hat. Einzelne Menschen bekunden auch im Vorbeigehen ihre Unterstützung. „Gutes Durchhalten“, wünscht eine Passantin. Manche schimpfen aber auch oder schütteln nur den Kopf.
Klimaaktivisten in Augsburg sehen sich durch Gerichtsentscheid bestätigt
Den Gerichtsentscheid will die Stadt nun akzeptieren. Ordnungsreferent Frank Pintsch (CSU) sagt: „Die Stadt Augsburg respektiert selbstverständlich die Entscheidung des Gerichts.“ Die Klärung durch das Gericht sei aus Sicht der Stadt dringend erforderlich gewesen, da bereits von verschiedenen Seiten gefragt worden sei, ob diese Art von Versammlung rechtens ist. Ob eine vom Gericht angesprochene Verlegung des Orts beziehungsweise ergänzende Auflagen erfolgen, müsse nun gewissenhaft geprüft werden.
Die Klimaaktivisten fühlen sich jedenfalls durch das Verwaltungsgericht in ihrem Tun bestätigt. Zusammen mit einem Vertreter von „Scientists for Future“ (Wissenschaftler für die Zukunft) aus Aachen, Peter Klafka, haben sie ausrechnen lassen, ob die Klimaziele der aktuellen Rathaus-Koalition mit der Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens konform gehen. Ergebnis: Würde man so weitermachen wie bisher geplant, würde die Stadt drei Mal so viel CO2 emittieren, wie der Kommune für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels erlaubt ist.
Die Aktivisten haben Ideen entwickelt, wie die Stadt effektiver CO2 einsparen könnte. Und sie wollen weiter auf die Klimakrise aufmerksam machen, etwa mit einem Demozug am Samstagabend. Auch wollen sich die Campbewohner bundesweit mit Aktivisten vernetzen; es soll nicht die letzte Aktion dieser Art in Deutschland sein.
An der Motivation zum Durchhalten scheitert es bei einigen der Schüler nicht. Angesprochen auf einen Zeitpunkt zum Ende der Aktion meint etwa Janika Pondorf: „Wenn es irgendwann kälter wird, schaff ich mir halt wärmere Klamotten an.“ Sogar an das Schlafen im Camp habe sie sich mittlerweile gewöhnt. „Ich schlaf’ hier besser als Zuhause“, sagt sie.
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