Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Augsburg: Rechts der Wertach: Schönes Viertel mit schlechtem Ruf

Augsburg

Rechts der Wertach: Schönes Viertel mit schlechtem Ruf

    • |
    Netter Plausch unter Nachbarn: Annerose Weinmeyer mit Smart Okwuokei.
    Netter Plausch unter Nachbarn: Annerose Weinmeyer mit Smart Okwuokei. Foto: Anne Wall

    Ein guter Ruf ist was anderes. „Rechts der Wertach?“, meint unser Polizeireporter. „Da spielt sich gefühlt jede zweite Meldung über Autoaufbrüche ab.“ Die Kriminalitätsstatistik sagt in der Tat nichts Gutes, der Sozialindex auch nicht. Und in der aktuellen Debatte über das geplante Asylbewerberheim in der Ottostraße argumentieren viele Nachbarn mit der ohnehin hohen Belastung des Stadtteils zwischen MAN-Industrieflächen und Fluss.

    Vor Ort sieht es, wie so oft, ein bisschen anders aus. Da kommt der 77-jährige Hermann Beck am gestrigen Freitag vom Mittagessen bei seiner Tochter um die Ecke zurück. „Probleme?“ Nein. Probleme habe er hier noch nie gehabt. Nicht in den 53 Jahren, die er in der Ottostraße wohnt. Er radelt viel, kennt viele, der Schrebergarten ist um die Ecke. Alles bestens. Bis jetzt.

    Becks leben in einem Haus der „Allgemeinen Baugenossenschaft für Augsburg und Umgebung“, das in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hinter dem MAN-Gelände errichtet wurde. Schöne Gebäude sind es, sorgfältig in Schuss gehalten, mit Erkern, abwechslungsreicher Bauweise, großen Hinterhöfen, ganz anders als viele „Mietskasernen“ der damaligen Zeit, von der heutigen ganz zu schweigen. Das Ensemble steht unter Denkmalschutz. 500 Wohnungen hat die 1908 gegründete Baugenossenschaft im Stadtteil. Im Interesse ihrer Mieter klagt sie gegen die Genehmigung der Massenunterkunft für Flüchtlinge.

    Zusammengepfercht im Gewerbebau

    Viele Bewohner leben seit Jahrzehnten hier, die Nachbarschaft ist gut. Wenn die Asylbewerber kommen, wird es anders werden, befürchten viele. Denn wo sollen sie schon hin, die 160 Menschen, die in dem ehemaligen Gewerbebau zusammengepfercht werden, der nur einen schmalen Hinterhof hat? In die schönen grünen Höfe der Baugenossenschaft, glaubt so mancher. Kann man dann noch die Wäsche hängen lassen? Nachts, wenn es laut wird, bei offenem Fenster schlafen?

    Kürzlich gab es einen Informationsabend der Stadt Augsburg und der Regierung von Schwaben. Drei Stunden hat er gedauert, der Ton war, gelinde gesagt, gereizt. „Meine Nachbarin musste danach ein paar Tage ins Krankenhaus, weil sie sich so aufgeregt hat“, erzählt eine Frau.

    Eine andere überlegt sich, wegzuziehen. „Es wird laut“, ist sich ein Mann sicher. Er heißt Smart Okwuokei, stammt aus Nigeria. Seit zehn Jahren lebt er in Augsburg, im Viertel Rechts der Wertach schätzt er vor allem die Ruhe.

    Bei seinen Nachbarn ist er beliebt, überhaupt scheint das Zusammenleben der Nationen gut zu klappen. In einigen Häusern wohnen Familien, die einst als Flüchtlinge nach Deutschland kamen, aus Afrika oder aus Jugoslawien. Auch viele Türken und Italiener haben sich in dem Stadtteil angesiedelt, dem Sozialplaner trotz seines schlechten Rufs Potenzial bescheinigen.

    Denn er bringt viel von dem mit, was moderne Menschen an Urbanität schätzen: Zentrumsnähe, Straßenbahnanbindung, Einkaufsmöglichkeiten, schöne alte Gebäude, das Grün der Wertach. Es gibt Kleingärten und einen Jugendtreff. Im Norden liegen die Genossenschaftsbauten, südlich säumen frühere Arbeiterhäuser die rasterförmig angelegten Straßen. Manche sind zwar heruntergekommen, andere aber hübsch hergerichtet. Die Mieten sind günstig. Der Stadtteil könnte einen ähnlichen Aufschwung erleben wie vor einigen Jahren das Bismarck- oder Antonsviertel. Normal funktioniert das, indem anfangs sogenannte „Pioniere“ hinziehen, Studenten oder Künstler zum Beispiel. Dann kommen andere nach, schließlich entdecken Investoren die Gegend für sich.

    Noch tun sich Vermieter allerdings schwer, eine ordentliche Mieterschaft zu bekommen. In so manchen Häusern gebe es Wohnungsbordelle, erzählen die Leute. Und die Wertachstraße vorne habe schon sehr nachgelassen, sagt Smart Okwuokeis Nachbarin Annerose Weinmeyer. An der Wertachstraße reiht sich Handy-Laden an Video-Shop, dazwischen der dominante Bau der Arbeitsagentur, vor dem sich abends angeblich immer mehr seltsame Gestalten treffen. Es gibt Imbisse mit Essen aus aller Herren Länder. Murat Coskuns Kebap-Haus ist einer davon.

    Seit vier Jahren betreibt er das Lokal, seit zwei Jahren wohnt er mit seiner Familie in einer Wohnung darüber. „Natürlich ist das Viertel gemischt“, sagt er. Aber Kriminalität? „Ich parke meinen Wagen immer auf der Straße. Da war noch nie etwas.“ Früher hatte er einen Imbiss in Schwabmünchen, wo er aufgewachsen ist. Da war aber nicht genug los. Rechts der Wertach gefällt es ihm. Ein Polizeireporter hat eben auch nicht immer recht.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden