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Augsburg: Obdachlose müssen in Augsburg bei Minusgraden im Freien schlafen

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Obdachlose müssen in Augsburg bei Minusgraden im Freien schlafen

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    Trotz Minusgraden müssen Menschen in Augsburg im Freien übernachten.
    Trotz Minusgraden müssen Menschen in Augsburg im Freien übernachten. Foto: Peter Fastl

    Das Netz für Obdachlose ist in Augsburg gut. Es gibt Wohnheime, Notschlafstellen sowie städtische Wohnungen, die Menschen ohne eigenes Zuhause offen stehen. Und trotzdem schlafen gerade rund 60 Menschen unter Brücken, auf Wärmeschächten oder in Hauseingängen. Zum Teil, weil sie es so wollen. Zum Teil aber auch, weil sie als Drogenabhängige durchs Raster fallen. Oder, weil sie offenbar den falschen Pass haben und die Stadt sie buchstäblich in der Kälte stehen lässt.

    Seit über drei Wochen rollt eine junge Frau jeden Abend ihren Schlafsack auf dem Wärmeschacht vor einem Wohnhaus in der Innenstadt aus und verbringt hier die Nacht. Die Bewohner der Wohnanlage versorgen die Frau mit Decken, warmen Getränken und stecken ihr auch immer mal wieder etwas Geld zu. Doch guten Gewissens mit ansehen können sie den Zustand der Obdachlosen nicht.

    Einige Obdachlose in Augsburg lehnen Hilfe ab

    "Ich kann doch nicht abends in meinem warmen Bett liegen und schlafen, während die Frau da draußen in der Kälte liegt", sagt Tom Gratza, einer der Hausbewohner. Gemeinsam mit Hausmeister Josef Berchtold versucht er, einen Platz für die Frau zu finden - bislang vergebens. Was in diesem Fall allerdings wohl auch an ihrer "Schutzbefohlenen" liegt.

    "Ne, ich mag die Mädchen im Übergangswohnheim nicht - die sind alle komisch", sagt die Obdachlose. Auch alle anderen Angebote des Katholischen Verbandes für soziale Dienste (SKM), bei dem sich die Bewohner für die Frau eingesetzt haben, hat sie wohl bislang abgelehnt, sagt Josef Berchtold. "Wir können tun, was wir wollen, am nächsten Abend liegt sie wieder da", so der Hausmeister. Die Frau möchte draußen bleiben - weil sie an der frischen Luft besser mit ihren Gedanken zurecht kommt, wie sie sagt. Damit sie nach 21 Uhr nicht von Polizei oder Ordnungsamt aufgegriffen wird, hat sie vom SKM eine Bescheinigung, die sie als Obdachlose ausweist.

    Infos über Obdachlosenheime in Augsburg

    Niemand weiß genau, wie viele Obdachlose es tatsächlich in Augsburg gibt. Klar ist allerdings, dass Anfang 2019 knapp 300 Menschen in städtischen Einrichtungen untergebracht waren. Im Jahr davor lag die Zahl noch bei 223.

    Seit August 2018 gibt es ein neues Übergangswohnheim extra nur für Frauen in der Stadtberger Straße in Pfersee. Hier können 30 Frauen einen Platz finden. Mieter ist die Stadt, Träger ist der Sozialdienst katholischer Frauen, der sich mit Pädagoginnen vor Ort um die Klientinnen kümmert.

    Auch bei anderen Übergangswohnheimen arbeitet die Stadt mit freien Trägern zusammen. In der Johannes-Rösle-Straße ist Platz für rund 85 Männer. Hier ist der SKM (Katholischer Verband für soziale Dienste) der Partner der Stadt.

    Auch für Familien bietet die Stadt Übergangswohnungen, wie etwa in der Höfatsstraße oder im Drosselweg. Rund 53 Familien mit insgesamt 188 Personen sind dort derzeit untergebracht. Die Stadt kooperiert mit Fachdiensten, wie mit der Caritas, um Betroffenen wieder auf die Füße zu helfen. (AZ)

    Die Zahlen, wie viele Obdachlose es in Augsburg gibt, schwanken je nach Quelle. Laut Sozialreferent Martin Schenkelberg hat die Stadt derzeit 279 Wohnsitzlose in ihren Einrichtungen untergebracht. 2018 waren es 266 Menschen, 2019 dann 247. "Corona wirkt sich nicht signifikant auf unsere Belegungszahlen aus", so Schenkelberg auf Anfrage. In den letzten Jahren habe die Zahl zwischen 250 und 300 geschwankt. Die Stadt verfügt über 96 Schlafplätze für obdachlose Männer, 30 Schlafplätze für obdachlose Frauen sowie 59 Wohnungen für obdachlose Familien.

    Rund 1000 Menschen in Augsburg ohne eigene Wohnung

    Laut dem Leiter des SKM-Übergangswohnheims und langjährigen Szenekenner, Knut Bliesener, sind in Augsburg derzeit rund 1000 Menschen ohne eigene Wohnung. Dabei gebe es regelmäßig eine gewisse Fluktuation, weil Menschen aus der Haft entlassen werden, in eine andere Stadt weiterziehen oder aus einer anderen Stadt nach Augsburg kommen. Die meisten davon brächte man auch in der aktuellen Corona-Lage unter. Zwar musste im Übergangswohnheim ein ganzes Stockwerk für Corona-Fälle abgetrennt werden - doch die fehlenden Betten könne man durch zusätzliche Wohnungen der Stadt auffangen, so Bliesener. Corona-Verdachtsfälle würden derzeit in Wohncontainern isoliert, um die Wohnheime zu entlasten.

    Weil die Wärmestube der SKM geschlossen ist, werden Obdachlose derzeit im Zelt bewirtet. Schwester Stephanie hilft bei der Essensausgabe.
    Weil die Wärmestube der SKM geschlossen ist, werden Obdachlose derzeit im Zelt bewirtet. Schwester Stephanie hilft bei der Essensausgabe. Foto: Silvio Wyszengrad (Archivbild)

    Trotzdem sind es laut Sozialpädagoge Bliesener 50 bis 60 Obdachlose, für welche die Stadt keine Lösung hat und die größtenteils unfreiwillig auch jetzt im Winter im Freien nächtigen. Die städtischen Wohnheime sind nach seinen Worten nur für Augsburger geöffnet - wer beispielsweise aus dem EU-Ausland kommt, hat keinen Anspruch auf einen Schlafplatz. Vor allem Rumänen und Bulgaren campieren gerade im Freien und unter Brücken, weiß Bliesener. "Für obdachlose EU-Ausländer ist die Stadt nicht zuständig und wir dürfen sie nicht aufnehmen - so sind die Vorschriften der Stadt", erklärt der Heimleiter. Man habe auch nicht die Kapazitäten, alle diese Menschen unter zu bringen. "Für uns ist diese Situation nicht einfach - aber wir müssen uns daran halten", sagt er.

    Kälteschutz als Rettungsanker

    Als "Rettungsanker" bezeichnet er den Kälteschutz. "Wer bei Minustemperaturen vor der Türe steht, wird aufgenommen - egal wo er herkommt." Doch das gelte eben nur für eine Nacht. "Danach muss eine andere Lösung für die Menschen gefunden werden", so Knut Bliesener.

    Die Stadt stellt die Situation anders da. Man sei auch für die Aufnahme von EU-Bürgern zuständig, so Sozialreferent Schenkelberg. 38 der untergebrachten Personen stammten aus einem Mitgliedsstaat der EU, 55 aus dem Nicht-EU-Ausland. Allerdings gebe es die generelle Ausnahme, dass Menschen, die zur Selbsthilfe fähig sind, nicht aufgenommen würden. Dazu zähle neben der eigenen finanziellen Situation auch die eigene Familie, die Menschen aufnehmen könne oder eine eigene Wohnung, beispielsweise in einer anderen Stadt. Und auch in diesen Fällen würden Obdachlose bei extremer Kälte aufgenommen.

    Zu wenig Schlafplätze für obdachlose Süchtige

    Ebenfalls durch alle Raster fallen offenbar auch süchtige Obdachlose, wie Katrin Wimmer, die Leiterin des Streetwork-Kontaktladens "BeTreff" am Oberhauser Bahnhof berichtet. "Wir weisen jeden Tag Leute in der Notschlafstelle ab, weil durch Corona die Kapazitäten stark eingeschränkt sind", sagt sie. Um den Hygieneregeln genügen zu können, wurden die Schlafplätze für Süchtige dort von 16 auf 9 reduziert. Die Süchtigen müssen sich jeden Morgen neu um einen Schlafplatz dort kümmern. "Wir öffnen um 9 Uhr - zehn Minuten später sind alle Plätze weg, und verbliebene Süchtigen geraten in Panik, wo sie die Nacht unterkommen sollen."

    Die Plätze im Freien, findet Wimmer auch aus Corona-Sicht extrem problematisch. "Da ist nichts mit Abstand - schon damit die Menschen nicht erfrieren, legen sie ihre Matratzen unter der Brücke aneinander und kuscheln sich eng zusammen", weiß die Streetworkerin.

    Lesen Sie dazu den Kommentar: Niemand verdient einen Platz unter der Brücke

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