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Augsburg: Neue Wohnformen in Augsburg: Die Wogenau plant ein "soziales Experiment"

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Neue Wohnformen in Augsburg: Die Wogenau plant ein "soziales Experiment"

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    Julia und Uli Schäfer (von links) mit den Zwillingen Mattis und Ada sind die 100. Mitglieder der Wogenau Baugenossenschaft.
    Julia und Uli Schäfer (von links) mit den Zwillingen Mattis und Ada sind die 100. Mitglieder der Wogenau Baugenossenschaft. Foto: Fridtjof Atterdal

    Das Land der Hoffnung für die 100 Mitglieder der Wohnungsgenossenschaft Wogenau sieht unspektakulär aus: Es ist eines von vier freien Baufeldern im Neubaugebiet Sheridan-Park, umgeben von Reihenhäusern, einem geplanten Bürokomplex und geförderten Wohnungen der WBG. Hier planen sie ein "soziales Experiment", sagt Vorstandsmitglied Hilde Strobl. Hier ist ein Mehrparteienhaus geplant, in dem die Bewohner Bauherren, Teilhaber und Vermieter an sich selber sind.

    Wohnraum ist in Augsburg enorm gefragt. Doch wer kann sich Eigentum bei den steigenden Preisen leisten?
    Wohnraum ist in Augsburg enorm gefragt. Doch wer kann sich Eigentum bei den steigenden Preisen leisten? Foto: Bernd Hohlen (Archivfoto)

    Das Prinzip der Genossenschaft hat in Augsburg große Tradition. 8000 Wohnungen gibt es insgesamt, die von Genossenschaften verwaltet werden. Wer dort wohnen will, zahlt eine einmalige Einlage an die Genossenschaft und eine Nutzungsgebühr, die in der Regel deutlich unter den üblichen Mieten für eine vergleichbare Wohnung liegt.

    Wohnbaugenossenschaft in Augsburg: Erste Neugründung seit 75 Jahren

    Die Wogenau ist die erste Neugründung seit 75 Jahren in Augsburg und die elfte Genossenschaft. Man sehe sich in der Tradition der alten Genossenschaften, wolle aber neue Impulse setzen, sagt Susi Weber aus dem Vorstand. "Wir wollen Angebote fürs Quartier machen, etwa Räume, die auch von Nicht-Bewohnern genutzt werden können." Wenn man für die Bewohner Gemeinschaftsräume einplane, sagt Weber, in denen man etwa einen Esstisch für zehn Personen für Familienfeiern unterbringt oder eine gemeinschaftliche Waschmaschine aufstellt, eröffne das die Möglichkeit, Wohnungen zu verkleinern.

    Es gehe ein Stück weit darum, den Gemeinschaftsgedanken zu leben. Vor Kurzem wurde das 100. Mitglied aufgenommen. Corona gab der Genossenschaft einen Schub. "Die Leute waren zurückgeworfen auf ihren eigenen Lebensraum. Da ist manchem bewusst geworden, dass es ihm da, wo er jetzt wohnt, gar nicht gefällt. Oder dass eine gute Nachbarschaft sehr viel wert ist", sagt Strobl.

    Wogenau will Zuschlag für Wohnen am Sheridan in Augsburg

    Die Wogenau hofft, bei der Konzeptvergabe der Stadt für die Sheridan-Grundstücke, die jetzt angelaufen ist, zum Zuge zu kommen. Dabei verkauft die Stadt nicht an den Höchstbietenden, sondern nach dem Verkehrswert der Grundstücke an denjenigen, der ein überzeugendes Konzept hat. Man sei, so Strobl, nicht aufs Sheridan-Areal fixiert, aber es sei die nächste Möglichkeit, an ein Grundstück zu kommen. Gewünscht hätten sich die Genossenschaftler, dass die Stadt die Areale in Erbpacht vergibt, was die anfängliche finanzielle Belastung gesenkt hätte. Denn so günstig, wie die Wogenau anfangs kalkuliert hatte, wird es für die Bewohner nicht werden. Pro Quadratmeter Wohnfläche werden 1200 Euro an Einlage in die Genossenschaft fällig (beim Ausscheiden gibt es das Geld aber zurück), hinzu kommen um die 9,30 Euro Benutzungsgebühr pro Quadratmeter und Monat. Das ist mehr als die traditionellen Genossenschaften verlangen, liegt aber auch unter den Mieten für eine Neubauwohnung. Es handle sich um Richtwerte, betont Strobl, die noch schwanken können.

    40 Parteien sind gerade aktiv an der Planung für das Sheridan-Projekt beteiligt, berichtet Wogenau-Mitglied Thomas Jung. Der 64-Jährige und seine Ehefrau wollen aus Aichach wieder in die Großstadt ziehen - und finden die Idee hinter Wogenau faszinierend, wie er berichtet. "Bei uns steht nach der Familienphase der Übergang vom Berufsleben in den Ruhestand an - und wir wollen unser neues Zuhause gerne bewusst mitgestalten, solange wir das noch können" sagt Jung. "Wir haben gerne auf dem Land gewohnt, aber im Alter legen wir Wert auf Kultur, Musik und auch die gute medizinische Versorgung, die nur eine größere Stadt bieten kann." Von der neuen Genossenschaft hat er in der Zeitung gelesen und glaubt, dass das ein Modell für die Zukunft sein kann. "Eigentum kann man sich heute eigentlich nur noch gemeinsam leisten", sagt er. Seit einem Jahr ist das Ehepaar in der Genossenschaft engagiert. "Jeder bringt seine Interessen ein und kann das Projekt so voranbringen", lobt Jung.

    Wogenau will in Augsburg keine anonyme Nachbarschaft

    Von Anfang an bei Wogenau dabei ist Lorenz Semmler. "Ich bin schon lange an gemeinschaftlichen Wohnformen interessiert", berichtet der Familienvater. "Wir haben etwas gesucht, das mehr ist als eine anonyme Nachbarschaft - wir haben uns auch Kommunen angeschaut, aber das ist uns zu ideologisch", ergänzt er. Weil an dem Projekt viele junge Familien beteiligt sind, hofft Semmler auf positive Anregungen für die Erziehung. "Man kann sich die guten und die anstrengenden Dinge teilen", glaubt er. "Die Menschen die sich bei Wogenau engagieren, haben Interesse an der Gemeinschaft - das finde ich sehr attraktiv", sagt der Pädagoge.

    Zu den jüngsten Mitgliedern der Genossenschaft gehören Julia und Uli Schäfer. Das Ehepaar ist auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum aus München nach Augsburg gezogen. Nach der Geburt ihrer Zwillinge Mattis und Ada wollen sich die beiden Frauen jetzt ein neues Zuhause schaffen. "Uns ist es wichtig, in der Stadt bleiben zu können und nicht irgendwo am Rand zu bauen", sagt Julia Schäfer. Bei der Suche nach Baugruppen seien sie zuerst auf das Sheridan-Projekt und dann auf die Wogenau gestoßen. "Selbst zu bauen ist eine teure Angelegenheit und man bindet sich damit auf lange Zeit", sagt sie. In der Genossenschaft bleibe man flexibel und könne beispielsweise im Alter auch in eine kleinere Wohnung ziehen. "Vielleicht brauchen wir ja auch mal eine Wohnung für unsere Kinder", ergänzt Uli Schäfer. Oder die Lebenspläne änderten sich noch einmal - dann sei die Genossenschaft die flexiblere Lösung.

    Auch dass gerade diskutiert wird, wie man sozial schwächeren Familien die Teilnahme an dem Bauprojekt ermöglichen könne, finden die beiden Frauen gut. Im Gespräch ist, ob finanziell gut gestellte Mitglieder eine höhere Einlage leisten, um beispielsweise Familien die finanzielle Last zu erleichtern. "Auch unter sozialpolitischen Gesichtspunkten ist das ein tolles Projekt", findet Julia Schäfer.

    Neue Wohnungen in Augsburg sind nicht so günstig wie erhofft

    Dass das Projekt gerade für Familien immer noch einen finanziellen Kraftakt bedeutet, weiß auch Hilde Strobl. Generell, sagt sie, wäre mehr Unterstützung durch die öffentliche Hand nötig. "Wenn man unabhängig vom sozialen Wohnungsbau günstige Wohnungen schaffen will, sind Genossenschaften ein gutes Modell, aber dafür muss man Zuschüsse geben", so Strobl. Als das Gros der Genossenschaften vor 100 Jahren in Zeiten von Wohnungsnot gegründet wurde, seien sie von der öffentlichen Hand mit Grundstücken unterstützt worden, so Strobl, die sich als Kunsthistorikerin schwerpunktmäßig mit Architektur beschäftigt.

    Ein Stück weit sehe man die Genossenschaft als Gegenpol zur Bauträgerarchitektur, sagt Strobl. "Eine Wohnung, die nur als Anlageobjekt gesehen wird und die der Eigentümer vielleicht niemals betritt, wird ganz anders geplant und gebaut. Diejenigen, die drin wohnen, kriegen es ab." Es sei nicht bei allen Projekten der Fall, aber mitunter komme dabei Einheitsbrei heraus. "Solche Gebäude stehen dann über Jahrzehnte und prägen Viertel, und das alles nur wegen der momentanen Zinspolitik der EZB", so Strobl in Anspielung darauf, dass Immobilien in Ermangelung anderer rentierlicher Kapitalanlagen seit etwa zehn Jahren stärker als Investmentmöglichkeit genutzt werden. Genossenschaften hätten einen anderen Blick auf ihre Gebäude, weil ihre Mitglieder ja selbst drin wohnen.

    Sollte die Wogenau den Zuschlag fürs Sheridan-Areal bekommen, würde die Genossenschaft dort in der Größenordnung von 40 bis 50 Wohnungen bauen können, abhängig von der Größe der Gemeinschaftsflächen. Für die übrigen Mitglieder werde man nach einer anderen Möglichkeit suchen. Denkbar sei auch die Übernahme einer Bestandsimmobilie.

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