Es gibt Lebenswege, mit denen es Frauen bis nach Hollywood geschafft haben. „Die Vorleserin“ ist eine davon. „Die Verlegerin“ eine andere. Im Augsburger Stadtteil Bergheim gibt es „Die Herzles-Häklerin“, deren 100. Geburtstag einen Einblick in eine Vita gibt, die schon von mancher Zeitströmung geprägt war. Aus Überzeugung und Berufung wurde Kunigunde Hutzmann Nonne im Franziskanerinnen-Kloster Maria Stern.
In aller Bescheidenheit, ein wenig zusammengesunken, sitzt Schwester Edelwina in einem Besucherzimmer im Haus von Maria Stern in der Kathreinstraße. Auf dem Tisch steht ein Körbchen mit weißem Häkelgarn und roten Seifenherzen, wie sie von der Jubilarin regelmäßig dekorativ verhüllt werden. Dieses Gastgeschenk eigne sich hervorragend, um im Kleiderschrank oder auf einem Wäsche-Stapel blumigen Duft zu verströmen, sagt ihre Mitschwester Esther, die wie Edelwina aus Nesselwang im Oberallgäu stammt.
Der 100. Geburtstag in Augsburg war ein Tag wie jeder andere
Es war ein Sonntag als Schwester Edelwina in einer „netten Gesellschaft“ und an einem „schön gedeckten Tisch“ ihr vollendetes 100. Lebensjahr feierte. Dieses Ereignis, zu dem sie Besuch von Bischof Bertram Meier, vom Hausgeistlichen Klaus Kienzler, von Weihbischof Josef Grünwald und ihrem Neffen Pfarrer Josef Hutzmann erhielt, beschreibt sie ansonsten als etwas ganz Alltägliches. Es sei „ein Tag wie jeder andere“ gewesen und ihr „nicht besonders tief gegangen".
Dennoch habe sie selbst gestaunt, dass sie überhaupt so alt geworden ist. Denn Angehörige habe sie keine mehr, die seien schon alle gestorben. Der einzige Bruder unter den fünf Geschwistern kehrte nicht aus dem Krieg heim, was insbesondere den Vater schwer getroffen habe. Aber auch die Schwestern seien inzwischen nicht mehr am Leben.
Als eines der verbliebenen vier Mädchen musste auch Edelwina in den Sommermonaten fort von Zuhause. Es sei Usus gewesen, dass man bei anderen Bauern und Verwandten geholfen habe, erzählt sie, warum sie selbst als Hirtenmädchen für Kühe im Einsatz war. Denn: „Wir waren nicht reich“, sagt sie und präzisiert nach einer winzigen Pause, „wir waren eher arm“. Mit einem ruckartigen Nicken signalisiert sie zufrieden, dass diese Beschreibung nun die zutreffendere ist.
Im Augsburger Kloster Maria Stern wurde aus Kunigunde Edelwina
Dementsprechend habe sie „eigentlich nur im Winter heim gedurft“. Dabei betont sie mehrfach, dass sie „so gerne daheim“ gewesen sei. Doch diese Verbundenheit zum Elternhaus und dem Voralpenland hielt sie nicht davon ab, sich für ein Leben im Kloster zu entscheiden. Und diesen Weg hat Kunigunde Hutzmann, die auch Gunda oder Kuni genannt wurde, konsequent beschritten. „Gunda“ habe ihr gar nicht gefallen. „Kuni“, wie sie in der Schule gerufen wurde, schon besser. Dann wurde im Kloster der Stern-Schwestern, in dem jeder Name nur einmal vergeben wurde, aus Kunigunde ohnehin Edelwina.
Mit 14 Jahren hatte sie ihre Mutter darüber in Kenntnis gesetzt, Nonne werden zu wollen. Deren Widerspruch, „das hältst du nie durch, Gunda“, war fruchtlos! „Doch!“, lautete demnach die Erwiderung der Tochter, die bis heute größten Wert darauf legt, aus „freiem Willen“ zu handeln. Bis ins hohe Alter ist ihr die Selbstbestimmtheit wichtig, weshalb sie auch ihren Umzug ins Schwestern- und Pflegeheim von Maria Stern nach Bergheim vor fünf Jahren aus eigenem Antrieb in die Wege leitete. Ebenso überzeugt sei sie gewesen, als sie 1941 ins Kloster Maria Stern eintrat, im September des nächsten Jahres die Erstprofess und nach dem Krieg die Ewige Profess ablegte.
Zur Schule in Göggingen und zum Handarbeitsseminar nach Würzburg
Als Kunigunde Hutzmann absolvierte Schwester Edelwina die Mittelschule in Maria Stern in Göggingen sowie das Handarbeitsseminar in Würzburg. Wie eine Foto-Kollage, die sie zum Geburtstag geschenkt bekam, zeigt, war sie während des Zweiten Weltkriegs als „Reicharbeitsdienstpflichtige“ registriert. Das Foto des Ausweises zeigt ein junges Mädchen mit adrettem Hütchen, dessen rosige Züge bis heute eine unverkennbare Ähnlichkeit zur heute Hundertjährigen Sternschwester aufweisen. Wie Schwester Esther sagt, sei sie als sehr geschickte und schnell arbeitende „Arbeits-Maid“ ausgezeichnet worden. Die Jubilarin weiß noch gut, wie alle Reichsdienstpflichtigen an einem großen Tisch saßen, eine elektrische Nähmaschine vor sich, um Schulterklappen für Uniformen verschiedener Dienstgrade zu fertigen.
Ein aufgeweckter Blick blitzt hinter der goldgeränderten Brille hervor und bestätigt, was Schwester und Vertraute Esther Mayr ihr immer wieder attestiert: Überzeugung und Selbstbewusstsein. Familie und Kinder seien „nie ein Gedanke“ gewesen, sagt die Jubilarin, stattdessen brachte sie als Handarbeitslehrerin jungen Frauen bei, was in einem Haushalt an Fertigkeiten notwendig ist. Vor allem fürs Nähen habe sie sich auf diesem Gebiet interessiert. Die Nähmaschine sei jedoch das Gerät, das sie bei ihrem Umzug nach Bergheim zurückließ. Heute ist die Häkelnadel zu dem Utensil geworden, mit dem sie sich verwirklicht und von dem sie zur Arbeit gerufen wird. Um mit dem Garn, das ihr Heidi und andere großherzige Freundinnen bringen, wieder Herzen zu umhäkeln. Die kann sie dann wieder verkaufen und den Erlös den Stern-Schwestern in Südamerika und Afrika zukommen lassen.
Die Augsburgerin Elisabeth Retsch führt seit knapp 40 Jahren Einheimische und Gäste durch ihre Heimatstadt. Was sie in den vergangenen Jahrzehnten alles erlebt hat? Hören es Sie sich im Podcast an.
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