Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Augsburg: Millionenbetrug: So funktioniert die Schattenwelt der Pflegemafia

Augsburg

Millionenbetrug: So funktioniert die Schattenwelt der Pflegemafia

    • |
    Die Polizei durchsucht die Geschäftsräume eines Pflegedienstes in Augsburg. Die Ermittler vermuten, dass  mehrere Millionen Euro auf dunklen Wegen erwirtschaftet wurden.
    Die Polizei durchsucht die Geschäftsräume eines Pflegedienstes in Augsburg. Die Ermittler vermuten, dass mehrere Millionen Euro auf dunklen Wegen erwirtschaftet wurden. Foto: Silvio Wyszengrad

    Als der Mann sich bei seinem russischen Pflegedienst in Augsburg beschwerte, dass Leistungen abgerechnet wurden, die er gar nicht erhalten hat, soll er plötzlich ein Messer vor sich gesehen haben. Er wurde bedroht. Es ist ein paar Jahre her, dass sich diese Szene abgespielt haben soll, erzählt Eckard Rasehorn. Doch solche Berichte zeigen, was man der Pflegemafia zutraut – und wohl auch zutrauen muss. Rasehorn ist seit über 30 Jahren in der Branche und hört viel. Daher überrascht den Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt in Augsburg der aktuelle Skandal nicht.

    Acht Pflegedienste sollen in Augsburg betrogen haben

    Bei einer Großrazzia hat die Polizei am Mittwoch in Augsburg rund 170 Firmen- und Privaträume durchsucht. Acht Pflegedienste in der Stadt stehen unter Verdacht, betrogen zu haben. Sie sollen Leistungen abgerechnet haben, die gar nicht erbracht worden sind. Patienten sollen auf dem Papier deutlich kränker gewesen sein, als sie es in Wirklichkeit sind. In manchen Fällen sollen offenkundig gesunde Menschen in den Dokumenten zu Pflegebedürftigen „gemacht“ worden sein. Beteiligt an dem mutmaßlichen Millionenbetrug sind vor allem Menschen, die aus Osteuropa nach Deutschland gezogen sind oder zumindest ihre Wurzeln dort haben.

    Einen Betrugsskandal in dieser Dimension kannte Pflege-Experte Rasehorn bis jetzt nicht. Vermutet hat der 62-Jährige aber schon lange, dass vieles falsch läuft. „Man weiß seit Jahren, dass bei manchen Diensten nicht nur etwas getrickst, sondern systematisch betrogen wird.“ Rasehorn spricht von einer russischen Pflegemafia, die pflegebedürftige Menschen nur unter dem Gesichtspunkt betrachte, was man finanziell herausholen könne.

    Beim Geschäftsführer eines Augsburger Pflegedienstes fanden die Ermittler rund drei Millionen Euro in Bar. Er hatte das Geld bei sich zuhause gebunkert.
    Beim Geschäftsführer eines Augsburger Pflegedienstes fanden die Ermittler rund drei Millionen Euro in Bar. Er hatte das Geld bei sich zuhause gebunkert. Foto: Polizei

    „Es sind die russischen Pflegedienste, die kein Unrechtsbewusstsein haben“, sagt der 62-Jährige. Eine genaue Erklärung hat er nicht, warum es sich bei den Tatverdächtigen ausgerechnet um russischstämmige Menschen handelt. „Ich erkläre es mir so, dass man in Russland gelernt hat, sich an der Staatsmacht vorbei zu organisieren.“ Diese Klientel sei nach Deutschland gekommen, um hier Geschäfte zu machen. „Der systematische Betrug ist ja nicht typisch für Augsburg oder München. Diese Mafiastruktur gibt es auch in anderen Städten.“ Es sei ein Netz von Mitarbeitern, Pflegebedürftigen, Angehörigen und auch russischsprachigen Ärzten, die miteinander Deals machten. Das große Geld kassieren dabei die Drahtzieher. Bei einem Augsburger Pflegedienst-Chef lagen drei Millionen Euro in bar, gebunkert in der Wohnung. Beteiligte Patienten, oftmals Sozialhilfeempfänger, wurden dagegen mit eher kleinen Beträgen von 20 bis 130 Euro im Monat abgespeist – oder mit Gefälligkeiten wie Fahrten zum Friseur und zum Einkauf.

    Pflegemafia: Die Betrüger üben oft Druck auf die Klienten aus

    In Augsburg hat die Kripo 68 Beschuldigte im Visier, einen Mediziner, 40 überwiegend führende Köpfe von Pflegediensten und 27 Patienten. Neun Verdächtige sitzen in Haft, weitere vier Inhaftierte kommen aus München. Rasehorn sagt: „Das ist eine Welt für sich, die sich abschottet. Wenn man da nicht mit verdeckten Ermittlern arbeitet oder Telefonate überwacht, kommt man den Betrügern nicht bei.“ Oft würden die schwarzen Schafe unter den Pflegediensten auch Druck auf die Klienten ausüben. Das muss nicht gleich das gezückte Messer sein. Rasehorn berichtet von einem Klienten, der einen Gehwagen zur Verfügung bekam. Als er den Dienst wechseln wollte, sei ihm gedroht worden, dass man ihm das Gefährt nachträglich für ein Jahr berechne.

    Die russisch dominierten Pflegedienste seien ein „Schloss mit sieben Siegeln“, sagt Klaus Kneißl, Sozialplaner der Stadt Augsburg. Die alten Menschen, in einem kommunistischen Staat sozialisiert, wüssten oft nicht, dass sie hier in Deutschland Wahlfreiheit bei Pflegediensten haben. Sie hielten sich etwa streng dran, was der Arzt empfehle – auch bei der Wahl des Pflegediensts. Und: „In ihrer alten Heimat mussten sie den Staat betrügen, um zu überleben.“ Sie seien dieses System gewöhnt und übertragen es teils ohne Gewissensbisse nach Deutschland. Fachleute in Augsburg beobachten auch, dass sich die Pflegemafia zu anderen Gruppen in der Gesellschaft hin ausbreitet. So gebe es Dienste, die gezielt um Türkischstämmige werben. Die Betreiber seien teils aber „alte Bekannte“.

    Lesen Sie dazu auch: Pflegemafia und Pflegenotstand: Wie ist die Lage in Augsburg?

    Lesen Sie den Kommentar: Pflegebetrug: Endlich schlagen die Ermittler zu

    Hören Sie sich dazu unseren Podcast zu den Hintergründen des Pflegeskandals an. Sie finden den Podcast "Augsburg, meine Stadt" auch bei Spotify, iTunes und überall, wo es Podcasts gibt.

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden