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Augsburg: Lehre in der WG-Küche: Der Lockdown stellt Azubis vor große Probleme

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Lehre in der WG-Küche: Der Lockdown stellt Azubis vor große Probleme

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    Tino Kimmerl ist Kochlehrling im Restaurant "Die Ecke" in Augsburg. Derzeit trainiert er wegen Corona zu Hause für seine Prüfung.
    Tino Kimmerl ist Kochlehrling im Restaurant "Die Ecke" in Augsburg. Derzeit trainiert er wegen Corona zu Hause für seine Prüfung. Foto: Tino Kimmerl, privat

    Als Tino Kimmerl neulich für seinen WG-Mitbewohner zum Geburtstag aufkochte, gab es zur Vorspeise Jakobsmuscheln an einer Orangen-Kardamon-Reduktion, zum Hauptgang Entenbrust mit Topinambur-Püree, gefolgt von einer leichten Mousse au Chocolat und Kuchen. Der 22-jährige Lehrling aus dem Restaurant "Die Ecke" am Elias-Holl-Platz nimmt seine Ausbildung ernst - schließlich ist das Kochen seine Leidenschaft. Doch dass die gehobene Küche gerade nur in seinen eigenen vier Wänden stattfinden kann, wurmt ihn - schließlich sollte er eigentlich in Vorbereitung auf die Koch-Abschlussprüfung im Restaurant praktische Erfahrungen sammeln. Stattdessen trainiert er jeden Tag zu Hause in der WG-Küche - sehr zur Freude seines Mitbewohners.

    Die Corona-Pandemie hat in der Gastronomie und auch in etlichen Handwerksberufen die Lehrpläne durcheinander gebracht. Denn während die Berufsschulausbildung noch gewährleistet werden kann, fällt in geschlossenen Betrieben die Praxis größtenteils flach. Ein Zustand, den nur engagierte Lehrlinge durch Eigeninitiative kompensieren können, sagt Tino Kimmerls Chef, Ecke-Gastronom Ronald Dachs, und ergänzt: "Es tut mir in der Seele weh, wenn ich die aktuelle Situation für die Lehrlinge mit ansehe." Denn egal, ob in der Küche oder im Service - eine Grundlage für den Beruf sei Routine, die man nur durchs tägliche Tun erhalte.

    Die Corona-Pandemie hat die Lehrpläne durcheinander gebracht

    "Tino hat als Abiturient seine Lehre auf zwei Jahre verkürzt", erzählt Dachs. Von effektiven 20 Monaten praktischer Küchenausbildung fehlten dem Lehrling mittlerweile acht Monate. Praxis, die sich nur schwer aufholen ließe. Vier Lehrlinge gibt es in der Ecke - drei in der Küche und einen im Service. Alle hätten das gleiche Problem.

    "Ich habe den Vorteil, dass mich meine Eltern unterstützen", sagt Tino Kimmerl. Nicht jeder Lehrling hätte zu Hause eine gut ausgestattete Küche zur Verfügung. Und nicht jeder könne sich zum Lernen die Zutaten leisten, die sonst in der Restaurantküche zur Verfügung stehen. "Wenn ich beispielsweise übe, Hummer oder Pulpo (Oktopus) zuzubereiten, gehen die Zutaten ziemlich ins Geld", berichtet der Lehrling. Die Azubis aus der Ecke helfen sich gegenseitig. "Als meine Kollegin Zwischenprüfung hatte, haben wir in meiner Küche dafür geübt", sagt Kimmerl.

    Ausbildung von Friseuren, Köchen und Co. wird durch Corona erschwert

    Ausbildung in Corona-Zeiten: Das sagt die Handwerkskammer

    Stefan Schröter ist Ausbildungsberater der Handwerkskammer (HWK) Schwaben. Er sagt: "Bislang ist die Zahl der Ausbildungsbetriebe in der Region trotz der Corona-Krise konstant geblieben. Es gab kaum Fälle, in denen Betriebe nicht mehr ausbilden wollten."

    Unmittelbar von der Corona-Krise betroffen waren etwa: Friseure, Kosmetiker, Maßschneider, Uhrmacher, Gold- und Silberschmiede. Sie mussten zeitweise komplett schließen, konnten ihren Beruf lange Zeit nicht ausüben. Dennoch versuchten sie, die Ausbildung aufrecht zu erhalten.

    Ebenfalls in der Corona-Krise eingeschränkt waren auch: Kfz-Mechatroniker, Konditoren, Augenoptiker, Gebäudereiniger oder Bäcker. Sie durften unter strikter Einhaltung der Hygienemaßnahmen weiterarbeiten, wobei die Nachfrage teils geringer war oder die Arbeit sich unter den aktuellen Bedingungen stark verändert hat.

    Betriebe, für die der Kundenverkehr einige Zeit komplett wegfiel, mussten sehr kreativ werden, um Ausbildung zu gewährleisten. Friseure gaben ihren Azubis etwa Übungsköpfe mit nach Hause, damit sie Frisieren im Homeoffice üben konnten. Auch durften später Lehrlinge sich zu Ausbildungszwecken gegenseitig die Haare schneiden, als klar war, dass im Ladengeschäft die praktische Ausbildung weiterhin durchgeführt werden darf.

    Laut HWK stehen Unternehmen angesichts der Corona-Krise derzeit vor zwei Herausforderungen: Sie müssen die Betreuung der bereits bestehenden Azubis gewährleisten. Zugleich müssen sie trotz der Kontaktbeschränkungen Auszubildende für die nächsten Lehrjahre finden.

    Die Nachwuchsfindung in Corona-Zeiten ist besonders schwierig, sagt HWK-Ausbildungsberater Stefan Schröter: "Wenn kein Corona ist, kann man Kontakt herstellen über Schulen, Azubimessen oder eben Betriebspraktika. Praktika waren im Frühjahr 2020 gar nicht möglich, zurzeit dürfen Praktika aber wieder mit Hygienemaßnahmen stattfinden. Und bei Ausbildungsmessen wie bei der fitforJOB! können sich Betriebe nicht wie sonst vor Ort, sondern nur digital präsentieren."

    Im Handwerk sind es vor allem "verbrauchernahe Gewerke" wie Friseure, Kosmetiker oder Gesundheitsberufe, in denen die Lehrlingsausbildung durch Betriebsschließungen leidet, . Auch Maßschneider, Uhrmacher oder Gold- und Silberschmiede seien betroffen. Dagegen liefe die Ausbildung beispielsweise im Baugewerbe weitgehend normal.

    "Unsere Betriebe tun grundsätzlich alles dafür, dass es in der Ausbildung zu keinem Rückstand kommt, und versuchen, mit Alternativangeboten die Ausbildungsinhalte zu vermitteln", sagt HWK-Sprecherin Monika Treutler-Walle. Natürlich bedeute die aktuelle Situation eine große Anstrengung und Herausforderung - auch für die Betriebe.

    Ein Beispiel, wo der Lockdown ebenfalls die Prüfungsvorbereitung eingeschränkt hat, sind die Friseure. Denn die Haarschnitte und Friseurtechniken werden in der Prüfung an "lebenden Modellen" durchgeführt. "Durch den Lockdown war ein praktisches Arbeiten hier nur sehr bedingt oder auch gar nicht möglich", weiß Treutler-Walle. Das ersatzweise Arbeiten an Übungsköpfen konnte diesen Nachteil auch nicht komplett kompensieren, so die Sprecherin.

    HWK sieht keine Gefahr für die Prüfungen der Auszubildenden

    Trotzdem sieht man bei der HWK keine Gefahr, dass die Lehrlinge ihre Prüfungen nicht bestehen. Die Prüfungen finden weiterhin im normalen Turnus statt - natürlich unter Beachtung der Corona-Situation mit Mindestabständen, FFP2-Masken und Hygienemaßnahmen. Sollte sich ein Auszubildender aufgrund der Situation nicht "reif" für die Prüfung fühlen, könnte man im Einzelfall über eine Verlängerung sprechen; ein Weg, den bislang aber noch kein Auszubildender gegangen sei. Auch eine Verlängerung der Ausbildungszeit sei theoretisch möglich. Allerdings müssten dazu schlechte schulische Leistungen oder eine Stellungnahme des Betriebs vorliegen. "Diese Glaubhaftmachung ist eine Schutzfunktion für beide Seiten, damit der zeitliche Rahmen des Ausbildungsverhältnisses nicht willkürlich verlängert werden kann", erklärt Treutler-Walle.

    Wenn Tino Kimmerl im Mai erfährt, wie der Warenkorb für seine Kochprüfung aussieht, darf er zum Training in Die Ecke kommen, um sein Menü in der professionellen Küche probezukochen, sagt sein Chef Ronald Dachs. Noch schöner wäre es aus Sicht des Gastronomen, wenn bis dahin wieder Bedingungen herrschten, dass die Lehrlinge zurück in die Routine mit echten Gästen finden könnten. Auch nach der Prüfung wird Kimmerls Traum, als junger Koch in die Welt hinauszuziehen, wohl noch etwas warten müssen. Die Küche der Ecke steht ihm zumindest offen, damit er dort weiter Erfahrungen sammeln kann, sagt Ronald Dachs.

    Lesen Sie dazu den Kommentar: Azubis haben das Nachsehen

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