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Augsburg: Kinderärztin: "Öffnungen von Schulen und Kitas sind ein Eiertanz"

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Kinderärztin: "Öffnungen von Schulen und Kitas sind ein Eiertanz"

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    Dr. med. Anke Steuerer ist Kinderärztin in Augsburg und Vorstandsmitglied des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Ihre Praxis hat sie in Pfersee.
    Dr. med. Anke Steuerer ist Kinderärztin in Augsburg und Vorstandsmitglied des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Ihre Praxis hat sie in Pfersee. Foto: Fridtjof Atterdal

    Unter anderem mit Schnelltests will man in Schulen und Kitas die Sicherheit erhöhen. Mehrere Verbände, darunter auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, haben sich im Vorfeld kritisch zu groß angelegten Antigenschnelltests in Schulen geäußert. Wo liegen die Bedenken?

    Dr. Anke Steuerer: Die angesprochenen Verbände sagen nicht, dass Tests an sich schlecht sind. Die Verbände sagen, dass Tests in die Hände Geschulter gehören und dass man sich sehr genau über den Aussagewert im Klaren sein muss. Und dass eine wissenschaftliche Begleitung, insbesondere der Testungen mit den Schnelltests, notwendig ist. Ein wesentlicher Punkt ist, wenn man viele Tests macht, werden einige auch falsch positiv sein. Jeder positive Schnelltest muss dem Gesundheitsamt gemeldet werden und muss unmittelbar mit einem PCR-Test nachgetestet werden. Das ist hier in der Arztpraxis möglich, und eine vollständige Beratung kann sofort erfolgen. Wenn ich aber im Kindergarten oder in der Schule bin, und die Erzieherin oder die Lehrerin macht den Test, heißt es, das Kind muss bei einem positiven Schnelltestergebnis sofort abgeholt und von allen isoliert werden und zum PCR-Test gebracht werden. Das Ganze im Setting des Klassenzimmers oder im Setting des Kindergartens. Das ist ein Punkt, weshalb das als schwierig gesehen wird. Da braucht es im Vorfeld sehr gut durchgeplante Konzepte und genaue Vorgaben, damit sich Lehrer und Erzieher nicht im Stich gelassen fühlen.

    Wo liegt die Gefahr bei falsch negativen Tests?

    Steuerer: Da ist das größte Problem, sich in falscher Sicherheit zu wiegen. Ich bin getestet, aber nur mit einem Schnelltest, und darf deshalb bei den anderen Maßnahmen nicht lockerlassen. Wir haben Angst davor, dass die Lehrerin morgens die Schüler testet - die Älteren könnten sich auch selber testen -, und nach einer Viertelstunde sind alle negativ. Dann könnte es vielleicht heißen Masken runter und Fenster zu. Das darf keinesfalls passieren. Die Problematik ergibt sich wohl nicht unter der Aufsicht der Lehrer oder Erzieher, die allermeisten wissen das. Aber was passiert in der Pause - und was passiert morgen und übermorgen? Sind wirklich alle Schülerinnen und Schüler gut genug informiert und engagiert? Wir versuchen klarzumachen, dass der Schnelltest nur für 24 Stunden gut funktioniert. Für diejenigen, die ich heute Abend teste, kann ich sagen, für morgen ist vermutlich alles gut. Übermorgen könnten sie aber schon wieder positiv werden.

    Welche Strategie sollen die Schulen dann aus Sicht der Kinderärzte verfolgen?

    Steuerer: Dass die Schulen aktuell Termine im Testzentrum für ihre Schüler vorreservieren, ist zum Beispiel eine gute Lösung. Ich fände es super, wenn da die Akzeptanz auch sehr hoch wäre. Bei geplanten Testungen in den Einrichtungen müssen Erzieher, Lehrer und aber auch Schüler extrem gut in die Durchführung der Testung und vor allem die Abläufe bei positiver Testung eingewiesen werden. Hier bietet sich beispielsweise die Zusammenarbeit mit einem Kinder- und Jugendarzt vor Ort an. Dies lässt sich aber alles nicht in 24 Stunden organisieren, wie das aktuell immer wieder von den Ministerien gefordert wird.

    Wie können die Tests für Kinder dazu beitragen, das Corona-Geschehen im Griff zu behalten?

    Steuerer: Das ist der Eiertanz, den wir gerade führen. Wir sehen die ganzen Kollateralschäden, wie viele Kinder wirklich massiv leiden. Wir haben mehrere Kinder pro Tag, die extrem unglücklich sind - quer durch die verschiedenen Altersklassen und Schichten. Es gibt unterschiedlichste Gründe. Häusliche Belastung, eine schwierige Lebensphase, das Kind ist in der Pubertät und wird depressiv. Die Anfragen bei den Kinder- und Jugendpsychotherapeuten sind extrem angestiegen. Und gleichzeitig sehen wir den Ruf der Intensivmediziner, alles so schnell wie möglich wieder dichtzumachen, weil die Zahlen steigen. Es ist ein Versuch, es mit den Tests besser hinzukriegen.

    Ist es vertretbar, dass Kitas und Schulen jetzt wieder geöffnet wurden?

    Steuerer: Für die Kindergarten- und Grundschulkinder ist es extrem wichtig, wieder gehen zu können. Die höheren Klassen haben sich überwiegend, glaube ich, ganz gut an das Homeschooling gewöhnt. Achte, Neunte, Zehnte, da haben die meisten ihr System gut gefunden. Es wäre aber aus sozialen Gründen super wünschenswert, dass sie wieder ganz normal in die Schule gehen dürfen. Aber vielleicht wäre es doch geschickter, noch zwei Wochen drauf zu verzichten, um es dann nach Ostern vielleicht entspannter zu haben. Ich persönlich habe die Befürchtung, dass wir gerade etwas verspielen, das wir uns so mühsam über den gesamten Winter erarbeitet haben. Ich bin innerlich zerrissen. Ich sehe, wie die Kinder leiden, und würde sie gerne wieder schicken. Aber ich sehe auf der anderen Seite das große Dilemma, dass wir noch viele Menschen haben, die für einen schweren Verlauf sehr empfänglich und noch nicht geimpft sind.

    Erkältete Kinder dürfen gerade nur mit einem negativen PCR- oder Antigentest in die Schule oder in die Kita. Was bedeutet das für die Kinderärzte?

    Steuerer: Wir haben die letzten Tage ab 7 Uhr die ersten Kinder getestet. Ebenso abends nach Praxisschluss. Das Ganze im Fünf-Minuten-Takt. Die Eltern, die Praxen, die Kitas, die Schulen - alle sind durch die Änderung überrascht worden. So etwas kommt am Freitag raus und muss am Montag funktionieren. Aber das erleben wir ja seit einem Jahr und sehen es mit einer gewissen Gelassenheit. Trotzdem ist es gigantisch, welche Terminanfragen wir haben. Der Kalender ist knallvoll, es sind jede Menge Termine verschoben worden. Die Kraftanstrengung, welche die Kinder- und Jugendärzte und vor allem ihre Mitarbeiterinnen jetzt zu leisten haben, ist erheblich. Aber wir sind gerne bereit, das zu tun, in der Hoffnung, dass wir für die Kinder und Jugendlichen möglichst lange Kitas und Schulen offen halten können - unter vertretbaren Bedingungen.

    Neben den Tests spielen ja die Impfungen die größte Rolle. Die Kinderärzte haben angeboten, sich beim Impfen zu engagieren.

    Steuerer: Unbedingt. In dem Moment, wo genügend Impfstoff zur Verfügung steht. Ich habe gestern in unserer WhatsApp-Gruppe der Augsburger Kinder- und Jugendärzte eine kurze Abfrage gemacht. Innerhalb von fünf Minuten hatte ich 13 WhatsApps zurück, und bis zum Nachmittag hatten sich fast alle gemeldet. Es war keiner dabei, der gesagt hat, er macht es nicht. Impfen ist ja unser Kerngeschäft. Im Normalfall führen wir pro Arzt und Woche 50 bis 100 Impfungen durch. In Grippezeiten steigern wir das noch deutlich, und bei Corona-Impfungen ist da je nach Engagement viel Luft nach oben.

    Bedeutet das, dass beim Kinderarzt Erwachsene geimpft werden sollen? Treten Sie damit nicht in Konkurrenz zu den Hausärzten?

    Steuerer: Nachdem wir unsere eigene Klientel zum größten Teil nicht impfen können, weil es für die Kinder unter 16 Jahren keinen zugelassenen Impfstoff gibt, machen wir unseren Eltern, Großeltern und Bekannten gerne ein Impfangebot, sofern wir das von den Priorisierungen her dürfen. Wenn der Arzt zum Flaschenhals wird, kann es nicht sein, dass eine Großmutter bei ihrem Hausarzt acht Wochen auf einen Impftermin warten muss, weil dessen Tag ja auch nur 24 Stunden hat. Dann wäre es mir ein großes Anliegen, die Oma, die sonst mit ihrem Enkel hierherkommt, zu impfen. Vonseiten der Politik besteht schon grünes Licht. Wir hoffen, dass wir Anfang April mitimpfen und die Hausärzte aktiv unterstützen dürfen. Sofern wir den Impfstoff kriegen. Ich bin gerne bereit, mich auch am Wochenende und abends hier reinzustellen, wenn ich damit ermöglichen kann, dass die Kinder wieder schneller regelmäßig in die Schulen und Kitas gehen können und der psychische und wirtschaftliche Schaden ein Ende hat.

    Dr. med. Anke Steuerer ist Kinderärztin in Augsburg und Vorstandsmitglied in Bayern des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Ihre Praxis hat sie in Pfersee.

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