Immer wieder weisen ihn Passanten auf das kleine Döschen hin. Es hängt unter einem Podest im Sterngässchen in der Augsburger Altstadt, gleich hinter der Kresslesmühle. Wenn Jörg Eisele auf Fahrradstreife ist, hört er immer wieder die Frage: "Sind da Drogen drin?" Der Polizist der Inspektion Mitte hat natürlich nachgeschaut. Heute wieder. Er macht die Dose auf und holt ein kleines Büchlein heraus. "Geocaching", sagt er. Menschen, die sich mit kleinen GPS-Geräten eine elektronische Schnitzeljagd machen, finden hier ein Ziel. Alles harmlos, also. Eisele schiebt sein Rad weiter, eine Gasse weiter steigt er auf. Der 52-Jährige ist auf Streife. Mit dem Fahrrad. Das perfekte Fahrzeug für die Innenstadt.
"Wir kommen mit dem Fahrrad überall hin", sagt Eisele. Wer einen Streifenwagen durch das enge Lechviertel lenkt, hat seine liebe Mühe. Fußgänger, Radler, enge Gassen. Mit dem Fahrrad ist das alles einfach. Jörg Eisele fährt an den Kanälen entlang, ein paar Passanten sprechen ihn an. Man kennt sich offenbar. Aber auch Fremde suchen gerne den Kontakt. "Die Bevölkerung ist begeistert, wenn wir auf dem Rad kommen", sagt der Polizist. Er ist mittendrin und immer ansprechbar. Kein Fenster, keine Tür, nichts steht zwischen Polizei und Augsburgern. Was Eisele auch gefällt: Sonst kommt die Polizei meistens nur, wenn es Ärger gibt. "Dann müssen wir meistens in Grundrechte eingreifen", sagt Eisele, der seit 1982 Polizist ist und als junger Mann auch Dienst während der Demos in Wackersdorf schieben musste. Man muss Personalien aufnehmen oder jemanden festnehmen. Als Fahrradpolizist kann er auch einfach nur so präsent sein in der Stadt. Außer es kommt ein Einsatz.
"Viele staunen, wenn ich pfeifend bei Rot über die Ampel fahre"
Für solche Fälle hat Jörg Eisele eine Pfeife am Ärmel hängen. "Viele staunen, wenn ich pfeifend bei Rot über die Ampel fahre", erzählt er. Aber es wirkt. Er kommt durch und ist in vielen Fällen schneller vor Ort als die Kollegen im Streifenwagen. Fahndungen in der Fußgängerzonne (wo er außerhalb eines Einsatzes das Rad schiebt), Ladendiebstahl oder auch Demonstrationen – alles perfekte Orte für einen Einsatz auf dem Fahrrad. Wenn man auch noch das Radeln liebt, ist es die perfekte Kombination. Trotzdem ist Eisele nur Fahrradpolizist in Teilzeit.
Etwa eine Stunde am Tag sitzt er im Sattel. Zwei Kollegen fahren auch Streife. Ansonsten: Streifenwagen und Revier. Es gibt keine offizielle Fahrradstaffel. Die Polizeiinspektion Mitte hat die Radstreifen selbst ins Leben gerufen. Der damalige Chef Werner Bayer wollte die Präsenz in der Stadt steigern. Auch Robert Kühnel, Vize-Chef der Innenstadtinspektion, schätzt das Fahrrad als "flexibles und bürgernahes Einsatzmittel" für die Innenstadt. Die Radpolizisten haben sich ihre Fahrzeuge selbst zusammengestellt: Breite Reifen fürs Pflaster und gegen tückische Straßenbahnschienen, Nabenschaltung, robuste Teile.
Die Ausrüstung von den Handschellen bis zur Waffe trägt Jörg Eisele am Körper – sonst könnte er das Rad ja nicht stehen lassen. Gut möglich, sagt er, dass in Zukunft mehr Kollegen aufs Fahrrad steigen. Aktuell wird in Bayern Fahrradkleidung für die Polizei getestet. Mit kurzen Hosen und atmungsaktiv. Die neuen blauen Uniformen sind schon ein Fortschritt, aber: "Etliche Kollege sagen, wenn es die richtige Kleidung gibt, steige ich auch aufs Rad." Während der ruhigen Streifenfahrt an der Komödie ist die Kleidung kein Problem. Wenn jetzt aber die Nachricht über einen flüchtigen Ladendieb in der Fußgängerzone käme, könnte es heiß werden. Jörg Eisele schreckt das nicht.
300 Kilometer pro Woche
Er ist durch und durch Radler, kommt in der Woche geschätzt auf 300 Kilometer dienstlich und privat. Genau weiß er es nicht, weil er keinen Tacho hat. Daheim stehen mehrere Räder von Falt- über das Cityrad bis hin zum Mountainbike. Für ihn ist das Rad das perfekte Verkehrsmittel. Er merkt, dass immer mehr Augsburger das auch so sehen und spürt, dass es an manchen Ecken auch eng wird. Eisele hat einen Blick für neuralgische Stellen und schaut sich Unfallschwerpunkte gerne mal genauer an. Und was sagt er zu Klagen über Radler, die sich nicht an die Regeln halten? "Radler machen Sachen falsch, Autofahrer auch und Fußgänger auch", sagt der 52-Jährige.
Er hat so einen kleinen Traum: "Es wäre wunderbar, wenn alle einen Tag lang versuchen würden, alles richtig zu machen." Ob es einmal so weit kommt? Das Gespräch driftet wenig später ins Grundsätzliche. Jörg Eisele will als Polizist spüren, wie die Menschen ticken, wie sich die Gesellschaft entwickelt. Auf dem Rad oder auf Demos bekommt er das hautnah mit. Und? "Es wird schwieriger, weil Regeln eher überschritten werden." Jeder halte das, was er tun müsse, für das Wichtigste. Vielleicht auch, weil der Druck so hoch ist. Das erlebt dann auch die Polizei. Ganz unmittelbar, wenn man draußen auf der Straße ist. Man ist mitten im Leben. Das ist reizvoll, kann aber auch stressig sein. Aber dann gibt es ja immer noch das Rad.
Eisele fährt auch in der Freizeit gerne und viel. Einmal im Jahr auch ein Rennen. Oder er macht Hindernisläufe. Oder schaut sich zum Entspannen mal eine ganz andere Art von Polizeiarbeit an. Die Eberhofer-Krimis, Grießnockerlaffäre und Co., gehören zu seinen Lieblingen.
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