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Augsburg: Im Netto angeschossen: Mutmaßlicher Dieb fordert Schadensersatz

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Im Netto angeschossen: Mutmaßlicher Dieb fordert Schadensersatz

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    In einer Netto-Filiale am Königsplatz in Augsburg ist im Juni ein Polizeieinsatz eskaliert. Die Polizei schoss auf einen mutmaßlichen Ladendieb. Bald soll der Prozess gegen den Mann starten.
    In einer Netto-Filiale am Königsplatz in Augsburg ist im Juni ein Polizeieinsatz eskaliert. Die Polizei schoss auf einen mutmaßlichen Ladendieb. Bald soll der Prozess gegen den Mann starten. Foto: Peter Fastl (Archivbild)

    Er wollte wohl einen Getränkekarton mit Wein stehlen und wurde dabei erwischt. Doch das Vorgehen des 20-Jährigen hat nicht aufgrund des kleinen mutmaßlichen Ladendiebstahls eine enorme Tragweite. Der Fall ist unter anderem deshalb so gravierend, weil der junge Mann mehrere Polizisten im Zuge des Einsatzes mit einem Messer bedroht haben soll; die Staatsanwaltschaft hat ihn wegen versuchten Totschlags angeklagt. Vor allem aber ist der Einsatz in der öffentlichen Wahrnehmung in Erinnerung geblieben, weil zwei Polizisten dabei in der Netto-Filiale am Augsburger Königsplatz auf den 20-Jährigen schossen. Aus Notwehr, wie die Staatsanwaltschaft sagt. Ein Fall, den der damals schwer verletzte Mann nun klären lassen will. Sein Anwalt kündigt an, dass man den Freistaat auf Schadensersatz verklagen wolle. Zumal, so der Jurist, weil bereits eingeschaltete Bodycams beteiligter Polizisten im Einsatz wieder ausgeschaltet worden seien.

    Der Augsburger Anwalt Thomas Galli vertritt den 20-jährigen Mann in zivilrechtlichen Angelegenheiten, wie er gegenüber unserer Redaktion sagt. Das heißt: Galli wird den jungen Mann nicht im anstehenden Strafprozess am Landgericht verteidigen – wohl aber dessen Interessen in einer Klage gegen den Freistaat Bayern vertreten. Anwalt Galli hat Zweifel an der Darstellung der Ermittlungsbehörden und glaubt, dass sich die Situation anders hätte lösen lassen können. Er kritisiert auch, dass bereits eingeschaltete Bodycams beteiligter Polizisten im Einsatz wieder ausgeschaltet worden seien, bevor es zu den Schüssen kam - das sei zumindest "erklärungsbedürftig". Bei Bodycams handelt es sich um Videokameras, die an der Uniform von Polizisten befestigt werden. Kommt der Beamte in eine kritische Situation, kann er eine Aufzeichnung starten. Das Video wird gespeichert. So kann das Geschehen dann hinterher aus der Perspektive des Polizisten angeschaut werden. Galli sagt, Videoaufzeichnungen von den Schüssen lägen in diesem Fall nicht vor.

    Zuvor hatte er dies auch beim Kurznachrichtendienst Twitter so kommuniziert. Dort schilderte er, sein Mandant habe versucht, "einen Tetrapak Wein im Wert von einem Euro zu klauen". Eine Vielzahl von Polizisten hätte seinen Mandanten in "einem winzigen fensterlosen Raum" gestellt. Der junge Mann sei alkoholisiert gewesen, habe Betäubungsmittel konsumiert und sei zunehmend in Panik geraten. Der 20-Jährige habe ein Messer bei sich getragen, dessen Klinge "etwa der eines Schweizer Taschenmessers entspricht". Die Situation sei weiter eskaliert, die Polizei habe schließlich mehrere Schüsse abgegeben. Eine Tatsache, die Galli kritisiert. "Es kann nicht sein, dass die Polizei keine anderen Möglichkeiten hatte, diese Situation aufzulösen."

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    Gegenüber unserer Redaktion sagt der Anwalt, es müsse aufgearbeitet werden, inwieweit sich sein Mandant strafbar gemacht habe – aber ebenso, ob das Verhalten der Polizei verhältnismäßig war. Er habe deswegen Schmerzensgeld in Höhe von 60.000 Euro bei der Polizei geltend gemacht; eine Forderung, die zurückgewiesen worden sei. Nun werde man in einem Zivilverfahren gegen den Freistaat Bayern klagen. Die Klage sei allerdings noch nicht eingereicht.

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    Am Freitagabend kam es zu einem Großeinsatz von Polizei und Feuerwehr am Königsplatz - dabei hat die Polizei wohl auch geschossen.

    Wie berichtet, soll der 20-Jährige laut Anklage am Tattag im Juni 2020 ein Messer bei sich gehabt haben, "um dies zur Verteidigung der Diebesbeute oder zur Vermeidung einer Festnahme einsetzen zu können", wie es von der Staatsanwaltschaft zuletzt hieß. Als der Mann dabei erwischt und von einem Security-Mitarbeiter ins Büro des Discounters gebracht worden war, soll er den Angaben zufolge einen der Polizisten mit dem Messer bedroht haben, woraufhin er alleine im Büro eingesperrt wurde. Dort setzte er den Ermittlungen zufolge Papier und weitere Gegenstände in Brand. Als Polizisten den Brand löschen und den Verdächtigen festnehmen wollten, soll der 20-Jährige aus dem Büro in den verrauchten Vorraum mit dem erhobenen Messer auf die Beamten zugegangen sein.

    Den Ermittlungen zufolge scheiterten Versuche der Beamten, den 20-Jährigen zu entwaffnen, stattdessen habe er sich "unbeeindruckt" gezeigt und sich den Polizisten weiter genähert. Daraufhin schossen die Beamten. Wie berichtet, schossen nach Informationen unserer Redaktion zwei Beamte insgesamt sechs Mal auf den Mann, drei der Kugeln trafen ihn den Informationen zufolge in den Oberkörperbereich, in Rumpf und Arm. Der 20-Jährige hat dabei offenbar gravierende Verletzungen erlitten. Erst nach einigen Wochen konnte er das Krankenhaus verlassen, seither sitzt er in Untersuchungshaft. Verteidiger Werner Ruisinger hatte unserer Redaktion zuletzt gesagt, es habe seitens seines Mandanten definitiv keinen Tötungsvorsatz gegeben.

    Der Prozess soll vor der Jugendkammer des Landgerichts stattfinden, einen Prozesstermin gibt es aber noch nicht. Wie in solchen Fällen üblich, hat das Landeskriminalamt den Schusswaffengebrauch der Polizisten überprüft und ist zum Ergebnis gekommen, dass ein strafbares Verhalten der Beamten nicht vorliege. Anwalt Galli schreibt auf Twitter, man habe Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft München eingelegt gegen die Entscheidung der Augsburger Staatsanwaltschaft, von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Polizisten abzusehen.

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    Dies bestätigt auch die Augsburger Staatsanwaltschaft auf Anfrage. Die Akten seien nun bei der Generalstaatsanwaltschaft, die den Sachverhalt prüft, im Hinblick darauf wolle man keine Stellungnahme abgeben. Zur Frage, ob die Bodycams beteiligter Polizisten ausgeschaltet waren und falls ja, warum, teilt die Staatsanwaltschaft mit, die Aussagen von Galli auf Twitter griffen "einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene Aspekte" auf, die Gegenstand eines Strafverfahrens vor dem Langericht Augsburg seien. Um die "Würde des Gerichts" zu wahren und sich nicht dem Vorwurf der Vorverurteilung auszusetzen, werde sich die Staatsanwaltschaft nicht an einer öffentlichen Diskussion außerhalb einer etwaigen Hauptverhandlung beteiligen.

    Hören Sie sich dazu auch unsere Podcastfolge über spannende Kriminalfälle in Augsburg an:

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