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Augsburg: Ihr Stiefvater lag im Sterben – doch wegen Corona durfte sie nicht Abschied nehmen

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Ihr Stiefvater lag im Sterben – doch wegen Corona durfte sie nicht Abschied nehmen

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    Auch für Sterbende und deren Angehörige ist die Corona-Situation ein Problem: Für Einrichtungen wie das St.-Vinzenz-Hospiz in Augsburg gelten ebenfalls strenge Corona-Regeln.
    Auch für Sterbende und deren Angehörige ist die Corona-Situation ein Problem: Für Einrichtungen wie das St.-Vinzenz-Hospiz in Augsburg gelten ebenfalls strenge Corona-Regeln. Foto: Felix Kästle, dpa (Symbolfoto)

    Sie konnte von ihrem Stiefvater nicht mehr Abschied nehmen. Daniela W. (Name geändert) hätte sich gewünscht, ihn noch einmal zu sehen, noch ein letztes Mal mit ihm sprechen zu können. Doch das war nicht möglich. Ihr Stiefvater, 82 Jahre alt, litt an einer Krebserkrankung im Endstadium. Er starb Ende Januar im Augsburger Hospiz Sankt Vinzenz, dort verbrachte er seine letzten Tage. Wegen der Corona-Pandemie gelten auch in dem Sterbehospiz strenge Besuchsregeln. Aus Sicht von Daniela W. deutlich zu streng. Mehrere nahe Verwandte, die den 82-Jährigen gerne noch einmal gesehen hätten, hätten nicht von ihm Abschied nehmen können, erzählt sie. Daniela W. ist aufgewühlt. Sie sagt: „Ich hätte nie gedacht, in einer Gesellschaft zu leben, in der Infektionsschutz über der Menschlichkeit und der Würde des Menschen steht.“

    Ihr Stiefvater kam im Dezember ins Augsburger Universitätsklinikum, zunächst auf eine onkologische Station. Dann auf die dortige Palliativstation. Schon dort seien die Besuchsregeln streng gewesen, sagt Daniela W. Bei einem Krankenhaus könne sie das in der aktuellen Corona-Situation auch nachvollziehen. Immerhin aber habe die Klinik für die Palliativstation vier feste Besucher zugelassen, die Ehefrau des 82-Jährigen durfte bei ihm im Zimmer übernachten. Mit dem Wechsel in das Hospiz sei es aber nicht lockerer, sondern strenger geworden. Nur drei feste Besucher seien erlaubt gewesen, die Besuchszeit war auf 14 bis 18 Uhr beschränkt – also nur vier Stunden pro Tag. Und Kinder unter zwölf Jahren erhalten derzeit generell keinen Zutritt zu den Sterbenden. Daniela W. sagt, ihr Stiefvater sei daher in seinen letzten Tagen die meiste Zeit alleine gewesen. Ein leiblicher Sohn, sein Bruder und seine Frau durften ihn besuchen, ausgeschlossen gewesen seien der zweite leibliche Sohn, drei Stiefkinder und zehn Enkel.

    Könnte nicht jedes Virus für die Menschen im Augsburger Hospiz gefährlich sein?

    Daniela W. versteht nicht, warum an einem Ort, an dem sterbenskranke Menschen sind, die Regeln so streng sein müssen. Das Coronavirus könne gerade für diese Menschen tödlich sein, das sei ihr klar. Aber das gelte etwa bei Krebserkrankungen im Endstadium auch für viele andere Infektionskrankheiten wie das Norovirus oder Grippe. Sie meint: „Wenn es um die Gefahr für die Patienten im Hospiz geht, dann müsste man immer solch strenge Regeln haben, auch ohne Corona-Pandemie.“ Ist den Sterbenden nicht wichtiger, sich von Angehörigen und Freunden verabschieden zu können, als am Ende ihres Lebens noch streng vor Corona geschützt zu werden?

    Im Hospiz St. Vinzenz im Augsburger Stadtteil Oberhausen werden schwerstkranke und sterbende Menschen betreut.
    Im Hospiz St. Vinzenz im Augsburger Stadtteil Oberhausen werden schwerstkranke und sterbende Menschen betreut. Foto: Fred Schoellhorn (Archivfoto)

    So einfach sei die Frage nicht zu beantworten, sagt Karin Fritsch vom Sozialdienst des Sankt-Vinzenz-Hospizes. Die Menschen, die in das Hospiz kommen, nennt sie Gäste. Sie seien unterschiedlich lange in der Einrichtung, zwischen wenigen Tagen und bis zu über 100 Tagen. Der Durchschnitt liegt bei etwa 30 Tagen. Es gebe durchaus Gäste, die Angst vor einer Infektion hätten – und die auch Anspruch darauf hätten, dass die Einrichtung sie entsprechend schütze. Zudem gehe es um den Schutz des Personals und generell darum, dass sich auch ein Hospiz nicht zu einem Infektionsherd entwickeln dürfe. Zwar habe jeder Gast ein Einzelzimmer, dennoch müsse das Personal in alle Zimmer. Karin Fritsch bestätigt, dass es für das Hospiz schwierig sei, auf der einen Seite den Wünschen der Erkrankten so gut wie möglich entgegen zu kommen, andererseits aber die Corona-Regeln einzuhalten. „Wir versuchen, viel miteinander zu reden und so möglichst gute Lösungen zu finden“, sagt Karin Fritsch.

    Man versuche auch, Sonderreglungen zu finden. Etwa, wenn ein Verwandter von weither anreise, um einen Sterbenden ein letztes Mal zu sehen. Auch in der unmittelbaren Sterbephase sei es möglich, die Besuchsregeln aufzuweichen. Es sei aber auch so, dass längst nicht jeder Sterbende noch viel Besuch wünsche. Konkrete Regeln für Hospize gibt der Freistaat derzeit nicht vor. In der bayerischen Infektionsschutzverordnung heißt es nur sehr allgemein: „Die Begleitung Sterbender ist jederzeit zulässig.“ Eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums sagt auf Anfrage unserer Redaktion: „Die konkrete Ausgestaltung der Besuchsregelungen liegt in der Verantwortung des Hospizes, das den Gast beherbergt.“ Es sei explizit zulässig, dass die Pflegedienstleitung über „Art, Dauer und Ausmaß von Besuchen von nahestehenden Menschen“ entscheide. Das Sankt-Vinzenz-Hospiz gibt an, seine Regeln in Absprache mit dem Augsburger Gesundheitsamt festgelegt zu haben.

    Wegen Corona: Viele Menschen waren im Krankenhaus fast komplett isoliert

    Das Sankt-Vinzenz-Hospiz begleitet durchschnittlich im Jahr rund 500 Menschen bei ihrem Sterben. Dieser Aufgabe widmen sich 56 hauptamtliche Mitarbeiter. Das sei immer eine herausfordernde Tätigkeit, sagt Karin Fritsch. In diesen Zeiten aber ganz besonders. Sie spüre eine große Angst bei vielen Menschen, bei Gästen wie Angehörigen. Viele, die derzeit in das Hospiz kommen, seien zuvor längere Zeit im Krankenhaus ganz alleine gewesen. Sie hätten teils nicht mal per Telefon mit den Angehörigen sprechen können. In den Krankenhäusern gilt wegen Corona momentan ein striktes Besuchsverbot. Ausnahmen gibt es in der Regel nur bei Patienten in der akuten Sterbephase und auf Palliativstationen. Karin Fritsch hofft, dass sich die Lage bald entspannt und die Corona-Regeln gelockert werden können. Sie sagt: „Wir sehen uns als offenes Haus.“

    Daniela W. erzählt, für ihre Mutter sei das Leiden ihres Mannes offenbar eine zu große Belastung gewesen. Sie musste kurz vor dem Tod ihres Mannes ins Uniklinikum gebracht werden – mit akuter Atemnot und Blutarmut. Sie konnte ihre Mutter nicht auf der Station besuchen, um ihr die Todesnachricht zu überbringen. Sie berichtet: „Wir mussten uns bei winterlichen Temperaturen vor dem Klinikum im Freien treffen, wo ich ihr die traurige Nachricht überbrachte.“

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