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Augsburg: Hunderte aus Autoszene feiern an Tankstelle - Anwohner sind verzweifelt

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Hunderte aus Autoszene feiern an Tankstelle - Anwohner sind verzweifelt

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    Laut Polizei kamen am Samstag rund 600 junge Menschen zur Aral-Tankstelle an den Gablinger Weg. Die Situation scheint dort zu eskalieren.
    Laut Polizei kamen am Samstag rund 600 junge Menschen zur Aral-Tankstelle an den Gablinger Weg. Die Situation scheint dort zu eskalieren. Foto: Nico Kalif

    Man muss die Bilder und Videos in den sozialen Netzwerken sehen, um zu glauben, was da vor sich geht. Autoreifen quietschen, drehen durch, bis es auf dem Asphalt qualmt, die Menge johlt. "Gummi", feuert einer in dem Youtube-Video an. Fehlzündungen knallen. "Es wird geschossen", soll einer der besorgten und aufgebrachten Anrufer bei der Polizei in jener Samstagnacht am Telefon gesagt haben. An der Aral-Tankstelle am Gablinger Weg in Augsburg-Oberhausen wimmelt es von Autos und jungen Menschen. Immer mehr Fahrzeuge fahren von der benachbarten B17 ab, um bei dem Auflauf dabei zu sein. Sie sind aus Füssen, Günzburg, Dillingen, Ulm, Stuttgart. Sogar aus der Schweiz käme extra eine Gruppe dafür nach Augsburg, heißt es. Die Autos stauen sich bereits auf der Stuttgarter Straße. Die Polizei rückt mit Blaulicht an, will den Verkehr regeln. Die Beamten werden angehupt.

    Autoszene an Augsburger Aral-Tankstelle: "Das war wie ein Festival"

    Die Tankstelle im Industriegebiet, nebenan ist McDonald's, ein paar Meter weiter das Möbelhaus Ikea, ist schon lange beliebter Treffpunkt junger Menschen an den Wochenenden, vor allem aber seit der Corona-Pandemie. Sie selbst nennen sich Autoliebhaber und sie werden immer mehr. Autoposer - also Autoangeber - bezeichnen andere sie. Am vergangenen Wochenende sorgte die Tankstelle für Schlagzeilen über die Augsburger Grenzen hinaus. Rund 300 Autos und 600 Menschen belagerten allein am Samstag das Gelände im Industriegebiet bis in die frühen Morgenstunden. "Das war wie ein Festival", wird aus Polizeikreisen hinter vorgehaltener Hand erzählt. Die Situation am Gablinger Weg, das lässt sich konstatieren, läuft aus dem Ruder.

    Sie wohnen nur wenige hundert Meter Luftlinie von der Tankstelle entfernt: Die Anwohner wollen die Lärm nachts nicht mehr ertragen. Auch wollen sie nicht mehr von den vielen Autos zugeparkt werden.
    Sie wohnen nur wenige hundert Meter Luftlinie von der Tankstelle entfernt: Die Anwohner wollen die Lärm nachts nicht mehr ertragen. Auch wollen sie nicht mehr von den vielen Autos zugeparkt werden. Foto: Ulrich Wagner

    Anwohner haben es satt. Sie leiden unter den Auswirkungen der abendlichen Partys an der Tankstelle, fühlen sich von der Polizei im Stich gelassen. Vor allem aber von der Stadt, die sie, wie sie sagen, schon länger auf die ausufernden Zustände aufmerksam machten. 18 Männer und Frauen haben sich vor den Gartenzäunen versammelt, um ihrem Ärger unserer Redaktion gegenüber Luft zu machen. Unter ihnen Claudia Lembert. "Bis um halb fünf morgens mussten wir den Lärm ertragen. Fehlzündungen, extrem laute Musik, aufheulende Motoren", zählt die 50-Jährige auf, die Nachbarn pflichten ihr bei. Vergangenen Sommer war die Situation schon so, vor vier Wochenenden ging es wieder los, es werde von Mal zu Mal schlimmer. Man überstehe das nicht mehr einen erneuten ganzen Sommer, so die einhellige Meinung.

    Die Anwohner der Augsburger Tankstelle sind richtig sauer

    "Ich komme jeden Montagmorgen gerädert in die Arbeit, weil ich nicht schlafen konnte", berichtet Marion Unger, die ehrenamtlich einen Tierschutzverein betreibt und rund 30 Hunde auf ihrem Anwesen hat. "Manche Tiere haben wegen des Lärms so eine Angst, dass sie die ganze Nacht bellen." Wütend sind die Anwohner auch, weil ihre Straße und ihre Zufahrten von den Tankstellen-Besuchern einfach zugeparkt werden. "Wir können am Wochenende abends nicht weg, weil wir später gar nicht mehr unser Haus anfahren könnten", sagt ein Anwohner. "Da muss bei uns nur mal was passieren, und dann sind die Rettungswege dicht", ärgert sich ein weiterer. In solchen Nächten würden sie die Polizei anrufen. Was Claudia Lembert da offenbar widerfuhr, treibt sie nur noch mehr auf die Palme.

    "Zwei Mal hörte ich von der Polizei, sie fahre da nicht hin, weil alle Einsatzkräfte in der Maxstraße sind. Was sind wir hier? Menschen zweiter Klasse?", echauffiert sie sich und erzählt weiter: "Auf meine Frage nach der Bereitschaftspolizei erhielt ich die Auskunft, diese muss die Ruhepausen einhalten, da eine Fahrraddemo auf der B17 ist. Was ist mit unseren Ruhepausen?" Wieder pflichten ihr die anderen bei. Die Polizei selbst sagt, sie sei am Samstag mit uniformierten und zivilen Kräften vor Ort gewesen. Eine Zahl an Einsatzkräften nennt sie indes nicht. Auch polizeiintern wundern sich manche, dass nicht mehr getan wird.

    Kunden der Tankstelle und des Schnellimbisses beschwerten sich bei Polizei

    Laut Polizeisprecher Michael Jakob lag das Hauptaugenmerk auf der Sicherheit im Straßenverkehr. "Staus im Bereich der Stuttgarter Straße mussten zeitweise aufgelöst werden." Die Parkplätze der Tankstelle und des McDonald's seien völlig überfüllt gewesen. Kunden hätten sich beschwert, weil sie nicht zur Zapfsäule oder zum Restaurant gelangen konnten, so Jakob. "Die Besucher standen in Gruppen beieinander und beachteten die bereits gelockerten Infektionsschutzmaßnahmen nicht immer." Die Musik aus den Boxen habe die Aufmerksamkeit von Personen auf sich gezogen, die feiern wollten. "Es herrschte insgesamt eine friedliche und ausgelassene Feierstimmung", sagt die Polizei.

    Außer den Feiernden selbst hat offenbar niemand Spaß an dem Zustand. Auch nicht der Betreiber der McDonald's-Filiale. "Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass man unser Restaurant zu gewissen Tagen und Uhrzeiten nicht anfahren sollte. Das spüren wir in unseren Umsatz. Unsere Kernzielgruppe, nämlich Familien, ist leider abgewandert", sagt Franchise-Nehmer Tim Hendrikx. Um die Situation auf dem eigenen Grundstück unter Kontrolle zu halten, habe man in den letzten drei Monaten 400 Stunden Security-Service in Anspruch nehmen müssen.

    Das sagt der Pächter der Tankstelle am Gablinger Weg

    Sicherheitskräfte hatte Tankstellen-Pächter Werner Hager auch immer wieder engagiert, zuletzt an Pfingsten. Für letztes Wochenende allerdings nicht, da Gewitter und Regen angekündigt war, sagt er. Doch dann überrollte eine andere Flut seine Mitarbeiter. Er habe die Polizei gerufen, habe um Hilfe gebeten, um die Sperrung des Gablinger Wegs etwa. "Es hieß, es könne keiner kommen." Inzwischen hat Hager einen Bescheid der Stadt Augsburg erhalten. Über den Inhalt sagt er nichts, er wolle sich erst mit seinem Anwalt besprechen. Bei der Stadt betrachtet man die Entwicklung mit Sorge.

    Die Treffen der Autotuning- und Poser-Szene, so Ordnungsreferent Frank Pintsch (CSU) erstrecke sich weit in den öffentlichen Raum. Angesichts der Corona-Lockerungen sei die Frage des Infektionsschutzes inzwischen etwas weniger dramatisch. "Trotzdem muss der Abstand und die Begrenzung auf zehn Personen pro Gruppe eingehalten werden." Das Gesundheitsamt prüfe gerade, ob weitere Maßnahmen im Sinne des Infektionsschutzes für das Tankstellengelände erlassen werden müssen, um dort Menschenansammlungen zu verhindern.

    Junge Autoliebhaber: Man darf nicht alle über einen Kamm scheren

    Selbst am Dienstagabend haben sich etliche junge Menschen an der Aral-Tankstelle versammelt, manche sitzen auf mitgebrachten Campingstühlen um ihre Autos, sie plaudern, lachen. Auch die Gruppe um eine 20-jährige Jura-Studentin und dem gleichaltrigen Heilerziehungspfleger Gracian. An sechs Abenden die Woche treffen sie sich hier. "Wir sind junge Leute, die eine Leidenschaft für Autos haben. Auch wenn das nicht jeder verstehen mag", sagt die Studentin, die ihren Namen nicht nennen will. "Aber wir gehören nicht zu Posern", betont die junge Frau mit dem Mini Cooper. Man dürfe nicht alle über einen Kamm scheren. Sie genießen die Abende an der "Tanke", dass endlich wieder etwas los ist. "Ich kam während der Pandemie als Studentin nach Augsburg, ich hatte keine Chance, jemanden kennenzulernen", sagt sie. Durch die Autotreffen habe sie inzwischen viele Freunde gefunden.

    Lesen Sie dazu den Kommentar: Party an der Tankstelle: Die Situation ist nicht länger tragbar

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