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Augsburg: Hochwasser-Katastrophe weckt Erinnerungen an die Pfingstflut

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Hochwasser-Katastrophe weckt Erinnerungen an die Pfingstflut

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    Das Pfingsthochwasser 1999 hatte vor allem den Augsburger Stadtteil Pfersee betroffen.
    Das Pfingsthochwasser 1999 hatte vor allem den Augsburger Stadtteil Pfersee betroffen. Foto: Anne Wall (Archivbild)

    Susanne Braun kann sich im Fernsehen die Bilder von der aktuellen Hochwasserkatastrophe kaum anschauen. Dann steigen Erinnerungen in ihr hoch, an damals, als das Wasser der Wertach unaufhaltsam in ihre Straße kam, in die Uhlandstraße in Pfersee. Ihr Mann Gernot und sie versuchten noch schnell, Sachen aus dem Keller zu retten. Gerade als sie ihn sicherheitshalber verließen, barsten die Scheiben. Die Brauns sind nur eine von vielen Familien, die dem Augsburger Pfingsthochwasser 1999 zum Opfer fielen. Rund 10.000 Bürgerinnen und Bürger waren betroffen, als das Gögginger Ackermannwehr nach tagelangen Regenfällen von Bäumen, die in die Wertach gefallen waren, verstopft wurde.

    In der Nacht auf Pfingstsonntag brach der Damm. „Das Hochwasser jetzt hat natürlich eine ganz andere Dimension, es ist viel schlimmer, schockierender“, sagen die Brauns. Schließlich waren in Augsburg damals keine Todesopfer zu beklagen. Die Schäden waren zwar auch beträchtlich, hatten aber nicht dieses Ausmaß, wie gerade in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz oder in Teilen Bayerns. Zwei Ehepaare und eine Frau erzählen, wie sie das zur aktuellen Katastrophe sehen.

    Hochwasser in Augsburg: Das Wehr an der Wertach gab nach

    Brigitte Gschwender erinnert sich noch immer an das Gespräch, das sie am Ackermann-Wehr mitbekam. Die inzwischen 75-Jährige ist an jenem Pfingstsamstag mit ihrem Mann zur Wertach gegangen, um den steigenden Wasserstand zu beobachten. Die Gschwenders wohnen in der Schafweidsiedlung in Göggingen, die nahe der Wertach liegt. „Wird es kritisch? Müssen wir die Leute warnen?“, habe am Wehr der eine Mann den anderen gefragt. „Damit würden wir nur die Pferde scheu machen“, habe der andere entgegnet. „So in etwa fielen die Sätze, den ganz genauen Wortlaut kann ich nach so langer Zeit nicht mehr wiedergeben“, sagt

    Unter dem Druck des Jahrhundert-Hochwassers brach 1999 der Wertach-Damm am Ackermann-Wehr.
    Unter dem Druck des Jahrhundert-Hochwassers brach 1999 der Wertach-Damm am Ackermann-Wehr. Foto: Fred Schöllhorn (Archivbild)

    Hilfeschreie in der Nacht: „Bei uns steht alles unter Wasser“

    Damm und Wehr waren gebrochen. Brigitte Gschwender hörte eine Frau auf der Straße schreien: „Hilfe, Hilfe, bei uns steht alles unter Wasser.“ Der Strom fiel aus. Das Haus der Gschwenders blieb verschont, andere erwischte es übel. „Die Menschen wurden damals nicht gewarnt. Wenn man sie schon am Nachmittag auf die Gefahr aufmerksam gemacht hätte, hätte man einige Stunden Zeit gehabt, sich auf das Wasser vorzubereiten“, sagt die Seniorin. Sie sieht hier Parallelen zur Katastrophe in Westdeutschland. Auch Annemarie und Hans Tonch, das Hausmeisterehepaar der Hans-Adlhoch-Schule in Pfersee, hat es in jener Nacht buchstäblich kalt erwischt.

    Tonchs kamen in der Nacht auf Pfingstsonntag spät von einer Hochzeit nach Hause in ihre Dienstwohnung im Parterre der Schule. Um vier Uhr klingelte das Telefon. Als Annemarie Tonch vom Schlafzimmer aus die Treppen nach unten zum Telefon ging, trat sie plötzlich in Wasser. Die Frage ihrer Freundin am Telefon, wie es an der Schule mit Hochwasser aussieht, hatte sich damit erübrigt. „Hier ist alles voll Wasser“, rief Tonch zu ihrem Mann hoch. „Ich rief zurück, ob sie spinnt und vergessen hat, die Waschmaschine auszuschalten. Ich dachte an einen Rohrbruch, aber doch nie im Leben an Hochwasser“, erzählt Hans Tonch rückblickend.

    Ihr Keller war bis zur Brusthöhe vollgelaufen, Wohnzimmer, Flur und Küche standen bis zu 20 Zentimeter unter Wasser. Erst drei Jahre zuvor war das Hausmeisterehepaar hier eingezogen, die Möbel hatten es sich neu gekauft. In der Schule selbst stand das Wasser im Flur 70 Zentimeter hoch. „Dort schwamm alles – Öl, Fäkalien, sogar die Holzbüsten, die Kinder damals im Unterricht gebastelt hatten.“ In der Turnhalle stand das Wasser fast zweieinhalb Meter hoch, knapp unter den Basketballkörben. „Der Boden sah aus, wie eine Skaterbahn, er war total gewölbt.“

    Allein in der Halle habe der Schaden über 60.000 Mark betragen, erinnert sich Tonch. Er und seine Frau bekamen von der Stadt ein Wohnmobil gestellt, denn ihre Wohnung war unbewohnbar. Annemarie Tonch kochte auf einer Elektroplatte in der Schule, hin und wieder brachten ihnen Lehrer warme Mahlzeiten vorbei. Das Hausmeister-Ehepaar war nicht gegen Hochwasser versichert. Ihr eigener Schaden war rund 70.000 Euro hoch. Vom Staat hätten sie 6000 Mark erhalten.

    Brigitte Gschwender hat alle Zeitungsartikel über das Pfingsthochwasser 1999 in Augsburg gesammelt.
    Brigitte Gschwender hat alle Zeitungsartikel über das Pfingsthochwasser 1999 in Augsburg gesammelt. Foto: Annette Zoepf

    Augsburger Hochwasser 1999: Sie waren nicht versichert

    Das Parkett mussten sie gleich zwei Mal rausreißen und erneuern, denn die Feuchtigkeit im Boden war hartnäckig. Ein Jahr habe es gedauert, bis Dienstwohnung, Schulgebäude und Turnhalle wieder intakt waren. Wenn die 59-jährige Annemarie Tonch die aktuellen Bilder aus den Katastrophengebieten im Fernsehen sieht, wird ihr ganz anders zumute.

    Dann läuft vor ihren Augen ein Film ab, wie es damals beim Pfingsthochwasser in Augsburg war. „Es ist so schlimm, was die Menschen dort jetzt erleben müssen“, sagt sie mitfühlend. „Überall der Schlamm, das war bei uns auch so“, meint ihr 63 Jahre alter Mann. Noch jetzt seien manche Fugen in der Turnhalle braun. „Das kriegt man nicht weg – auch nicht mit dem Hochdruckreiniger.“ Was sich vor allem aber eingebrannt hat, ist der Schrecken über das, was man in Augsburg nicht erwartet hätte. Als Susanne und Gernot Braun in der Uhlandstraße in Pfersee einst die Doppelhaushälfte kauften, sahen sie keinen Grund, sich gegen Hochwasser zu versichern. Schließlich sei die Wertach weit genug weg. Doch dann kam morgens das Wasser plötzlich ihre Straße entlang gelaufen.

    Augsburg unter Wasser: Das Luftbild zeigt die Ausmaße des Pfingsthochwassers. Rechts die Herz Jesu-Kirche in Pfersee-Süd.
    Augsburg unter Wasser: Das Luftbild zeigt die Ausmaße des Pfingsthochwassers. Rechts die Herz Jesu-Kirche in Pfersee-Süd. Foto: Wasserwirtschaftsamt Donauwörth

    Pfingstsonntag um 5.30 Uhr am Morgen stand eine Einsatzkraft bei Brauns vor der Tür und warnte vor dem Hochwasser. „Ich sah aus dem Fenster und dachte 'Scheibenkleister'. Das Wasser steht tatsächlich schon an der Kurve“, berichtet die Architektin. Das Ehepaar brachte seine Autos weg, nahm die Sicherungen raus. Gernot Braun holte aus dem Keller die alte Garderobe seines Großvaters, sie hat für ihn ideellen Wert. Die Beine des Flügels im Wohnzimmer steckten sie in Putzeimer, den Tisch in Töpfe. „Wir haben in dem Moment nur funktioniert.“ Das Wasser kam unerbittlich, auch in ihr Haus. In ihrer Verzweiflung freuten sich die Brauns über die Hilfsbereitschaft von Familie und Freunden, aber auch von Nachbarn, die sie bis dahin gar nicht kannten. Aber es habe auch die anderen Menschen gegeben.

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    Es war die größte Katastrophe der Nachkriegszeit in Augsburg: An Pfingsten 1999 überflutete ein Hochwasser Teile der Stadt und der Region.

    Schaulustige kamen nach Pfersee

    Als Bauträger Gernot Braun in den aktuellen Nachrichten über die Katastrophengebiete von Plünderern hört, kommt ihm das bekannt vor. „Auch damals gab es Räuber. Mit Nachbarn habe man abwechselnd Wachdienst über die gefluteten Häuser gehalten. Und dann noch die Schaulustigen, die mit Autos durch das Wasser in der Uhlandstraße pflügten. „Bei jedem Auto stieg das Wasser in unserer Wohnung.“

    In der Chemnitzer Straße in Pfersee standen die geparkten Autos in statt neben der Wertach.
    In der Chemnitzer Straße in Pfersee standen die geparkten Autos in statt neben der Wertach. Foto: Annette Zoepf (Archivbild)

    Dennoch, betonen beide, sei das Pfingsthochwasser von Augsburg 1999 nicht mit dem jetzigen zu vergleichen. „Was sich allerdings nicht geändert hat, ist das menschliche Versagen. Damals wie heute wurden die Menschen zu spät über die Gefahr informiert“, meint der 49-Jährige. „Wir wurden nicht rechtzeitig vorgewarnt, dabei hatten die Einsatzkräfte doch schon die ganze Nacht gegen das Hochwasser gekämpft.“

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