Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Augsburg: Hip-Hop gegen den Rest der Welt: Tag 2 auf dem Modular

Augsburg

Hip-Hop gegen den Rest der Welt: Tag 2 auf dem Modular

    • |
    Am zweiten Tag des Modulars stand vor allem Rap auf dem Programm. Mit dabei: die Stuttgarter "Orsons".
    Am zweiten Tag des Modulars stand vor allem Rap auf dem Programm. Mit dabei: die Stuttgarter "Orsons". Foto: Peter Fastl

    „Wie findest du Rap? Wie findest du Rap?“, dröhnt es von der Bühne am Kessel. Es geht auf 22 Uhr zu, ein paar Wölkchen am Himmel sind hübsch orange eingefärbt, in etwa die Farbe, die auch dieser aufgeblasene, glubschäugige Fledermausdrache hat, der hinter den Orsons seine Flügel ausbreitet. Es sind nämlich die Stuttgarter, die diese Frage ans Modular-Publikum rappen, nach einer Pause wieder zurück und mit ersten Songs aus ihrem im August erscheinenden Album „Orsons Island“.

    Die Antwort auf die Frage versteht sich hier von selbst. Denn Modular an Tag zwei – das ist auf der größten Bühne eh wieder der Rap-Tag. Und jetzt zum Abschluss zum Headliner ist es ordentlich voll am Kessel, es wird fleißig mitgehüpft und gejubelt, die Orsons versetzen zuverlässig und ja auch nicht zum ersten Mal mit ihrem Party-Rap das Modular in Party-Stimmung. Und die orangenen Wölkchen künden noch davon: Es war ein meist bewölkter, aber durchweg trockener zweiter Tag. Der Sound im Lauf der bis dahin vergangenen Festival-Stunden aber auch schon mal ein ganz anderer. Nicht nur, aber auch auf der Rap-Bühne...

    Auftakt zu Tag 2 des Modular-Festivals mit "Wunschkonzert"

    Als erstes wirklich umjubelt an diesem Freitag war indes nichts auf den Bühnen draußen – sondern bereits um 16 Uhr das hinreißende „Wunschkonzert“ in der Bühne am Theater vor sehr gut gefülltem Zuschauerraum. Da konnte man innerhalb nur weniger Minuten den Schwenk von Fahrstuhlmusik zu einer Reggae-Version von AnnenMayKantereits „Zuhause bist immer nur du“ erleben – da konnte man sich aber auch fragen, wieso Sonderfahrten der Trams zum Modulargelände erst um 18 Uhr einsetzen. Versteht das einer, wo doch hier schon so Schönes geboten wird? Auf der Bühne am Kessel setzte nach den netten The Lytics da auch schon bald die Deutsch-Rapperin Ebow zu ihren kräftigen, aber nie platten Reimen. Und die wenigen, die da schon da waren, bekamen von ihr nicht nur ein Medley mit ihren eigenen Rap-Heldinnen zu hören, von Lil' Kim bis Lauryn Hill – sondern auch noch das Geständnis, dass sie sich „superschwach“ fühle, weil sie gerade ihre Tage habe. „Aber is' eh okay, oder?“, sagte sie und rappte danach gleich mal: „Schmeck mein Blut!“ Geschmackssache.

    Sieger im diesjährigen Outfit-Trend sind irgendwelche Glitzersachen in den weiblichen Gesichtern. Der Blümchenkleidchentrend vom vergangenen Jahr ist unterdessen wieder im Meer der Erscheinungen untergegangen, während die Ulk-Verkleidungen vieler anderer Festivals wie Ganzkörperplüschtierteile bei Modular eigentlich gar keine Rolle spielen. Dafür gibt’s mal ein Pärchen in schreienden Hawaiihemden, die sich so garantiert auch im späten Dunkel dieses längsten Tages des Jahres wiedergefunden haben.

    Verlierer sind bei ansonsten verhaltensunauffälligem Publikum jene, die meinen, eine Schlacht mit dem auch für Bodensitzbereiche ausgebrachten Hackschnitzeln wäre irgendwie so was wie lustig. Ach ja, und Sieger der Neuordnung durch das neue Gelände ist sicher auch die kleine DJ-Bühne auf der Lichtung. Im Vergleich zur Terrasse im Wittelsbacher ist das nicht nur schöner, es wirkt auch einladender, eigenständiger, da wurde jedenfalls hübsch getänzelt und gefeiert.

    Loyle Carner kann sein Glück gar nicht fassen

    Und um die Vielfalt allein auf der Rap-Bühne und zugleich die Liste der Gewinner dieses Freitags noch zu Ende zu bringen: Tua hatte nachmittags solo die bei weitem eine feinere Performance hingelegt als abends als Teil der bounce-brachialen Orsons. Mit Songs wie „Bruder“ oder dem durch eine Zugabe sogar doppelt gespielten „Wem mach ich was vor“ zeigt der Reutlinger textlich, im Rappen wie im Singen, aber auch in Effekt und Melodie Fähigkeiten, die man in dieser Differenziertheit gerne öfter auf Rap-Bühnen sehen würde.

    Und so sehr gefeiert, dass er's selbst kaum fassen konnte, wurde der Londoner Loyle Carner. Ist aber auch einfacher feiner Old-School-Hip-Hop, den der Herr liefert – da konnte dann auch ein sehr junger Mann nicht an sich halten und tanzte (wie schon nebenan auf der Bühne im Park zu den Wienern Cari Cari) mit auf die Bühne und wollte gar nicht mehr runter, bis er von einem Herrn der Stage-Crew abgegriffen wurde. War's der Papa? Auch der Kleine jedenfalls: klarer, cooler Modular-Sieger an Tag zwei.

    Cari Cari: "Abgehangener Rock mit Südstaaten-Flair"

    Auf der etwas kleineren Park-Bühne gehört der Freitag allen, die kein Hip-Hop sind. Was natürlich ein ziemlich großes Spektrum bedeutet – und ein etwas anderes Publikum anspricht. Als International Music „Knie kaputt, Frisur ist scheiße, die besten Jahre sind vorbei“ deklamieren, nehmen das auf dem gut gefüllten Platz sehr viele graumelierte Indie-Bescheidwisser zur Kenntnis, während ein anderer Teil des Publikums eher mit Ballwerfen und Biertrinken beschäftigt ist. Nein, die drei Essener haben es nicht leicht an diesem Tag mit ihren Songs zwischen Krautrock und Velvet Underground, mit ihren Texten zwischen Dada und poetischer Skizze, die vielleicht mehr Aufmerksamkeit brauchen, als es in so einem Rahmen möglich ist. Und irgendwie scheinen auch sie mit dem Prinzip Festivalbühne zu fremdeln, murmeln ihre Ansagen eher in sich hinein. Zwischendurch prosten sich Sänger Peter Rubel und Bassist Pedro Goncalves Crescenti mit ihren Bierflaschen zu: „Auf den Rock ’n‘ Roll“. Er braucht Unterstützung.

    Dieser Junge durfte bei Loyle Carner mit auf die Bühne.
    Dieser Junge durfte bei Loyle Carner mit auf die Bühne. Foto: Peter Fastl

    Andererseits: Später, bei Cari Cari, funktioniert das ganz passabel mit dem Rock und den Gitarren. Wobei das schon irgendwie seltsam ist, was die Österreicher da machen: Die Moderatorin kündigt sie als „The xx mit Cowboyhut“ an, was danach kommt, ist aber eher White Stripes mit Didgeridoo, was sich mit der Idee der Band, einen Soundtrack für einen noch nicht gedrehten Quentin-Tarantino-Streifen zu machen, etwas beißt: Ob der Filmemacher wirklich auf abgehangenen Rock mit Südstaaten-Flair steht?

    Ein Höhepunkt beim Modular 2019: Altin Gün

    Besser funktioniert das Rezept bei Altin Gün aus Amsterdam, auch wenn die Zutatenliste sich merkwürdig liest: türkische Folklore in einem Gewand aus Psychedelic-Rock und Disco-Funk. Tatsächlich groovt die dreiköpfige Rhythmusmaschine der Band um Gründer und Bassist Jasper Verhulst unwiderstehlich, während darüber Wah-Wah-Gitarre, spacige Italo-Synthies, die türkische Langhalslaute Saz (in der E-Version) sich mit den Melodien abwechseln und die Sänger Erdinc Yilviz Ecevit und Sängerin Merve Dasdemir die türkischen Texte singen. Altin Gün sind das Ergebnis einer geglückten Aneignung, eines interkulturellen Dialogs, der keine pädagogische Begleitung braucht. Der Ottonormalkartoffel fährt diese ostwestliche Musik direkt in die Beine, während die des Türkischen mächtigen Besucher angesichts der altmodischen Texte über die Liebe gerührt dastehen. Ein Höhepunkt beim Modular 2019.

    Aber nicht der letzte. Denn mit Noga Erez, die das Programm auf der Bühne im Park beschließt, schaut am Gaswerk ein Stück große Popwelt vorbei. Zumindest spricht vieles dafür, dass die junge Israelin bald auf deutlich größeren Bühnen unterwegs sein könnte. Denn ihr elektronischer, effektgeladener R&B-Pop, der musikalisch auf britischer Bassmusik und Hip-Hop gebaut ist, hat nicht nur die Wut einer Künstlerin wie M.I.A., sondern auch die massentaugliche Klasse von Kolleginnen wie Robyn. Noga Erez tanzt, springt, kickt und stolpert über die ganze Breite der Parkbühne, während ihr (musikalischer) Partner Ori Rousso dazu Instrumentals abfeuert, die so mächtig tief dröhnen, wie es die Texte verdient haben. Denn hier geht es nicht nur um Befindlichkeiten, sondern auch Politik, Gesellschaft, Menschheit. „Off the Radar“, wie es einer der Songs behauptet, ist Noga Erez ganz bestimmt nicht. Toll, dass das Modular diese vielversprechende Künstlerin auf dem Schirm hatte.

    Was am ersten Tag des Modular los war, lesen Sie hier: Tag 1 beim Modular: Zu diesen Bands feierten die Fans - nach dem Regen

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden