Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Augsburg: Hartz IV statt Manege: So geht es dem in Augsburg gestrandeten Zirkus

Augsburg

Hartz IV statt Manege: So geht es dem in Augsburg gestrandeten Zirkus

    • |
    Die Werbeplakate fürs Weihnachtsgastspiel 2020 waren bereits gedruckt, nun sind sie in einer Halle eingemottet. Der Moskauer Weihnachtscircus kann in Augsburg nicht auftreten.
    Die Werbeplakate fürs Weihnachtsgastspiel 2020 waren bereits gedruckt, nun sind sie in einer Halle eingemottet. Der Moskauer Weihnachtscircus kann in Augsburg nicht auftreten. Foto: Michael Hochgemuth

    Nando Frank weint, wenn er über Weihnachten spricht. Normalerweise locken der Zirkuschef und seine Familie mit ihrem Moskauer Weihnachtscircus jedes Jahr viele Menschen in ihr Zelt an der Riedinger Straße. Nun stehen die Zirkusleute auf dem Gelände des ehemaligen Gartenmarkts Glötzinger - und wissen nicht mehr weiter. Es ist nicht der einzige Zirkus in Notlage.

    Beim Moskauer Weihnachtscircus waren die Planungen für die Weihnachtsshow schon voll im Gang. Die städtischen Behörden hätten sogar 200 Zuschauer im Zirkuszelt genehmigt, sagt Juniorchef Gino Frank. "Wir wollten schon loslegen mit der Werbung, dann kam der Lockdown." Sogar die Artisten seien bereits angereist, ergänzt sein Vater Nando Frank. "Das Schlimmste ist, die kriegen vom Jobcenter kein Geld", sagt er. Die Wenigen, die Hartz IV bekämen, müssten jetzt alle anderen mit durchbringen.

    Miete und Futterkosten belasten den Moskauer Weihnachtscircus

    Denn der Zirkus hat hohe Kosten. Über 2000 Euro Miete müsse man pro Monat zahlen. Aber Anja Frank ist froh, dass sie überhaupt irgendwo unterkommen konnten. Die Zirkustiere sind bei einem Tierpfleger in Nordrhein-Westfalen untergebracht. "Zum Glück", sagt Anja Frank, "aber wir müssen trotzdem Geld hinschicken für das Futter."

    Durch Corona hätten sich beim Zirkus "Schulden über Schulden" angehäuft. Bereits im Sommer - sie waren auf Tour in Thüringen und Sachsen - sei keiner in die Vorstellungen gekommen, schildert Anja Frank. "Die Leute haben Angst." Zudem kämen im Sommer sowieso weniger Menschen in den Zirkus.

    Zirkusfamilie ist auf Tafelspenden angewiesen

    Auch gesundheitliche Probleme belasten die Familie Frank. Im Januar 2019 erlitt Seniorchef Nando Frank einen schweren Schlaganfall. Bis heute komme er nur mithilfe seiner Söhne aus dem Wohnwagen, sagt seine Frau. Ein neuer, behindertengerechter Wagen steht bereits auf dem Platz, doch dieser muss noch umgebaut werden. Allein das kostet nach Angaben der Familie rund 30.000 Euro.

    Um diese Summe zu erreichen, hat Silvia Schröttle gemeinsam mit einer Freundin eine Online-Spendenaktion ins Leben gerufen. Die Franks kennt sie durch ihr Engagement bei der Neusässer Tafel. "Die haben uns immer so viele Freikarten für Bedürftige gegeben." Nun muss sie im Gegenzug der Zirkusfamilie helfen. Sie hat Spenden aufgetrieben, um den neuen Wagen aus der Werkstatt auszulösen, und bringt den Zirkusleuten mehrmals die Woche Essen vorbei, das bei der Tafel übrig geblieben ist . "Wir hätten nie gedacht, dass wir mal selber in der Lage sind", sagt Nando Frank. Ihm graut es schon vor den Feiertagen, wenn auch die Tafel geschlossen hat. "Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich denke, dass dieses Jahr die Weihnachtsgans ausfallen muss", sagt der Zirkuspatriarch.

    Im leer stehenden Gartenmarkt wird weiter trainiert

    Der Weihnachtscircus hofft auf Spenden durch die Augsburger. Juniorchef Gino Frank kündigt an: "Wir möchten die erste Vorstellung, die wieder möglich ist, für alle Helfer kostenlos machen." Dafür üben die Zirkusleute schon jetzt. Unter dem Glasdach des ehemaligen Gartenmarkt-Gebäudes steht ein großes Trampolin, auch eine Slackline ist aufgespannt. "Das Training geht weiter: Wer rastet, der rostet", sagt der Seniorchef, und seine Frau meint: "Wir bleiben so lange hier, bis Veranstaltungen wieder erlaubt sind."

    Die Show muss weitergehen: In den Hallen des Gartenmarkts Glötzinger wird trotz Auftrittsstopps geprobt.
    Die Show muss weitergehen: In den Hallen des Gartenmarkts Glötzinger wird trotz Auftrittsstopps geprobt. Foto: Michael Hochgemuth

    Möglichst schnell weg möchte hingegen ein anderer Zirkus, der zurzeit in Lechhausen steht. Auf dem Ledvance-Areal an der Berliner Allee steht Remo Frank mit seinem Zirkus. "Es ist katastrophal", fasst er die eigene Lage zusammen. Seine ganzen Ersparnisse habe er in sein neues Showkonzept gesteckt: "Remos Trolle" - passend zum Kinder-Animationsfilm "Trolls", dessen Fortsetzung dieses Jahr ins Kino kommen sollte. "Ich habe jeden guten Schaustellerplatz gekriegt - von hier bis nach Dresden." Doch nach zwei Vorstellungen Anfang März war wegen Corona Schluss.

    Seitdem sitzt er in Augsburg fest. Remo Frank fehlt das Geld, um den Lkw aus der Werkstatt zu holen. Über den Sommer sei er in verschiedenen Biergärten und in der Fußgängerzone aufgetreten, um Geld zu sammeln. Mit Vorstellungen an der Berliner Allee wollte er ebenfalls Geld einnehmen, um danach nach Landshut umzuziehen und dort den Weihnachtszirkus zu spielen. Die Artisten habe er schon nach Hause geschickt und das Programm nur mit seiner Familie gemacht, erzählt der 31-Jährige. "Wir haben fünf Wochenenden angesetzt, davon konnten wir vier spielen. Ein bisschen was ist da schon zusammengekommen, davon konnte ich ein paar Rechnungen bezahlen." Doch vor dem letzten Wochenende kam der Lockdown light.

    Chef von "Remos Trolle" kritisiert Politik

    Der Zirkuschef hat wenig Verständnis für die Maßnahmen. "Ich finde da keine Logik. Warum muss ein Betrieb, der alle Regeln einhält, schließen", fragt er und kritisiert das Gedränge in Innenstadt und ÖPNV vor dem 16. Dezember. Für die Frühjahrstournee hat er bereits die ersten Absagen. "Die Politik muss sich mehr einfallen lassen", beklagt Remo Frank. Trotzdem ist er froh um den Sozialstaat in Deutschland. Aktuell lebt auch er von Hartz IV. "Uns hat auch ein Sozialarbeiter sehr stark unter die Arme gegriffen", bedankt sich Frank.

    Anja und Nando Frank wissen nicht, was die Zukunft bringt. Sie haben wegen Corona Schulden angehäuft.
    Anja und Nando Frank wissen nicht, was die Zukunft bringt. Sie haben wegen Corona Schulden angehäuft. Foto: Michael Hochgemuth

    Jetzt benötigt er wieder Unterstützung, sagt er. "Es steht im Raum, dass das Jobcenter die Miete hier nicht mehr zahlt". Auch das Propangas für die Beheizung der Wohnwagen würde viel Geld verschlingen. "Wir wissen nicht, wie wir aus der Sache wieder rauskommen. Wir wollen unseren Zirkus nicht verlieren." Auch für ihn wird es ein hartes Weihnachten.

    Hinweis: Der Moskauer Weihnachtscircus warnt vor Trittbrettfahrern, die von Haus zu Haus gehen und im Namen des Zirkus um Spenden bitten. Wer helfen möchte, solle sich direkt an den Moskauer Weihnachtscircus (01786679643) wenden. Für Remos Trolle kann man unter der IBAN DE89 6601 0075 0509 2047 54 spenden oder unter 017684727779 Kontakt mit Remo Frank aufnehmen.

    Das könnte Sie auch interessieren:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden