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Augsburg: Für den neunjährigen Jerome kann das Coronavirus tödlich sein

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Für den neunjährigen Jerome kann das Coronavirus tödlich sein

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    Jerome, 9, leidet an einer seltenen Nervenkrankheit. Das Coronavirus könnte für ihn tödlich sein. Mutter Tanja Schießl macht sich Sorgen.
    Jerome, 9, leidet an einer seltenen Nervenkrankheit. Das Coronavirus könnte für ihn tödlich sein. Mutter Tanja Schießl macht sich Sorgen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Seit Jerome auf der Welt ist, hat Tanja Schießl Angst um ihren Sohn. Er könnte jeden Tag sterben. Der neunjährige Junge aus Augsburg leidet an einer seltenen und unheilbaren Erkrankung der Nervenzellen, die alle Muskeln beeinträchtigt. Eine Maschine beatmet ihn rund um die Uhr, er wird über eine Magensonde ernährt. Manche Kinder mit einer Spinalen Muskelatrophie (SMA) erreichen erst gar nicht Jeromes Alter. Das Coronavirus könnte für Jerome tödlich sein. Doch Mutter und Sohn versuchen, Ruhe zu bewahren.

    Kisten, Taschen und Koffer stehen am Freitagmorgen im Flur der Wohnung in Haunstetten. Zwei Mal im Jahr dürfen Tanja Schießl und Jerome eine Art "Urlaub" machen. Dann geht es ins Kinderhospiz nach Bad Grönenbach im Unterallgäu. Dabei geht es um die Entlastung der Eltern. In der Einrichtung werden Familien mit Kindern betreut, die an einer unheilbaren lebensverkürzenden Krankheit leiden. Für die 31-jährige bedeutet der Aufenthalt die Möglichkeit, durchzuatmen. Jetzt ist es wieder soweit.

    Augsburgerin versucht Angst wegen Coronavirus nicht an sich ranzulassen

    Schießl ist alleinerziehend. Sie kümmert sich rund um die Uhr um ihren schwerkranken Sohn. Im Kinderhospiz hat sie Zeit für sich, und wenn es nur ein Spaziergang durch den Wald ist. Jerome freut sich, wenn seine Mutter freie Zeit hat. Die beiden stehen sich sehr nahe. Doch am Freitag bekommt Schießl kurz vor der Abreise noch einen Schreck. Das Hospiz ruft bei ihr an. "Man wollte wissen, ob Jerome und ich zuletzt in einem Corona-Risikogebiet waren", erzählt sie. "Ich hatte schon Angst, dass sie uns absagen." Doch sie dürfen fahren. Tanja Schießl versucht, die Gefahr des neuartigen Virus nicht an sich und Jerome heranzulassen. Seit neun Jahren lebt sie in Sorge um ihr Kind. So auch jetzt.

    Tanja Schießl ist im wahrsten Sinne des Wortes eine starke Mutter. Und wenn es nur darum geht, dass sie ihren Sohn Jerome trägt.
    Tanja Schießl ist im wahrsten Sinne des Wortes eine starke Mutter. Und wenn es nur darum geht, dass sie ihren Sohn Jerome trägt. Foto: Christoph Kölle

    "Aber wir beide haben eine Scheißangst vor Corona", gibt Schießl zu. "Jerome darf nicht daran erkranken. Für vollzeitbeatmete Menschen kann das Virus den Tod bedeuten." Entsprechend beunruhigt sei auch ihr Sohn. "Mama, was ist denn, wenn ich Corona bekomme?" frage er sie immer wieder. Dabei kennt Jerome die Antwort selbst. Erst im Oktober vergangenen Jahres hat das Kind nur knapp eine Lungenentzündung überlebt. Daran habe er immer noch zu knabbern, verrät seine Mutter. Es muss eine furchtbare Zeit gewesen sein.

    Schießl sagt, dass sie schon über eine Sterbebegleitung nachgedacht hatte. "Wir mussten mit zwei Absaugern arbeiten, sonst wäre Jerome am Schleim erstickt." Husten kann der Bub nicht. Dafür reicht sein Lungenvolumen nicht aus, seine Muskeln machen nicht mit. Besonders schlimm waren für Schießl die Worte ihres Kindes. "Er sagte, er habe keine Lust mehr. Er war fertig."

    Jerome versteht nicht, warum manche Witze über das Virus machen

    Für Schießl ist das Coronavirus eine Gratwanderung zwischen Sorge und dem normalen Leben, das sie ihrem Sohn trotz allem bieten will. Bis zuletzt noch wurde der Junge täglich von einem Fahrdienst für die Schule im Fritz-Felsenstein-Haus abgeholt. "Ich wollte ihn nicht einsperren", meint die Mutter. Nun hat sich das Thema vorerst erledigt. Auch im Zentrum für Menschen mit Körper- oder Mehrfachbehinderung in Königsbrunn entfällt der Unterricht aufgrund des Coronavirus für die nächsten fünf Wochen. Insgeheim ist Tanja Schießl froh darüber. Auch wenn sie noch nicht weiß, wie sie das mit dem Putzen dann handhaben soll. Denn auf Hygiene muss in dem Haushalt besonders geachtet werden. "Mit Essigreiniger und Clorex kann ich erst einmal nicht mehr reinigen. Jerome darf das nicht einatmen", erklärt sie.

    Schießl hofft, dass sie in nächster Zeit weiterhin reichlich Desinfektionsmittel vom Pflegedienst zur Verfügung gestellt bekommt. Meldungen von Hamsterkäufen regen sie auf. Schließlich gebe es hochgefährdete Menschen, wie ihren Sohn, die diese Sachen dringend bräuchten. Die 31-Jährige ist gespannt, ob Jerome angesichts der aktuellen Lage trotzdem seine neuen Beatmungsmaschinen erhält. Die jetzigen seien ein Auslaufmodell. "Wir bangen bei jeder Bestellung, dass wir nicht hören müssen, dass man nicht liefern kann. Seien es Medikamente oder die komplette Rundum-Versorgung für Jerome." Eines macht Schießl wütend: Witze über das Coronavirus. Ihr Sohn habe gefragt, was die Leute lustig daran fänden. "Lachen die dann auch über mich, Mama?"

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