Viel bietet Majed Al Naser in seinem Laden am Judenberg nicht an. Doch seine selbst gemachten Falafel sind so bekannt, dass sämtliche Blogger und Bewertungsportale die "Kichererbse" im Internet aufführen und empfehlen. Seit 21 Jahren gibt es den nicht einmal 15 Quadratmeter großen Imbiss, in dem der Mann mit der Wollmütze und dem spitzen Bärtchen montags bis samstags in der Küche steht und Falafel nach dem Rezept seiner Mutter in der gusseisernen Pfanne frittiert. Doch im Sommer soll Schluss sein. Dem 54 Jahren alten gebürtigen Syrer wurde vor wenigen Tagen das Mietverhältnis gekündigt. Ende August muss er das Lädchen räumen. Für Al Naser ist das eine Katastrophe. Nachbarn sind entsetzt.
"Die Kichererbse ist mein persönlicher Ditsche-Laden"
Die Kichererbse ist nicht einfach nur ein Falafel-Imbiss. Manchmal muss der Kunde hier etwas Zeit mitbringen, bis seine Kichererbsen-Mahlzeit fertig zubereitet und in das blau-weiß karierte Papier eingewickelt ist. Das lässt Zeit für Gespräche. Wie Al Naser erzählt, kommen zu ihm Studenten und Schüler wie auch Arbeiter, Ärzte und Anwälte. Man plaudert, in ruhigen Minuten sitzt Al Naser mit Freunden auf kleinen Holzschemeln vor der Eingangstür. Dann wird geraucht, Musik gehört und gemeinsam das Leben in Augsburg durchgekaut. Mathias M. aus München bringt es auf dem Online-Bewertungsportal Yelp auf den Punkt: "Die Kirchererbse ist mein persönlicher Dittsche-Laden. ... Hinter dem Tresen steht ein sehr sympathischer Rasta-Mann. ... Hier gehen die Uhren etwas anders. Auch sind meist (und hier der Bezug zu Dittsche) zwei seiner Freunde anwesend im Laden."
Warum Al Naser vom Eigentümer des Hauses gekündigt wurde, weiß er nicht. "Ich bin schockiert. Der Laden muss am Judenberg bleiben. Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll", sagt er. Den Mietern in den Wohnungen darüber wurde nicht gekündigt, gleichwohl sind manche betroffen. Ehepaar Stefanie Demmer und Andreas Grüneberg etwa, die direkt über dem Geschäft wohnen.
Der Judenberg habe sein spezielles Flair
Aus dem Häuschen seien sie, meint das Paar. "Majed Al Naser ist eine Institution am Judenberg. Wir verstehen das nicht. Sein Laden läuft doch." Auch Apotheker Florian Schwarz von der Stern-Apotheke am benachbarten Moritzplatz geht der Rauswurf nahe. "Die Kichererbse ist Kult. Wer geht da nicht rein? Was will man denn stattdessen reinmachen? Eine schicke Bar? Das würde nicht funktionieren." Der Judenberg habe sein spezielles Flair, findet der Apotheker. Von Seiten der Immobiliengesellschaft, die den Eigentümer vertritt, war auf Anfrage bislang keine Reaktion zur Beendigung des Mietverhältnisses zu bekommen.
Für Apotheker Schwarz und das Nachbar-Ehepaar wäre der Weggang Al Nasers auch ein menschlicher Verlust. "Er ist hilfsbereit wie kein anderer." Doch jetzt scheint es, dass der Falafel-Koch selbst Hilfe braucht.
Eigentlich wollte Majed Al Naser in Deutschland studieren
In Syrien hatte der Sohn einer großen Familie aus Damaskus als junger Mann angefangen Chemie, Physik und Mathematik zu studieren. Seine Mutter schickte ihn in den 80er Jahren nach Deutschland, damit er dem Militärdienst entgeht. "Ich wollte in Deutschland weiter studieren", berichtet er. Letztendlich scheiterte er an der deutschen Sprache. "Ich arbeitete in einer Fabrik, an einer Bar, war bei Weltbild angestellt." Eines Abends kam er mit einer Freundin an dem Laden am Judenberg vorbei. Die Glastür war zu, eine Gardine hing davor. "Ich sagte zu ihr, das wäre der perfekte Falafel-Laden."
Er und Apotheker Schwarz erinnern sich, dass das schmale Geschäft früher immer wieder die Besitzer wechselte. "Mal wurden Hotdogs verkauft, mal Pizza, mal Hamburger", meint Al Naser. Zwei Jahre wartete er, bis er 1998 den Zuschlag bekam. Jetzt, über 20 Jahre später, versteht Al Naser die Welt nicht mehr. "Die können mich doch nicht einfach so rauswerfen. Wo soll ich denn hin?"
In unserem neuen Podcast "Augsburg, meine Stadt" hören Sie, was Ladenschließungen bei den Besitzern auslösen – und was sie für eine Stadt wie Augsburg bedeuten: