Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Augsburg: Fahrrad-Boom: Augsburgs Händlern gehen die Räder aus

Augsburg

Fahrrad-Boom: Augsburgs Händlern gehen die Räder aus

    • |
    Jan Nicolaus ist Mitinhaber der Fahrradzentrale. Er versucht, für jeden seiner Kunden das passende Fahrrad zu finden. Doch der Vorrat wird knapp. Mancher Wunsch bleibt daher unerfüllt.
    Jan Nicolaus ist Mitinhaber der Fahrradzentrale. Er versucht, für jeden seiner Kunden das passende Fahrrad zu finden. Doch der Vorrat wird knapp. Mancher Wunsch bleibt daher unerfüllt. Foto: Silvio Wyszengrad

    Eigentlich hat Björn Stiebling, einer der Inhaber der Fahrradzentrale Augsburg, keine Zeit für ein Gespräch mit unserer Redaktion. Er muss Räder verkaufen, am laufenden Band, von morgens bis abends. Die Mittagspause ist schon länger gestrichen und am Abend werden Überstunden gemacht. Doch dann findet er doch noch ein Zeitfenster, um uns zu berichten, welcher Boom derzeit in der Branche herrscht.

    Schlange stehen vor Augsburger Fahrrad-Geschäften

    Stiebling und sein Kompagnon Jan Nicolaus erzählen von Kunden, die bis vor einigen Tagen bis zu einer Stunde lang Schlange standen, um ein Fahrrad zu kaufen oder es zur Reparatur zu bringen. Aber nicht der Abstandsregeln wegen, sondern weil so viele Augsburger plötzlich ein neues Rad haben wollen: „So etwas habe ich in 30 Jahren meiner Tätigkeit in dieser Branche nicht erlebt“, erzählt Stiebling.

    Radurlaub: Zahlen und Fakten

    Immer beliebter: 2018 gab 27 Prozent mehr Radreisende als im Vorjahr. Die Zahlen steigen, nur 2017 gab es wegen des schlechten Sommerwetters einen Rückgang. 2015 waren es 4,5 Millionen Radtouristen, 2016 5,2 Millionen, 2017 4,3 Millionen und 2018 5,5 Millionen.

    Planung und Ziele 70 Prozent der geplanten Touren sollen in Deutschland stattfinden. 81 Prozent der Radtouristen planen ihre Tour selbst, aber zwei Drittel wünschen sich Vorschläge. 61 Prozent starten von zu Hause.

    E-Bikes 2018 waren 23 Prozent der Radurlauber per E-Bike unterwegs. 2017 waren es 18 Prozent.

    Der Durchschnitts-Radtourist ist 52 Jahre alt. Fast zwei Drittel (64 Prozent) sind Männer. 52 Prozent sind mit dem Partner, 31 Prozent mit Freunden und 21 Prozent alleine unterwegs. 70 Prozent fahren mit einem Tourenrad und 16 Prozent mit einem Mountainbike. (Quelle: Radreiseanalyse des ADFC)

    Fahrradfahren boomt, das war schon vor Corona so. Händler wie Max Gehl berichteten bereits vor einem Jahr davon, doch damals hätte keiner vermutet, dass es eine solche Steigerung geben könnte. „Wenn das so weitergeht, haben wir in vier bis sechs Wochen keine Räder mehr“, rechnen Björn Stiebling und Jan Nicolaus vor. Schon jetzt müssen sie etwa jeden dritten Kunden ohne Rad nach Hause schicken, weil sie nicht mehr das passende im Laden haben. Auch Max Gehl sagt: „Wir haben zwar noch Räder in allen Warengruppen, aber eben nicht mehr die volle Auswahl.“ Vor allem bei Kinderrädern zwischen 20 und 24 Zoll sowie bei Mountainbikes im Preisrahmen zwischen 500 und 1500 Euro sei man schon sehr ausgesucht.

    Augsburger Rad-Händler trotzen der Krise

    Die beiden Händler sind keine Ausnahme. Auch kleinere Geschäfte wie Zweirad Dreste in Hochzoll berichten, dass das Angebot knapp wird. Man habe zwar gut eingekauft und Räder auf Lager, aber weil Nachbestellungen bei den Händlern nicht mehr möglich sind oder bestellte Modelle wegen fehlender Teile nicht produziert werden können, ist das Angebot endlich. „Wer jetzt noch ein Fahrrad haben will, sollte sich schnell umsehen, sonst muss er eventuell bis ins nächste Jahr warten“, sagt Stiebling.

    Während die meisten Einzelhändler über einen drastischen Frequenzrückgang, sich stapelnde Waren und massive Umsatzeinbrüche klagen, haben die Fahrradhändler andere Sorgen. Björn Stiebling sagt: „Das Schöne an unserem Job ist das Gespräch mit dem Kunden. Aber im Moment ist es eher Massenabfertigung, was wir machen. Das geht langsam an die Substanz.“ Zum Glück trete seit einigen Tagen eine Normalisierung ein. Das berichtet auch Max Gehl: „Schlange stehen muss man bei uns nicht.“

    Das Fahrrad als sichere Alternative zum ÖPNV

    Die Händler und ihre Teams sind dennoch im Dauereinsatz – nicht nur in der Beratung und im Verkauf, sondern auch in den Werkstätten. Bei Dreste nimmt man aktuell nur noch eigene Kunden an. Aber auch sie müssen je nach Art der Reparatur mit Wartezeiten rechnen. Bei der Fahrradzentrale sieht es ähnlich aus. Bei Gehl in der Lise-Meitner-Straße in Kriegshaber habe man aktuell fünf Wochen Vorlauf. Das sei allerdings zu dieser Jahreszeit nicht ganz unüblich.

    Radeln war erlaubt: Die Corona-Beschränkungen haben die Nachfrage nach Fahrrädern steigen lassen.
    Radeln war erlaubt: Die Corona-Beschränkungen haben die Nachfrage nach Fahrrädern steigen lassen. Foto: Benedikt Siegert (Symbol)

    Der Grund für den Fahrrad-Boom ist aus Sicht der Händler schnell gefunden. Schon vor Corona sei Fahrradfahren aufgrund vieler Umweltdebatten immer stärker in den Fokus gerückt. Die verschiedenen Corona-Beschränkungen haben dies verstärkt. Weil die Bürger Fahrten mit Straßenbahn und Bus der Ansteckungsgefahr wegen vermeiden wollen, steigen sie aufs Rad um. Dazu werden Fahrradtouren auch als Ersatz für den ausgefallenen Urlaub immer beliebter. „Und dabei hat so mancher festgestellt, dass sein bisheriges Modell nicht mehr allen Ansprüchen gerecht wird“, erzählen die Verkäufer.

    Wegen Corona fällt der Urlaub aus: Geld für neue Fahrräder ist da

    Das Geld für den Neukauf sei beim Kunden vorhanden, weil vielfach der Urlaub wegen Corona flachgefallen ist. Die beiseitegelegte Summe werde jetzt in neue Räder – manchmal sogar für die ganze Familie – investiert. Das hat dazu geführt, dass Fahrradhändler den Lockdown gut überstanden haben. „Die Umsatzeinbußen hatten wir binnen einer Woche wieder drin“, erzählt Björn Stiebling von der Fahrradzentrale.

    Fehlender Nachschub könnte sich auf Umsatz auswirken

    Auch Zweirad Dreste berichtet, dass man derzeit bei den Umsatzzahlen sehr gut im Plan liege. Etwas verhaltener reagiert Max Gehl: „Wir haben zuletzt gut verkauft. Aber ich habe etwas Sorge, dass wir aufgrund der Lieferschwierigkeiten der Hersteller bald kaum noch Ware haben, die sich verkaufen lässt. Dann nehme ich auch nichts mehr ein.“ Mit großen Gewinnen rechnet er daher lieber nicht. Eine schwarze Null am Ende des Jahres würde ihn schon freuen.

    Sorge, dass der Boom sich im nächsten Jahr in eine deutliche Kaufzurückhaltung verwandelt, weil der Markt gesättigt ist, haben die Händler nicht. „Irgendjemand braucht immer ein neues Rad“, ist sich Stiebling sicher. Und auch der Werkstattservice werde ja weiter genutzt. Die Händler treibt vielmehr die Sorge um, dass die Hersteller mit der Produktion auch künftig in Rückstand geraten könnten, bestellte Modelle nicht liefern und so der Kunde manches Rad nicht kaufen kann. Den Teufel an die Wand malen wollen die Händler aber dennoch nicht. Noch sind Räder da, die einen neuen Besitzer suchen. Alles Weitere wird sich zeigen.

    Die große Nachfrage nach Fahrrädern ist positiv - aber die Stadtverwaltung muss ihre Versprechen an die Radfahrer umsetzen: Lesen Sie dazu einen Kommentar von Jörg Heinzle: Fahrrad-Boom: Die Augsburger Stadtregierung ist gefordert

    Lesen Sie auch:

    Aichach, Friedberg und zurück – so geht's per Rad zur Landesausstellung 2020

    Radeln: Augsburg ist mit dem Bürgerbegehren nicht alleine

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden