Frau Weber, Sie waren am Samstag bei den Corona-Protesten auf dem Plärrer. Warum?
Eva Weber: Ich wollte mir das anschauen. Ich wollte wissen, wer auf dieser Demo ist und was die Menschen umtreibt. Das war mir wichtig. Zudem sind wir die Genehmigungsbehörde, auch deswegen ist es wichtig, sich ein Bild zu machen.
Was ist Ihr Eindruck?
Weber: Es ist ein sehr gemischtes Publikum, das man kaum zuordnen kann. Es sind meiner Einschätzung nach viele aus dem bürgerlichen Lager, die zum Beispiel zu den Impfgegnern zählen. Sie sagen, wir wollen uns nicht impfen lassen, davor haben wir Angst. Es gibt viele, die sagen, sie fühlen sich in ihrer Freiheit eingeschränkt. Sie finden es okay, dass Maßnahmen ergriffen wurden, sagen aber: Es ist jetzt auch wieder gut. Dann gibt es die Verschwörungsmystiker. Es waren aber auch einige da, die deutlich gemacht haben, dass es ihnen wichtig ist, dass es die Einschränkungen gibt. Etwa ein Arzt vom Uniklinikum. Oder Pflegekräfte, die sagen, denkt bitte auch an uns und die Folgen, die wir zu bewältigen haben.
Sie sind seit Wochen als Krisenmanagerin in Sachen Corona aktiv. Ist es frustrierend, wenn es Leute gibt, die diese Arbeit nicht schätzen?
Weber: Da muss ich als Politikerin drüberstehen. Ich weiß aus langjähriger Erfahrung, dass die Dinge, die ich entscheide oder die ich zu vertreten habe, oft auch Widerspruch auslösen. Das Demonstrationsrecht ist ein starkes Grundrecht, die Meinungsfreiheit genauso. Deswegen ist es in Ordnung, wenn Menschen auf die Straße gehen, weil ihnen etwas aufstößt und sie Sachen nicht verstehen. Es zeigt mir aber auch, dass wir viel erklären müssen, wahrscheinlich noch intensiver als früher.
Viele protestieren auch, weil sie von den Corona-Maßnahmen hart getroffenen werden, Gastronomen etwa.
Weber: Dafür habe ich großes Verständnis. Ich bin ja in Kontakt mit Kulturschaffenden, wir werden jetzt auch noch mal mit der Gastronomie sprechen, ob es auf lokaler Ebene Punkte gibt, wo wir nachjustieren können. Auch die Reisebüros haben demonstriert. Da geht es überall um Existenzen. Ich habe eine Zahl gelesen, dass zehn Prozent der Betriebe womöglich gar nicht mehr auf die Füße kommen werden. Das ist wahnsinnig viel. Und gerade Gastronomie und Einzelhandel sind Branchen, wo oft keine großen Rücklagen da sind. Es ist ja nicht so, dass sie auf einem dicken Polster sitzen und sich jetzt eben mal einen schlauen Lenz gemacht haben.
Waren die Einschränkungen vielleicht doch zu heftig?
Weber: Die Maßnahmen sind ja nicht willkürlich getroffen worden, weil jemand mal ausprobieren wollte, wie ein Lockdown so ist. Wir müssen mit dieser Pandemie umgehen und dafür gibt es keine Blaupause. Wir müssen Sorge dafür tragen, dass die Infizierten, die ärztliche Versorgung brauchen, sie auch bekommen – und dass auch jene behandelt werden, die ohne Corona in eine Klinik eingeliefert werden, etwa mit einem Herzinfarkt. Es wäre ein Wahnsinn, wenn es dafür keine Kapazitäten gäbe. Und die Entscheidungen über Leben und Tod, die in Italien getroffen werden mussten, möchte ich keinem zumuten.
Eines Ihrer Anliegen ist ein größeres Miteinander in der Stadtgesellschaft. Wenn man sich bei den Corona-Protesten umschaut, gibt es Plakate wie „DDR 2.0“ oder „Medizin-Diktatur“. Gibt es für Sie eine Grenze des möglichen Miteinanders?
Weber: Ich glaube, Politik darf so eine Grenze nicht ziehen. Unser Job ist es, permanent mit den Menschen zu sprechen. Ich hatte zum Beispiel eine Diskussion mit einer Frau, die sich darüber aufgeregt hat, was mit den Kindern passiert. Das kann ich verstehen. Mein Patenkind ist seit Wochen nicht in der Schule. Sie kann sich zum Glück gut mit sich selber beschäftigen, hat aber jetzt auch keinen Bock mehr, immer nur ihre Schwester zu sehen. Mein Neffe hat schon vor Wochen seinem Kindergartenfreund einen Brief gemalt, weil er so Sehnsucht nach ihm hatte. Mit den Kindern macht das was, deshalb muss man die Maßnahmen permanent erklären. Natürlich wird es Leute geben, an die wir nicht mehr rankommen. Aber ich kann mich nicht einfach wegdrehen.
Die Corona-Krise wird sich auch finanziell auswirken. Wie massiv sind die Folgen für die Stadt?
Weber: Es ist noch ein bisschen ein Stochern im Nebel, weil wir bis letzte Woche immer noch Anträge auf Stundung der Gewerbesteuer bekommen haben. Da zeigt sich, dass das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist. Wir gehen davon aus, dass wir Ende Juni im Stadtrat genauere Angaben machen können. Es gibt Ausfälle bei Gewerbe-, Einkommens- und Umsatzsteuer. Wir hatten Kosten für die Beschaffung von Schutzmaterialien. Und es kommen Einnahmeausfälle etwa bei Mieten und Pachten dazu. Die Situation bei Kongress am Park, bei der Messe oder bei den Stadtwerken ist da noch komplett außen vor. Mit all dem müssen wir umgehen.
Braucht die Stadt da Unterstützung?
Weber: Ich war gerade in einer Telefonschalte mit dem Ministerpräsidenten, wo es darum ging, wie Kommunen unterstützt werden. Es wird auch um die Frage gehen, wie Konjunkturpakete aufgelegt werden und mit welcher Zielrichtung. Bei der Finanzkrise 2008 und 2009 wurden mit den Konjunkturpaketen speziell Schulen gefördert. Jetzt könnte Digitalisierung das Thema sein, wo wir ja gerade gemerkt haben, wie wichtig die digitale Infrastruktur ist.
Gibt es Bereiche, wo man leicht sparen kann?
Weber: Nein. Es gibt für alles, was im Haushalt steht, einen guten Grund. Da kann man nicht einfach sagen, das eine ist wichtig und das andere nicht. Wir haben bisher auch nicht aus Jux und Tollerei Geld ausgegeben.
Kann die Stadt sich die Theatersanierung noch leisten?
Weber: Beim Theater wird es eine Diskussion in den nächsten Wochen geben, wenn die neuesten Zahlen vorliegen. Der Stadtrat muss sich dann entscheiden, was wir machen. Und unter dem Eindruck von Corona muss man das noch einmal ganz anders diskutieren. Einfach nur zu sagen, wir lassen die Interimspielstätten weiter laufen, ist aber zu einfach. Man muss auch ehrlich sein und sagen, was das kostet. Wir erarbeiten das gerade. Ich denke, es wird noch vor der Sommerpause ein Thema.
Neben dem Theater sind auch die Schulsanierungen ein großer Brocken.
Weber: Ja, aber beides ist im Haushalt gar nicht so entscheidend. Das Theater belastet den Haushalt momentan mit etwa vier Millionen im Jahr, bei den Schulsanierungen ist auch sehr viel über Kredite finanziert. Wir könnten hier also gar nicht so viel einsparen, zumal die Verbindlichkeiten auf jeden Fall zu bedienen sind. Gerade beim Thema Schulen, das will ich ausdrücklich sagen, würden wir an der falschen Stelle sparen. Wir haben es in der Corona-Krise doch gesehen, wie wichtig es zum Beispiel ist, dass wir bei der Digitalisierung vorankommen. Also die Schulen stehen jedenfalls auf einer Streichliste bei mir ganz, ganz weit hinten.
Sollte die Stadt weitere Schulden machen, um die Krise zu bewältigen?
Weber: Es ist noch zu früh, das zu diskutieren. Wir müssen es ja auch schultern können. Wir haben in Absprache mit der Regierung von Schwaben immer die Linie gefahren, dass uns so viel Luft bleibt, dass wir in einer möglichen Krise noch Schulden aufnehmen könnten. Das gilt jetzt natürlich auch für Corona. Aber wir müssen erst mal schauen, was der Kassensturz ergibt und welche Hilfen von Freistaat und Bund kommen. Dann kann man darüber reden, ob weitere Schulden eine Option sind.
Sie haben im Wahlkampf ein 30-Punkte-Programm präsentiert, das Sie im ersten Jahr als OB umsetzen wollten. Ist das noch realistisch?
Weber: Ich möchte es nicht ganz begraben, weil mir das schon wichtig ist. Da sind auch kleinere Sachen dabei, die nicht so viel Geld kosten, wie Bänke am Kirchplatz in Bergheim etwa. Das ist ein Treffpunkt, der den Menschen wichtig ist. Generell gilt aber für alles, was im Wahlkampf gesagt worden ist: Es wird vieles in der nächsten Zeit nicht gehen, auch Dinge, die vor ein paar Monaten noch ohne Problem machbar gewesen wären. Ich hatte ja als Finanzreferentin ein gutes Gefühl für die finanzielle Lage. Das ist alles Makulatur, von jetzt auf gleich. Da sind aber auch alle Gruppierungen im Stadtrat sehr realistisch.
Ist es jetzt einfach, Wahlversprechen mit dem Verweis auf Corona zu kassieren?
Weber: Nein. Die größte Gefahr ist, jetzt alles, was nicht geht, mit Corona zu begründen. Man muss trotzdem versuchen, Dinge möglich zu machen. In der Zeit der Finanzkrise ist etwa der Kongress am Park saniert und der Innovationspark vorangebracht worden. Wir als Stadt müssen auch weiter Aufträge vergeben, um die Wirtschaft nicht abzuwürgen. Es muss aber alles gut austariert sein, wohl wissend, dass auch der Haushalt funktionieren muss.
Man tritt als Politikerin an, um etwas zu gestalten. Aber gibt es die nächsten sechs Jahre angesichts der drohenden Finanznot überhaupt die Spielräume?
Weber: Es gibt Ökonomen, die sagen, dass wir jetzt ein hartes Jahr 2020 erleben und dass es 2021 mit dem Wirtschaftswachstum wieder nach oben geht. Es gibt aber auch Ökonomen, die es anders sehen. Ich bin optimistisch und glaube, dass in dieser Krise auch viele Dinge neu entstehen können. Unsere Kunstsammlungen zum Beispiel haben ruckzuck ein digitales Format zur Zarenausstellung gemacht. Es wurden Live-Streams von der Club- und Kulturkommission auf die Beine gestellt. Darüber hätten wir uns in einem normalen Jahr keine so intensiven Gedanken gemacht. So fängt man an, anders zur denken – wir als Verwaltung, aber auch Unternehmen und Künstler. Das kann auch eine Bereicherung sein, so anstrengend und schlimm es jetzt ist. Aber: Ich will das nicht so verstanden wissen, dass alles super ist. Es stehen viele Existenzen auf dem Spiel.
Wie waren denn die ersten Tage für Sie im neuen Amt? Haben Sie viele Gratulationen bekommen?
Weber: Um Mitternacht am 1. Mai haben mir viele Kollegen, Weggefährten und Bekannte eine Nachricht geschrieben mit der Botschaft: Jetzt ist es soweit. Das hat mich gerührt. Insgesamt war es ein nahtloser Übergang, den Kurt Gribl und ich über viele Wochen gestaltet haben. So richtig realisiert, dass ich jetzt die Oberbürgermeisterin bin, habe ich am 4. Mai, als ich erstmals die Amtskette umhängen hatte. Vorher war vieles so unwirklich, etwa weil es wegen der Corona-Pandemie auch gar keine richtige Feier gab.
Sie haben angekündigt, im Stadtrat die anderen Fraktionen, die nicht zur Regierung gehören, stärker einbinden zu wollen. Wie realistisch ist das – und wie ehrlich ist das gemeint?
Weber: Ich meine das ehrlich. Natürlich hat die Regierungskoalition erst einmal den Hut auf. Aber wir haben uns sehr bemüht, auch andere einzubinden: Der Vorsitz des Allgemeinen Ausschusses etwa soll an Beate Schabert-Zeidler von Pro Augsburg gehen und der Vorsitz des mächtigen Finanzausschusses wurde der SPD angeboten. Wobei es immer Kritik geben wird. 2013 hat man geschimpft, dass das Regierungsbündnis zu knapp sei, ab 2014 war es dann vielen zu breit und zu sehr auf Konsens ausgelegt. Jetzt haben wir mit Schwarz-Grün und 36 Sitzen eine fundierte Mehrheit. Es gab einfach keine Notwendigkeit, eine weitere Fraktion dazu zu nehmen. Es war aber ausdrücklich keine Entscheidung gegen die SPD, sondern für ein Zweierbündnis mit solider Mehrheit. Gerade deshalb ist es mir umso wichtiger, dass die Opposition sich wiederfinden kann. Natürlich wird es Meinungsverschiedenheiten geben, aber das ist gut so. Davon lebt eine Demokratie.
Eva Weber, 42, ist seit 1. Mai neue Oberbürgermeisterin der Stadt Augsburg. Die gebürtige Allgäuerin ist CSU-Mitglied. Sie erhielt in der Stichwahl 62,3 Prozent der Stimmen.
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