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Augsburg: Dieser Richter wird über die tödliche Attacke am Königsplatz urteilen

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Dieser Richter wird über die tödliche Attacke am Königsplatz urteilen

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    Lenart Hoesch ist Vorsitzender der Jugendkammer am Augsburger Landgericht. Gerade wenn es um Opfer im Kindesalter geht, sei Sensibilität gefragt, sagt er.
    Lenart Hoesch ist Vorsitzender der Jugendkammer am Augsburger Landgericht. Gerade wenn es um Opfer im Kindesalter geht, sei Sensibilität gefragt, sagt er. Foto: Silvio Wyszengrad

    Lenart Hoesch wird in seinem Beruf ständig mit den Abgründen des Menschen konfrontiert. Die genaue Zahl an Missbrauchsfällen, die der Richter bislang verhandelt hat, kann er nicht beziffern. „Es sind Hunderte.“ Der 64-Jährige ist Vorsitzender der Jugendkammer am Augsburger Landgericht. Er erzählt, wie er mit den Abscheulichkeiten des Lebens klarkommt und was er am Abendbrottisch vor seiner Familie nie thematisiert hat.

    Vorsitzender der Jugendkammer Hoesch: "Man braucht ein dickes Fell"

    Hoesch hatte in den vergangenen Jahren immer wieder aufsehenerregende Fälle, über die seine Kammer zu urteilen hatte. Da ging es etwa um den Mord an der zwölfjährigen Vanessa aus Gersthofen. Ein Mann mit Horrormaske war 2002 in das Haus eingestiegen und erstach das Mädchen im Kinderzimmer. Das Gericht musste klären, ob der Täter nach seiner Haftstrafe weiter weggesperrt bleiben soll – in der Sicherungsverwahrung. Vor vier Jahren verkündete Lenart Hoesch das Urteil gegen Harry S., den pädophilen Augsburger Kinderarzt. Voriges Jahr war ein Mann angeklagt, der auf der Toilette einer Augsburger Grundschule ein neunjähriges Mädchen missbraucht hat.

    Um den Tathergang nachzustellen, kehrte der Mörder der zwölfjährigen Vanessa einst an den Tatort in Gersthofen zurück.
    Um den Tathergang nachzustellen, kehrte der Mörder der zwölfjährigen Vanessa einst an den Tatort in Gersthofen zurück. Foto: Marcus Merk (Archivfoto)

    Es sind wenige Fälle, die in der Öffentlichkeit für Aufmerksamkeit sorgen. Daneben gibt es jedoch unzählige weitere. „Man braucht schon ein dickes Fell“, sagt Hoesch über seinen Beruf. Der freundliche Mann mit den grauen Haaren und der Brille ist für seine Beherrschtheit bekannt. Immer wieder wird der Vorsitzende Richter von Angeklagten provoziert oder beleidigt. So etwas prallt an Hoesch ab wie an Teflon. „Mir fällt es leicht, juristische, aber auch persönliche Angriffe nicht an mich herankommen zu lassen“, sagt der Richter. Sicherlich hilft ihm dabei nicht nur seine Gelassenheit, sondern auch seine jahrelange berufliche Erfahrung.

    Augsburger Richter Hoesch kann manchmal laut werden

    Es gibt aber Situationen, in denen Hoesch im Gerichtssaal doch laut wird. „Ich kann vehement werden, wenn mich jemand für dumm verkaufen will und sich damit um seine Möglichkeiten bringt.“ Offenbar kündigen sich derartige Ausbrüche bei Hoesch an. Zumindest habe das eine jüngere Kollegin festgestellt, wie er freimütig erzählt. Ihr sei aufgefallen, dass er, kurz bevor er laut werde, anfange auf seinem Richterstuhl hin und her zu rutschen. Der Jurist schmunzelt. „Mir war das bis dahin gar nicht bewusst.“ Von sanftem Säuseln bis Brüllen – als Richter müsse man die gesamte Klaviatur beherrschen, verrät er.

    Auch die der Sensibilität. Gerade wenn es um Opfer im Kindesalter gehe. Denn vor der Jugendkammer am Landgericht landen nicht nur Täter, die nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden können, sondern auch Fälle mit Minderjährigen als Opfer. Bei der Vernehmung der Kinder und Jugendlichen sei es am wichtigsten, den Kontakt zu finden und Vertrauen aufzubauen. Darum mag Hoesch auch keine Videovernehmungen, die es seit ein paar Jahren gibt. „Bei Sachverhalten, in denen es seelisch zur Sache geht, ist der direkte Blickkontakt immens wichtig.“ Hoesch hat selbst fünf erwachsene Kinder und acht Enkel.

    Auf manchen Verhandlungen laste Erwartungsdruck

    Als seine Kinder noch kleiner waren, achtete der Richter genau darauf, was er daheim von seinem Job erzählte und was nicht. „Bei meinen Kindern gab es eine Phase, in der sie gerne die Fälle exakt von mir geschildert bekommen wollten.“ Fälle mit Sexualstraftaten habe er von ihnen gezielt ferngehalten. Und schon gar nicht erzählte er der Familie, dass eine Klassenkameradin einer seiner Töchter ein Missbrauchsopfer war. Das Kind war von seinem Onkel und dem neuen Lebensgefährten der Mutter missbraucht worden. Es sind nur wenige Schicksale, die ihn in seinem Privatleben weiter beschäftigten.

    „Richter sind Menschen und keine Maschinen“, sagt er. Allerdings dürfe man sich nie von eigenen Empfindungen leiten lassen. „Was einen als Richter viel mehr umtreiben kann, sind Dinge, die die Öffentlichkeit nie erwarten würde“, ergänzt er.

    Da drohte der Augsburger Richter den Saal räumen lassen

    Der Richter meint den hohen Erwartungsdruck vonseiten der Gesellschaft, der auf manchen Verhandlungen laste. Er denkt an den Fall Vanessa zurück, als es darum ging, ob der Mörder des Mädchens in die Sicherungsverwahrung komme oder nicht. Hoesch erinnert sich, wie unter den Zuhörern im Gerichtssaal Beifall aufbrandete, als das Gericht die Entscheidung dafür verkündete. Hoesch ging sofort dazwischen, drohte den Saal räumen zu lassen, wenn das nicht unverzüglich aufhöre. „Wir sind nicht dafür da, die öffentliche Erwartung zu befriedigen, sondern um Gesetz und Recht durchzusetzen“, erklärt er.

    Dass den langjährigen Richter gesellschaftliche Erregung und Diskussionen unbeeindruckt lassen, zeigt sein sachlicher Umgang mit dem tödlichen Angriff auf dem Königsplatz zur Weihnachtszeit vergangenes Jahr.

    Attacke am Königsplatz: Bundesverfassungsgericht bestätigte Hoeschs Bewertung

    Der Vorsitzende Richter der Jugendkammer und seine Beisitzer kamen nach der Auswertung der Filme, die die Tat am Kö dokumentierten, sowie nach Zeugenaussagen zu einem anderen Ergebnis als die Ermittler. Das Gericht hob sechs von sieben Haftbefehlen auf. Nur der junge Mann, der dem Feuerwehrmann den tödlichen Schlag versetzt haben soll, blieb in Untersuchungshaft.

    In seiner Karriere wurde Lenart Hoesch mit spektakulären Fällen konfrontiert: Dazu gehört auch der tödliche Angriff auf einen 49-jährigen Mann am Königsplatz im Dezember 2019.
    In seiner Karriere wurde Lenart Hoesch mit spektakulären Fällen konfrontiert: Dazu gehört auch der tödliche Angriff auf einen 49-jährigen Mann am Königsplatz im Dezember 2019. Foto: Silvio Wyszengrad (Archivfoto)

    Nach einigem juristischen Hin und Her hat die Staatsanwaltschaft den 17-jährigen Augsburger, wie berichtet, inzwischen angeklagt, unter anderem wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Im Oktober soll der Prozess beginnen. Der in der Anklageschrift geschilderte Tatablauf liest sich so, wie ihn die Jugendkammer des Landgerichts von Anfang an bewertet und wie ihn das Bundesverfassungsgericht letztendlich auch beurteilt hatte. Für Richter Hoesch und die Jugendkammer bedeutet das eine nachdrückliche Bestätigung ihrer Arbeit in diesem Fall, der bundesweit diskutiert wurde.

    Kommentieren will Hoesch das nicht. Auch da bleibt er sachlich. „Zu einem laufenden Verfahren äußere ich mich natürlich nicht“, sagt er. Hoesch, der sich in seiner Freizeit in der katholischen Kirche engagiert, macht deutlich, mit dem Vorsitz der Jugendkammer habe er seinen Traumberuf gefunden. Die Verfahren seien ihm wichtig. Er sagt: „Ich sehe darin eine sinnvolle, gesellschaftliche Aufgabe.“

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