Je länger die Corona-Krise dauert, desto mehr verdüstern sich die Aussichten in der Augsburger Wirtschaft. Gastronomen und Einzelhändler geben auf, als solide geltende Firmen kündigen Entlassungen an. Eine Folge: Die Arbeitslosenzahlen steigen. 11.772 Menschen waren in Augsburg, Stand August, arbeitslos – 35 Prozent mehr als im August 2019. Die Quote beläuft sich auf sieben Prozent. 40 Prozent der Betriebe befinden sich aktuell laut Arbeitsagentur in Kurzarbeit. Düstere Zahlen – doch die Stadt musste bereits andere Krisen meistern.
Augsburg war Mitte der 90er ein "wirtschaftliches Notstandsgebiet"
1995. Die Textilindustrie, seit Jahrhunderten ein bestimmender Wirtschaftsfaktor der Stadt, steuert ihrem endgültigen Niedergang entgegen. Laut dem heutigen Wirtschaftsreferenten Wolfgang Hübschle waren in den 1970er- und 1980er-Jahren noch über 20.000 Menschen in Textilfabriken angestellt. Bis 2002 seien diese Arbeitsplätze nahezu alle verloren gegangen.
Hinzu kommen damals ein gravierender Strukturwandel in Elektro- und Autoindustrie sowie Zuwanderer aus Krisenregionen, die sich auf dem Arbeitsmarkt erst einmal nicht zurechtfinden. Nachzulesen ist das auch in den Archiven unserer Zeitung, die von Entlassungen und Werksschließungen in dieser Zeit berichtet: Zehntausende Menschen arbeiten in Augsburger Fabriken, viele von ihnen verlieren bis zum Jahresende 1995 ihre Arbeit. 10,1 Prozent beträgt die Arbeitslosenquote im Dezember 1995 laut Unterlagen des bayerischen Statistikamtes für die Stadt. Bis Dezember 1997 sollte diese Quote auf 12,3 Prozent steigen.
Die Mitte der 90er Jahre sind für viele Menschen im Wirtschaftsraum Augsburg geprägt durch die Angst vor Armut und sozialem Abstieg. Am Jahresende 1995 titelt unsere Zeitung in einem Rückblick: „20.000 Menschen auf der Straße: so viele Arbeitslose wie noch nie im Raum Augsburg“. Dieser umfasst neben der Stadt auch die Landkreise Augsburg und Aichach-Friedberg. In jenem Krisenjahr sprach die damals neu gewählte IHK–Präsidentin Hannelore Leimer von einem „wirtschaftlichen Notstandsgebiet“.
In Augsburg spielt nicht nur der Dienstleistungssektor eine wichtige Rolle
Der damalige US-amerikanische Telekommunikationskonzern und Endgerätehersteller AT&T kündigte an, sein Computerwerk in der Stadt aufzugeben. 700 Arbeitsplätze gingen dadurch verloren. Der Autowaschgeräte-Techniker Osorno-Kleindienst (heute zu WashTec gehörend) strich die Hälfte seiner Stellen. 335 Mitarbeiter mussten gehen. Die Wafa kürzte 200 Stellen, die damalige Daimler-Benz Aerospace AG 250. Das ist nur ein Auszug aus den Wirtschaftsnachrichten jenes Jahres. Arbeitslosigkeit ist das Problem Nummer eins, konstatierte diese Zeitung 1995.
Damals waren laut einer Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bereits rund 60 Prozent der Arbeitnehmer im Dienstleistungssektor tätig, dieser Trend setzte sich fort: 2017 waren es laut Statistischem Jahrbuch der Stadt 79 Prozent, was ziemlich exakt der deutschlandweiten Entwicklung entspricht. Da sind mittlerweile fast drei Viertel aller Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor zu finden. Die vergangenen etwas mehr als zehn goldenen Jahre verdankte der Wirtschaftsraum aber auch den Produktionsbetrieben, die über diesen Zeitraum hinweg stabil rund ein Drittel zur Bruttowertschöpfung beitrugen.
Darüber hinaus, sagt Wirtschaftsreferent Hübschle heute, habe es viele Entwicklungen gegeben, die zu einem Aufschwung führten: Der Freistaat investierte in die Stadt – etwa durch das „Kompetenzzentrum für Umwelttechnik und andere Materialien“. Auf den riesigen Arealen der ehemaligen Textilfabriken habe es nun Platz für neuen Wohnraum, aber auch neue Unternehmen gegeben. „Letztlich haben die frei werdenden Flächen auch eine Chance geboten, um Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum in Augsburg zu bewältigen.“ Eine eröffnete Forschungsstelle der TU München habe geholfen, innovativere Produkte in klein- und mittelständischen Unternehmen zu entwickeln.
Im Dezember 2019 betrug die Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt schließlich 4,9 Prozent – ein positiver Rekordwert für die Stadt. Sie konnte in diesem Zeitraum ihre Stärke als Produktionsstandort ausspielen, sagt Hübschle. Firmen wie Renk, MAN SE, Kuka oder Premium Aerotec profitierten vom globalen Wirtschaftsboom – bis das Coronavirus kam und auch die Weltwirtschaft in Teilen zum Stillstand brachte.
In Augsburg könnte es aufgrund der Corona-Krise eine Pleitewelle geben
In diesem Jahr wurde die Arbeitslosigkeit in der Stadt nun wieder zu einem zunehmenden Problem. Premium Aerotec kündigte an, bis zu 1000 Stellen streichen zu wollen. Bei MAN SE spricht man von 800, auch Kuka kündigte nach Stellenkürzungen nun weitere Einsparmaßnahmen an. Von einem wirtschaftlichen Notstandsgebiet wie im Zeitungsartikel von 1995 spricht heute zwar noch niemand.
Dennoch häufen sich die Ankündigungen von Unternehmen, die aufgeben müssen – bisher vor allem im Gastro- und Einzelhandelsbereich. Zwar stiegen die Aufträge für die deutsche Industrie laut Bundeswirtschaftsministerium bereits im Juni deutlich stärker als erwartet, gleichzeitig fürchten Unternehmen laut einer Umfrage des Ifo-Instituts aber noch monatelange Einschränkungen. Wie der Norddeutsche Rundfunk berichtet, erwarten manche Experten eine Pleitewelle ab Herbst.
Bisher ist die sogenannte Insolvenzantragspflicht unter bestimmten Umständen ausgesetzt. CDU, CSU und SPD verständigten sich laut Deutschlandfunk nun darauf, dass überschuldete Unternehmen bis Jahresende nicht verpflichtet sind, einen Insolvenzantrag zu stellen. Gegenüber unserer Redaktion erklärte die Sprecherin des Augsburger Amtsgerichts Simone Bader noch vor kurzem, man erwarte nach dem 1. Oktober „einen sehr starken Anstieg bei den Anträgen“. Man habe dafür entsprechende Indizien, häufig gingen einem Anstieg der Insolvenzzahlen entsprechende Zivilklagen voraus.
Augsburg zeichnet sich durch eine vielfältige Wirtschaftsstruktur aus
Die Stadt Augsburg will laut Wirtschaftsreferent Hübschle Maßnahmen treffen, um heimischen Unternehmen in der Krise unter die Arme greifen zu können. Es komme dabei darauf an, Innovationsprozesse in mittelständischen Betrieben weiterzuführen und diese auch schneller und effektiver zu ermöglichen. Weil Augsburg eine vielfältige Wirtschaftsstruktur – von Automation und Mechatronik über Logistik bis zu Umwelttechnologien – besitze, müsse man vorhandene Potenziale verschiedener Unternehmen und Sektoren, etwa Produktion und künstliche Intelligenz oder IT und Medizin, kombinieren, um so Zukunftsfelder zu erschließen.
Weil die Stadt keine finanzielle Unterstützung für Unternehmen leisten dürfe, komme es auch auf den Kontakt mit den Ministerien an, so Hübschle weiter. Einige Aspekte der Krisenbewältigungsmechanismen zur Jahrtausendwende könnte man auf die heutige Situation übertragen. Allerdings: Während die Textilkrise lokal auf Augsburg begrenzt gewesen sei, würden die Folgen der Corona-Pandemie nun die ganze Welt betreffen.
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