Unermüdlich spinnt Helmut Kulhanek an neuen Geschichten. Wenn er nicht den passenden Stoff findet, der zu seiner bevorzugten Machart passt, ersinnt er sich seine eigene Traumwelt. Im 30. Jahr des Bestehens der Märchenbühne Don Bosco führt der Regisseur sein Publikum ab fünf Jahren nach China, wo es auch Hexen und eine blaue Rose gibt. Zum Tag der Deutschen Einheit, also am 3. Oktober, will er es mit seinem Ensemble "wieder versuchen". Denn die hierzulande nur allzu präsente Corona-Pandemie legte auch den Spielbetrieb im Herrenbach lahm. Fünfmal wird bis Sonntag, 31. Oktober, jeweils um 16 Uhr gespielt.
Nicht nur wegen seiner Wurzeln in Tschechien passt die Märchen-Thematik, die er so liebt, zu ihm. Der aus Zbuch nahe Pilsen stammende 69-Jährige war selbst erst fünf Jahre alt, als er seine erste Begegnung mit dem Theater hatte. In der Werkskantine eines ortsansässigen Bergwerks habe regelmäßig ein Puppenspieler Gastspiele gegeben, die er liebte. Erst als er nicht mehr kam und ein anderer seine Rolle übernahm, sei er sehr enttäuscht gewesen. Vor allem die Bühnenbilder seien ihm zu abstrakt gewesen, erzählt er und macht damit deutlich, dass er schon immer eine genaue Vorstellung davon hatte, wie sie auszusehen haben. Heute macht er sie deshalb selbst, und das ziemlich realistisch.
Bühne Don Bosco zeigt einen Mix aus verschiedenen Geschichten
Eine genaue Vorstellung hat Kulhanek auch davon, welche Märchen er in seinen Produktionen erzählen will. Fasziniert ist er nicht von den althergebrachten Grimm'schen Geschichten, die schon ein jeder kennt. Was er sucht, das sind die fremden, fremdländischen Stoffe, für die er selbst die Text- und Rollenbücher schreibt und ihnen hinzufügt, was ihnen seiner Meinung nach fehlt. Durch geschicktes Kombinieren entsteht bei ihm Neues, in das Kinder und Zuschauer mit all ihren Sinnen eintauchen können. Von einem Stoff jedoch war auch Helmut Kulhanek stets fasziniert: vom Aschenbrödel, wie es in der tschechischen Filmversion erzählt wird und auch hierzulande Weihnacht für Weihnacht als Klassiker auf dem Programm steht.
Selbst ein Theater-Macher, empfindet er die Umsetzung der Geschichte nicht nur ansprechend, sondern auch "typisch tschechisch". Man kann sich in sie richtig hineinversetzen, sagt er, auch wenn er schon 1967 ausgesiedelt wurde und seither immer in Augsburg lebt. Drei Szenen liebt er wie Aschenbrödel die drei Nüsse: Da wäre der alte Kutscher und Gutsverwalter, der bei seiner Schlittenfahrt durch die verschneite Winterwelt einnickt und aufwacht, weil ihm die "Früchte" buchstäblich in den Schoß fallen. Auch die komische Komponente gefällt ihm, etwa wenn das Waisenkind den Prinzen mit seinen Schießkünsten in den Schatten stelle. Genau nach seinem Geschmack aber sind die Transformationen der drei Nüsse in edle Gewänder für Jagd, Ball und Hochzeit.
Tot ist eine Figur, wenn sie verpufft oder sich verwandelt
Etwa 30 Personen - Helfer wie Schauspieler - unterstützen Kulhanek, pro Jahr eine Produktion auf die Beine zu stellen. Die Aufführungen werden "am Stück gespielt", weil Kinder erfahrungsgemäß "nach einer Pause nicht mehr so konzentriert" zusehen, meint der Spielleiter. Auch bei einem anderen Grundsatz bleibt sich der Regisseur treu: "Für mich ist sehr wichtig", sagt er, dass auf der Bühne niemand stirbt." Weil er das keinem Kind zumuten möchte, hat er in seiner Dramaturgie andere Mittel und Wege gefunden. Ein Synonym für den Tod und die Nimmerwiederkehr einer Figur ist bei ihm die Verpuffung oder Verwandlung.
Zwischen einem halben und einem Jahr gibt sich Helmut Kulhanek Zeit, ein neues Märchen für die Bühne Don Bosco zu kreieren. Als sein bisher bestes Stück sieht er selbst "Die Träne der Elfe" an, die 1995 uraufgeführt und 2012 wieder aufgenommen wurde. "Das ist mir top gelungen", fügt er noch stolz hinzu, wobei deutlich wird, dass diese Produktion als Gratmesser für seine Arbeiten gilt. Wenn er in diesem Herbst aus dem Vollen des Reichs der Mitte schöpft, dann ist ein Großteil der Arbeit schon einmal getan worden.
Die Märchenbühne in Augsburg soll weiterleben
Die Jubiläumsaufführung konnte im vergangenen Jahr nicht stattfinden, deshalb wurde bereits Geprobtes reaktiviert. In der Regel beginnt die Märchenbühne im April mit den Proben zur neuen Produktion. Der Ablauf ist laut Kulhanek immer der gleiche. Erst lege das Ensemble die Laufwege auf der Bühne fest, dann komme der Text und mit der Arbeit am Ausdruck verleihen die Schauspieler dem Stück den letzten Schliff. Kulhanek, erst Kfz-Mechaniker und später Chef-Chauffeur bei Elbeo, ging vor sechs Jahren in den Ruhestand. Der Vater zweier Kinder und Großvater zweier Enkel will vor allem, dass die Märchenbühne Don Bosco im Pfarrsaal im Herrenbach weiterlebt. Deshalb baut er schon jetzt vor und sucht ein Nachfolgeteam zusammen. Als Erstes hatte er die Beleuchter-Tätigkeit in andere Hände gelegt..