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Augsburg: Der "Goldene Erker" an der Moritzkirche: Vom Friedhof zum Handelsort

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Der "Goldene Erker" an der Moritzkirche: Vom Friedhof zum Handelsort

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    Der Moritzplatz um 1740: Der Kupferstich zeigt die „Moritzläden“ mit dem bemalten Erker, die Kornschranne und den Merkurbrunnen.
    Der Moritzplatz um 1740: Der Kupferstich zeigt die „Moritzläden“ mit dem bemalten Erker, die Kornschranne und den Merkurbrunnen. Foto: Sammlung Häußler

    Die offene Betonhalle entlang der Moritzkirche gibt es seit 1980. Sie ist Augsburgs ungewöhnlichstes „Haltestellengebäude mit Service-Funktionen“ (so ist die offizielle Bezeichnung) für Straßenbahnen und Stadtwerke-Busse. Auf welch ungewöhnlichem Grund die Halle steht, daran denkt heute niemand mehr. 1980 wurde daran erinnert: Als man die Fundamente aushob, kamen Gebeine zum Vorschein. Für die Archäologen war das keine Überraschung. Sie wussten, dass hier vor 500 Jahren der Friedhof von St. Moritz lag.

    Derzeit befindet sich im Goldenen Erker ein Eiscafé. Im Lauf der Geschichte erlebte der Ort allerdings zahlreiche Veränderungen.
    Derzeit befindet sich im Goldenen Erker ein Eiscafé. Im Lauf der Geschichte erlebte der Ort allerdings zahlreiche Veränderungen. Foto: Bernd Hohlen

    Anno 1533 wurde der Friedhof aufgehoben. Es war eine Vorsorgemaßnahme gegen die Verbreitung der wieder drohenden Pest. Dafür wurden jahrhundertelang „schädliche Ausdünstungen“ vermutet. Es wurde gewarnt: Die Gase konnten aus Gräbern innerstädtischer Friedhöfe aufsteigen, deshalb mussten sie verschwinden. 1534 war der Friedhof eingeebnet und mit Ziegeln gepflastert. Diese Fußgängerzone bot sich an, am Chor der Moritzkirche zwölf hölzerne Handelsstände anzufügen. Wir würden sie als Verkaufsbuden bezeichnen. Der Grund für diese Kommerzialisierung des vormaligen Friedhofs war die exzellente Geschäftslage: Auf der Straße gegenüber wurden Holz, Heu und Stroh verkauft, entlang der Moritzkirche stand seit 1282 die Kornschranne. Darin wurde der gesamte Getreidehandel der Reichsstadt abgewickelt.

    Goldener Erker war für Augsburgs Händler ein günstiger Standort

    Müller, Bäcker, Brauer und Bürger mussten an der Schranne einkaufen, Direktvermarktung zwischen Erzeugern und Verbrauchern war verboten. Die Reichsstadt kontrollierte den Getreideverkauf ohne verteuernden Zwischenhandel. Das war zum Wohle ihrer Bürger. Sie erhob Gebühren und stellte das „Marktlokal“ samt Personal vom Schrannenschreiber über den Kornmesser bis zum Sackkarrer. Die Geschichte der Schrannenbauten bei St. Moritz ist durch Ratsbeschlüsse, in Rechnungsbüchern und nicht zuletzt in Streitakten dokumentiert. Da sich die Chorherren des Stiftes St. Moritz schon 1282 vom Kornmarkt beeinträchtigt fühlten, gab es oftmals Auseinandersetzungen mit der Stadt. 1303 kam es zu einer Einigung. Die Stadt akzeptierte Bauauflagen für künftige Gebäude. Diese ignorierte sie, als 1427 eine neue Kornmarkthalle errichtet wurde.

    Die Getreideumsätze waren gewaltig. Anno 1500 lag der Jahresbedarf für Augsburg bei 13.000 Wagenladungen. Es war an der Zeit für eine größere Schranne. Voraussetzung dafür war die bereits 1521 ins Auge gefasste Auflösung des Friedhofs von St. Moritz. Als Ersatz musste ein städtischer Friedhof außerhalb der Stadtmauern angelegt werden. Dafür erwarb die Reichsstadt 1533 Grundstücke an der Haunstetter Straße.

    1534 wurde der heutige Protestantische Friedhof angelegt. Arm und Reich sollten künftig hier bestattet werden – es sei denn, die Augsburger Familie besaß innerhalb einer Kirche eine Gruft. Auf dem Friedhof an der Moritzkirche waren seit 1408 Fugger bestattet worden. 1533 bettete die Familie Georg und Ulrich Fugger in die 1518 in der Annakirche vollendete Fugger’sche Familiengruft um.

    Markttag an der Kornschranne um 1730. Der Eckladen mit Erker an der Moritzkirche ist ganz links erfasst.
    Markttag an der Kornschranne um 1730. Der Eckladen mit Erker an der Moritzkirche ist ganz links erfasst. Foto: Sammlung Häußler

    Für die größere Schranne mussten auch das an die Kirche angebaute Predigthaus und Kapellen abgebrochen werden. Anno 1546 war es endlich so weit: Nicht nur die Schranne, sondern auch die Läden am Chor der Moritzkirche erstanden neu, diesmal mit Ziegeln gemauert. Die Läden überlebten bis heute, der Schrannenbau immerhin 208 Jahre: 1754 wurde er von einem Neubau abgelöst. Das maßstabgetreue Modell dafür befindet sich im Maximilianmuseum.

    Der heutige Goldene Erker wurde den historischen Vorbildern nachempfunden

    Den baulichen Wandel um St. Moritz dokumentiert eine Vielzahl von Stichen und Fotografien. Die Bilder belegen die Tradition des heutigen „Goldenen Erkers“ am Chor der Moritzkirche. Er ist historischen Vorbildern nachempfunden. Allein im 20. Jahrhundert wurde der Erker dreimal erneuert. Nach und nach wurden aus den ursprünglich zwölf Miniläden geräumigere Ladeneinheiten. Heute umgeben den Chor der Moritzkirche nur mehr drei Geschäfte.

    Neubau des „Erkerhauses“ am Chor der St.-Moritz-Kirche im Jahr 1939. Es wurde 1944 zerstört.
    Neubau des „Erkerhauses“ am Chor der St.-Moritz-Kirche im Jahr 1939. Es wurde 1944 zerstört. Foto: Sammlung Häußler

    Der Eckbau mit dem Erker stand stets im Blickpunkt. 1939 wurde er in den alten Proportionen durch einen Goldschmied erneuert. Ein Kunstkritiker fand das neue Goldschmiedehäuschen etwas verspielt, doch es gefiel allgemein. 1944 hinterließen Bomben nicht nur eine ausgebrannte Moritzkirche, auch die Anbauten waren Ruinen. Der erst 1939 entstandene Erker war herausgebrochen. Bereits 1948 wurde das Erkerhaus auf den alten Grundmauern wiederaufgebaut. 22 Jahre später begann eine neue Haus-Ära: 1970 kaufte der Juwelier und Goldschmied Günter Winkler das 35-Quadratmeter-Grundstück. Er ließ den 1948 erneuerten Bau abbrechen und das Minigrundstück unterkellern, um die Nutzfläche zu vergrößern. Unter der Überschrift „Rohbau steht schon unter Denkmalschutz“ berichtete am 17. August 1970 die Augsburger Allgemeine über das Richtfest. Die Alt-Augsburg-Gesellschaft habe einen Zuschuss für einen künstlerischen Erkerschmuck zugesichert. Der Augsburger Hans Selner entwarf ihn. Goldglänzende Mosaiken führten zur Bezeichnung „Goldener Erker“.

    Um 1870: Die Schranne als Feuerwehrdepot.
    Um 1870: Die Schranne als Feuerwehrdepot.

    Das Café Goldener Erker ist seit 1987 Nutzer. Der Erker in Rot und Gold bildet einen Farbkontrast zur nahen Betonschranne aus dem Jahr 1980. Sie nimmt den Platz der einstigen Kornschranne ein. Sie hatte bereits 1808 für den Kornhandel ausgedient. Von 1809 bis 1899 war der mit Fenstern und Toren versehene Bau ein Feuerlösch-Requisitenhaus.

    Das heißt: Es war ein Depot für Pumpen, Schläuche und Leitern der Feuerwehr. Im Jahr 1899 wurde es vom nahen Zeughaus als Feuerwehrhaus abgelöst und 1906 abgebrochen.

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