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Augsburg: Debatte: Wie gut hat Augsburg es gelernt, mit Flüchtlingen zu leben?

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Debatte: Wie gut hat Augsburg es gelernt, mit Flüchtlingen zu leben?

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    Helferkreise wie hier in Pfersee waren und sind eine wichtige Anlaufstelle für Flüchtlinge.
    Helferkreise wie hier in Pfersee waren und sind eine wichtige Anlaufstelle für Flüchtlinge. Foto: Wolfgang Diekamp (Archiv)

    2015 war für Birgit Ritter ein Ausnahmejahr. Der wachsende Strom geflüchteter Menschen erreichte auch Augsburg. Frauen, Männer und Kinder kamen mit ihrem ganzen Hab und Gut, das oft in einer einzigen Plastiktüte steckte, in der Stadt an und wurden zunächst in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht, um dann in Gemeinschaftsunterkünfte und dezentrale Einrichtungen in der gesamten Region verteilt zu werden. "Viele Augsburger standen damals da und wollten helfen. Sie wollten sofort aktiv werden", sagt Birgit Ritter, die im Freiwilligen-Zentrum Augsburg den Bereich Asyl koordiniert, rückblickend.

    Zwölf Helferkreise sind in Augsburg nach wie vor aktiv

    Aus dieser Hilfsbereitschaft hat sich einiges entwickelt, was bis heute fortbesteht. Die Schulung der Flüchtlingslotsen, die Birgit Ritter seit fünf Jahren betreut, findet nach wie vor alle zwei Monate statt. An den 33 Veranstaltungen, die seit der Zeit des Flüchtlingsstroms 2015 angeboten wurden, nahmen 252 Menschen teil. Helferkreise wurden gegründet und sind größtenteils heute noch aktiv. "Zwei haben sich inzwischen aufgelöst, aber zwölf Helferkreise sind immer noch rund um die dezentralen Unterkünfte der Stadt im Einsatz."

    Die Augsburger haben, als es darauf ankam, Herz gezeigt. Sie haben eine Willkommenskultur gepflegt und bewiesen, dass die Stadt mit ihrem hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund auch den plötzlichen Zuzug von geflüchteten Menschen bewältigen kann. Das ist ein Erfolg, den sich die Stadt, die dafür viele neue Strukturen geschaffen hat, aber auch die Stadtgesellschaft gemeinsam auf die Fahnen schreiben können.

    Die Anfangseuphorie hat spürbar nachgelassen

    In den vergangenen fünf Jahren hat diese Anfangseuphorie dennoch spürbar nachgelassen. Neben Gleichgültigkeit schlägt vielen Geflüchteten heute mitunter Argwohn entgegen. Augsburg ist zwar laut Polizeistatistik eine der sichersten Städte Deutschlands, das Sicherheitsgefühl hat aber in den vergangenen Jahren gelitten, was auch mit Straftaten von Zugewanderten in Verbindung gebracht werden kann.

    Diese Delikte haben zugenommen: Mehr als zehn Prozent aller ermittelten Straftaten werden von Asylbewerbern und Flüchtlingen begangen. 2018 stammten 12,3 Prozent aller Tatverdächtigen aus dieser Bevölkerungsgruppe, 2019 waren es 13,7 Prozent. Die Polizei erklärt sich den Anstieg unter anderem mit der Bevölkerungsstruktur der Geflüchteten. Mit der Zuwanderungswelle 2015 seien viele junge Männer zwischen 18 und 35 Jahren nach Augsburg gekommen, die generell öfter kriminell werden als andere Gruppen. Dazu komme, dass auch der soziale Status entscheidend sei für das Risiko, kriminell zu werden.

    Die Integration geflüchteter Menschen ist nicht nur deshalb eine große Herausforderung. Geflüchtete brauchen Perspektiven und Unterstützung, damit das Miteinander gelingen kann – nicht selten bleibt es aber bei einem Nebeneinander. Die Ablehnung eines Asylantrags samt damit verbundener Rückkehr, auch das kann Ergebnis eines Asylverfahrens sein. "Darauf werden die Flüchtlingslotsen vorbereitet. Doch so etwas geht einem dennoch nahe", sagt Birgit Ritter.

    1600 Geflüchtete leben in Augsburger Einrichtungen

    In den Gemeinschaftsunterkünften und in den dezentralen Einrichtungen leben derzeit rund 1600 Geflüchtete. Viele sind bereits seit mehreren Jahren da – trotz Anerkennung können einige von ihnen nicht aus den Einrichtungen ausziehen, weil sie auf dem angespannten Augsburger Wohnungsmarkt keine Wohnung finden und sich so auch in Konkurrenz zu anderen sozial schwachen Augsburgern begeben, die ebenfalls eine Bleibe suchen. Den Flüchtlingen geht es schon lange nicht mehr um das bloße Ankommen, um den ersten Deutschkurs, den Weg zum Arzt, die Möglichkeit, Geld zu verdienen. Es geht um konkrete Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse, um den Aufenthaltsstatus, um Wohnraum.

    Wenn er auf Angela Merkels Spruch "Wir schaffen das" zu sprechen kommt, findet Simon Oschwald, der Einrichtungsleitung bei der Diakonie ist, dass in den vergangenen fünf Jahren eine Menge geschafft worden sei. Das belegen Zahlen des Augsburger Jobcenters. So konnten 2018 und 2019 jeweils rund 1000 Geflüchtete in den Arbeitsmarkt integriert werden. "Dies entspricht einer Integrationsquote von rund 35 Prozent. Diese Quote liegt deutlich über der Integrationsquote ohne Asyl- beziehungsweise Fluchthintergrund", sagt Silke Königsberger, Geschäftsführerin des Augsburger Jobcenters. Es sei sehr gut gelungen, Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dies liege auch an der hohen Motivation der Menschen selbst, so Königsberger.

    Integration ist auch in Augsburg ein langwieriger Prozess

    Der Weg dahin aber sei kein leichter, weiß auch Simon Oschwald. Das Leben der Geflüchteten gestalte sich wellenartig. Mal gebe es schnelle Erfolge, dann wieder einen Rückschlag. Ähnlich verhalte es sich mit der Integration. Oschwald: "Integration ist nichts, was man schafft und dann abhaken kann. Es gibt auch keinen Maßstab, wann sie gelungen ist." Sie sei vielmehr ein Prozess. Einer, der dieses Jahr aufgrund der Pandemie erschwert wurde. Die Sozialarbeiter hätten versucht, per Telefon, Handy oder E-Mail Kontakt zu halten, was gut gelungen sei. Dennoch hätten beengte Verhältnisse in Unterkünften dazu geführt, dass es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam.

    Die eigenen vier Wände – für viele Flüchtlinge bleibt das nach wie vor ein Traum. Oschwald würde sich wünschen, dass die Stadt aktiv werde und wie in Nürnberg selber Wohnungen anmiete, um sie an anerkannte Flüchtlinge unterzuvermieten. Es brauche Perspektiven – und das in verschiedenen Bereichen. "Die Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Erwachsenen sollte häufiger angewendet werden." Auch die Mitarbeiter im Bereich Asyl und Flucht bräuchten Planungssicherheit. Der Freistaat habe über die Richtlinie zur Förderung der sozialen Beratung, Betreuung und Integration von Menschen mit Migrationshintergrund für das kommende Jahr noch nicht entschieden.

    Flüchtlingslotsen werden in Augsburg geschult

    Die Arbeit der Flüchtlingslotsen habe auch nach fünf Jahren noch eine Perspektive, wurde Birgit Ritter erst wieder bestätigt. 16 Personen kamen zur Schulung im August – so viele wie lange nicht. "Die Menschen sind immer noch am freiwilligen Engagement interessiert. Inzwischen lassen sich auch Flüchtlinge ausbilden. Sie wollen etwas von dem zurückgeben, was sie selber an Hilfe erfahren haben."

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