Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Augsburg: Corona-Berufsverbot und keine Hilfe: Prostituierte sind verzweifelt

Augsburg

Corona-Berufsverbot und keine Hilfe: Prostituierte sind verzweifelt

    • |
    In den Bordellen herrscht derzeit wegen des Coronavirus eine Zwangspause. Selbst Hilfsorganisationen, die eigentlich ein Verbot von Sexkauf fordern, sind mit der aktuellen Lage nicht glücklich.
    In den Bordellen herrscht derzeit wegen des Coronavirus eine Zwangspause. Selbst Hilfsorganisationen, die eigentlich ein Verbot von Sexkauf fordern, sind mit der aktuellen Lage nicht glücklich. Foto: O. Berg, dpa (Symbol)

    Als Carolina am frühen Morgen des 17. März aus einem Nachtklub in Augsburg ins Taxi steigt, ahnt sie noch nicht, dass die 500 Euro, die ihr die Arbeit in dieser Nacht eingebracht hat, für lange Zeit ihr letzter Verdienst gewesen sein sollte. Wie viele ihrer Kolleginnen hat die Corona-Krise die Prostituierte eiskalt erwischt. Und staatliche Nothilfe, wie sie andere Selbstständige zur Linderung der größten Not bekommen haben, ist in der Rotlichtbranche offenbar auch nicht angekommen. „Ich möchte wissen, warum die Politik uns vergessen hat“, klagt die Frau.

    Mehr als 500 Prostituierte sind in Augsburg gemeldet

    Carolina ist nur ein Arbeitsname. Die Prostituierte aus Brasilien arbeitet seit 14 Jahren in Deutschland, zahlt hier Steuern und Krankenkassenbeiträge, wie sie betont. „Ich finde, ich habe ein Anrecht, wie jeder andere Arbeitnehmer auch behandelt zu werden“, sagt sie. Mit der Kontaktbeschränkung und dem Verbot der Prostitution wegen Corona hat sie von einem auf den anderen Tag sämtliche Einkünfte verloren.

    Dabei hat es die Brasilianerin im Gegensatz zu vielen ihrer Kolleginnen noch gut getroffen. „Ich habe immerhin eine Wohnung und einen Freund, der mir momentan das Geld für Miete, Krankenkasse und Lebensmittel auslegt“, sagt sie. Andere Frauen seien auf der Straße gelandet oder mussten bei Freiern unterkriechen, um ein Dach über dem Kopf zu haben.

    Als sie von den 400 Euro Nothilfe für Selbstständige hörte, habe sie sofort einen Antrag gestellt. „Ich habe nicht einmal eine Ablehnung bekommen – das Amt hat sich nie bei mir gemeldet.“ Mittlerweile ist sie verzweifelt genug, dass sie trotz Verbots einzelne Stammkunden wieder besucht. „Ich kann doch nicht verhungern“, rechtfertigt sie sich. Nach Schätzungen von Experten sind circa eine Million Frauen in Deutschland in der Prostitution tätig – ob freiwillig oder nicht.

    Die meisten Prostituierten in Augsburg stammen aus Osteuropa

    In Augsburg sind 540 Anmeldebescheinigungen durch die Stadt zwischen Juli 2017 und März 2020 für Prostituierte ausgestellt worden. Was nicht heißt, dass diese Anzahl an Frauen in Augsburg arbeitet – einmal angemeldet, kann eine Prostituierte ohne erneute Anmeldung in ganz Deutschland anschaffen. 95 Prozent der gemeldeten Prostituierten seien weiblich, erklärt die Ordnungsbehörde der Stadt. Die Top-3-Herkunftsländer: Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Nun haben diese Frauen seit dem 17. März keine Möglichkeit mehr, ihrer Tätigkeit legal nachzugehen – seit diesem Tag sind die Bordelle in Augsburg offiziell geschlossen.

    Wie viele Prostituierte nun im Geheimen ihr Geld verdienen, kann die Ordnungsbehörde laut eigener Auskunft nicht abschätzen. Auch der Zeitpunkt einer möglichen Wiedereröffnung sei aktuell nicht absehbar. Für manche, die den Frauen im Rotlichtmilieu helfen wollen, ist das aktuelle Prostitutionsverbot ein zweischneidiges Schwert. Etwa für die Menschenrechtsorganisation Solwodi. Der katholisch geprägte Verband setzt sich schon länger für ein generelles Verbot des Sexkaufs in der Bundesrepublik ein.

    Die aktuelle Situation müsste den Verein also erfreuen – doch so einfach ist es nicht. Linda Greiter, Leiterin der Augsburger Niederlassung, erklärt warum: „Wir leisten hier aufsuchende Arbeit. Das heißt, wir besuchen die Frauen oftmals dort, wo sie den Großteil ihres Tages verbringen – in den Prostitutionsstätten. Das fehlt jetzt.“ Mit der Schließung der Etablissements sei es ihres Wissens nach vielen Frauen in Augsburg noch rechtzeitig gelungen, wieder zurück in ihre Heimatländer zu reisen. Aber eben nicht allen.

    Das Coronavirus verschlimmert die Situation der Prostituierten in Augsburg

    Und das verschlimmert die nach Ansicht der Hilfsorganisation ohnehin prekäre Lage dieser Frauen zusätzlich. Denn in vielen Fällen, so Greiter, würden die Prostituierten in dem Zimmer, in dem sie ihren Körper verkaufen, auch wohnen – zu horrenden Mieten. Nach Schätzungen von Branchenkennern belaufen sich diese auf 150 Euro und mehr. Pro Tag. Nun müssten die Frauen Schulden bei den Vermietern machen – oder sie landen auf der Straße. „Wir wissen von Frauen, die in der Corona-Krise nun bei einem Freier eingezogen sind und sich gegen Obdach zur Verfügung halten.“

    Wieder andere Prostituierte gingen ihrer Tätigkeit nun ungeregelt in Privatwohnungen nach. Das Schicksal der meisten Frauen seit Corona kennt Linda Greiter gar nicht. „Diese Frauen leben seit jeher in einer Parallelgesellschaft, ihnen zu helfen, ist in normalen Zeiten schon schwierig.“ So hätten Prostituierte wie Carolina beispielsweise als Selbstständige zwar ein Anrecht auf Corona-Soforthilfen.

    Nur: Kaum eine Frau spricht gut genug Deutsch, um sich mit der hiesigen Bürokratie auseinanderzusetzen. Oder es fehlen Unterlagen, ohne die es keine Soforthilfen gibt. Mittlerweile ist ein vom Bund verfasstes Papier aufgetaucht, in welchem auch über eine „schrittweise“ Öffnung von Bordellen nachgedacht wird. Allerdings entscheiden die Bundesländer in Eigenregie, wann auch die Prostitutionsstätten wieder öffnen dürfen. In Bayern sind, Stand Freitag, noch keine Pläne dazu bekannt.

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Prostitution: Was besser wäre als ein Verbot

    Lesen Sie auch:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden