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Augsburg: Burnout: Und wer sorgt sich um die Seelsorger?

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Burnout: Und wer sorgt sich um die Seelsorger?

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    Zwei Pfarrer, eine Geschichte: Dietrich Tiggemann (links) und Gerhard Groll haben erlebt, welche Folgen Stress haben kann.
    Zwei Pfarrer, eine Geschichte: Dietrich Tiggemann (links) und Gerhard Groll haben erlebt, welche Folgen Stress haben kann. Foto: Annette Zoepf

    Dietrich Tiggemann war dann mal weg. Von heute auf morgen. Seine neunmonatige Auszeit nutzte der evangelische Pfarrer aber nicht zum Pilgern à la Hape Kerkeling. Ein psychisch-körperlicher Erschöpfungszustand – auf Neudeutsch Burnout – zog ihn vor drei Jahren völlig aus dem Verkehr. „Obwohl nichts weh getan hat, war das eine ganz schlimme Zeit“, sagt der knapp 60-Jährige rückblickend.

    Und dann beginnt der gebürtige Gelsenkirchener eine Geschichte zu erzählen, die erst mal gar nicht mit dem kräftigen Mann mit dem Rauschebart und dem Ring im linken Ohrläppchen in Einklang zu bringen ist: „Ich habe gearbeitet und gearbeitet und irgendwann bin ich zuhause gesessen und habe nur noch geheult.“ Was dann kommt, geschieht alles ohne sein Zutun. Familie und Freunde übernehmen die Regie. „Sie haben mich zum Arzt getragen, die Vertrauenspfarrerin und den Dekan eingeschaltet, der mich dann aus dem Dienst genommen hat.“ Dagegen habe er sich erst mal gewehrt: „Der Beruf ist doch ein Lebensfaktor für mich.“ Nach Aufenthalten in einer therapeutischen Rückzugsstätte der evangelischen Kirche – dem Haus „Respiratio“ im Fränkischen –, in einer Reha-Einrichtung sowie zuhause im Augsburger Stadtteil Kriegshaber beginnt Tiggemann nach neun Monaten über eine Wiedereingliederung stundenweise zu arbeiten, um dann einige Zeit später auf eigene Verantwortung wieder voll seine Arbeit in der Gemeinde St. Thomas aufzunehmen. Er sagt: „Ich weiß, dass ich schon wieder weit über das hinaus arbeite, was richtig ist. Und ich muss gewaltig aufpassen, weil ich schon wieder am selben Punkt angelangt bin wie vor drei Jahren. Mit dem Unterschied, dass ich mir dessen bewusst bin.“ Und dass er weiterhin ärztlich und therapeutisch betreut werde.

    Kein Einzelfall

    Dietrich Tiggemann ist kein Einzelfall. Wer in die Internet-Suchmaschine die Wörter „Pfarrer“ und „Burnout“ zusammen eingibt, erhält ungezählte Treffer und Überschriften wie „Die Hirten sind müde“. Das Portal Evangelisch.de meldet, dass jeder fünfte Pfarrer betroffen sei und 60 Wochenstunden gang und gäbe seien. Tiggemann korrigiert diese Zahl noch nach oben. In seiner Ordinationsurkunde stehe, dass ein Pfarrer an sieben Tagen pro Woche 24 Stunden im Dienst zu sein habe. Seit einem halben Jahr gibt es in der evangelischen Kirche allerdings ein Gesetz, das eine Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden festsetzt. Der Pfarrer lächelt und sagt: „Die Kollegen gehen damit höchst unterschiedlich um.“

    Es ist nicht nur die Arbeitszeit, die an die Substanz geht. Als Hauptproblem sieht Tiggemann die fehlende Vorbereitung auf die Vielfalt der Aufgaben. „Das Praktische kommt in unserer Ausbildung zu kurz“, sagt er. „Wir müssen Dinge wuppen, die nicht unser Ding sind, zum Beispiel Haushaltspläne aufstellen.“

    Dass der 59-Jährige trotz allem vom Pfarrerdasein als „einem der schönsten Berufe“ spricht, verdankt er dem Rückhalt seiner Frau und seiner beiden Töchter („Ohne sie wäre ich weg vom Fenster“) und seiner Gemeinde: „Die hat meinen Ausfall ganz bravourös aufgefangen.“ Durch seinen offenen Umgang mit dem Ausgebranntsein habe er zudem von vielen Menschen erfahren, dass sie in einer ähnlichen Situation stecken wie er. „Burnout ist kein Phänomen der Kirche, sondern unserer Zeit.“

    Hörsturz vor 15 Jahren

    Und dennoch: Auch Gerhard Groll, Tiggemanns katholischer Amtsbruder in Kriegshaber, hat am eigenen Leib erfahren, dass starke berufliche Belastung den Körper streiken lässt. Vor mehr als 15 Jahren erlitt er einen Hörsturz. „Auf einem Ohr war ich damals taub, dann kam der Tinnitus“, sagt der Leiter der Pfarreiengemeinschaft St. Thaddäus/Heiligste Dreifaltigkeit. Er habe ein „saumäßiges Glück“ gehabt, dass die Beschwerden wieder völlig abgeklungen seien – auch dank des Verständnisses seines Vorgesetzten und einer mehrwöchigen Auszeit auf Madeira. Im Nachhinein ist der Pfarrer froh über diesen „Schuss vor den Bug. lch habe gelernt, dass ich nicht unverletztlich bin.“ Groll traf der Warnschuss zu einer Zeit, als das Wort Burnout noch nicht in aller Munde war. Auch heute würde er nicht sagen, dass er damals an diesem Erschöpfungszustand gelitten habe. Zugleich betont er: „Latent gefährdet ist man immer.“

    Groll muss nicht nur drei Kirchen, zwei Kindertagesstätten, eine Sozialstation, einen Friedhof mit insgesamt rund 80 Mitarbeitern und zahlreichen Ehrenamtlichen managen. Er musste auch Zeiten durchstehen, in denen ihm der Wind gewaltig ins Gesicht blies. Etwa, als die Gemeinde Heiligste Dreifaltigkeit wegen der Abrisspläne für das Pfarrzentrum auf die Barrikaden ging. Diese Monate sind an dem auf den ersten Blick robusten und sasloppen Geistlichen nicht spurlos vorübergegangen. Doch auch hier habe der Rückhalt der Diözese und seiner Freunde geholfen, diese Zeit durchzustehen.

    Freunde (auch solche, die mit Kirche nichts am Hut haben) sind für Groll als Ausgleich zum Berufsalltag ganz wichtig. Dass er sich als junger Mann fürs Priestertum und gegen eine Familie entschieden hat. beschäftigt ihn heute nicht mehr. Das Alleinsein habe manchmal auch Vorteile, sagt er und schmunzelt. Gleichwohl ist er der Ansicht, dass die Abschaffung des Zölibats ein wesentlicher Punkt wäre, um dem Priestermangel in der katholischen Kirche – und der damit einhergehenden Arbeitsbelastung – entgegenzuwirken.

    Sieben tage im Dienst

    Gerhard Groll ist wie Dietrich Tiggemann meist sieben Tage die Woche im Dienst. Um durchzuhalten, schwört er auf seinen Mittagsschlaf. Und im Sommer setzt er alles daran, Termine auf den Vormittag und den Abend zu legen, um an seinem geliebten Eiskanal zum Schwimmen zu gehen. Darüber hinaus hat er die für ihn früher eher lästigen Werktagsgottesdienste als „kleine Auszeit im Alltag“ schätzen gelernt und achtet darauf, dass auf eine Woche mit vielen Abendterminen eine ruhigere Phase folgt. „Es kostet Energie, nein sagen zu können“, betont der 53-Jährige.

    Auch Tiggemann muss lernen, nein zu sagen. Lernen, sich Pausen zu nehmen, etwa zum Atemholen mit dem neuen Salutogenese-Programm der evangelischen Kirche. Und da wäre noch der Traum von einem dreimonatigen Sabbatical, einer bewussten, längeren Auszeit. Die Aussicht darauf hält ihn aufrecht. „Doch vor 2018 schaffe ich das sowieso nicht.“

    Denn auch bei den Protestanten macht sich immer stärker ein Phänomen bemerkbar, das man bislang vor allem den Katholiken zuschrieb: Priestermangel.

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