Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Augsburg: Bewohner geben Einblicke: So leben sie in der Schlossermauer

Augsburg

Bewohner geben Einblicke: So leben sie in der Schlossermauer

    • |
    Die Häuserreihe in der Schlossermauer kennt man vor allem von dem Blick in die Gärten vom Oberen Graben aus.
    Die Häuserreihe in der Schlossermauer kennt man vor allem von dem Blick in die Gärten vom Oberen Graben aus.

    In Augsburg gibt es eine Häuserreihe, die zwischen zwei Welten liegt. Zur westlichen Seite öffnen sich die Häuser in eine pittoreske und idyllische Welt. Ihre Rückseite ist dafür umso frequentierter und lärmender. Es geht um die Häuser in der Schlossermauer. Vor deren Eingangstüren liegt das beschauliche Altstadt-Gässchen. Hier lehnen höchstens Fahrräder an den Wänden. Die Müllabfuhr muss sich durch das Nadelöhr quälen.

    Auf der Rückseite der Häuser wälzt sich täglich der Verkehr durch den Oberen Graben, vorbei an den vielen parkenden Autos. Auf dieser Seite des lauten Augsburgs erhascht man vom breiten Rad- und Fußweg aus durch das dichte Grün der Büsche und Bäume den ein oder anderen Blick nach unten in die Gärten. Durch sie fließt der Stadtgraben. Kleine Brücken spannen sich über den Bach. Es sind ohne Frage besondere Häuser, das zeigt auch der Blick in die Vergangenheit. Nur, wie lebt es sich in der Schlossermauer?

    Manchmal wird es in der Augsburger Schlossermauer schmerzhaft

    In unachtsamen Momenten jedenfalls schmerzhaft. Erst heute hat sich Joachim Behm mächtig seinen Kopf angestoßen. Diesmal, als er aus der Kellertür in seinen Garten treten wollte. Dabei weiß er es eigentlich besser. Aber in Gedanken versunken vergisst der Eigentümer schon mal, dass manche Decken oder Türstöcke einfach niedriger sind. Im Fall der Tür zum Garten sind es schmerzhafte 1,50 Meter. Der Einrichtungsberater hatte in den 80er Jahren das Haus erstanden. Viel konnte er bei der Renovierung nicht ändern. „Zu der Zeit wurde der Denkmalschutz sehr streng.“ Behm und sein Mann Michael Mikolaiczyk lieben das verwinkelte Haus mit sechs kleinen Zimmern auf drei Etagen. „Für uns ist es ein großes Glück mitten in Augsburg zu wohnen.“ Dafür nimmt das Paar gerne ein paar Unannehmlichkeiten in Kauf.

    Etwa, dass der Stellplatz ihres Autos weiter entfernt zwischen City-Galerie und Textilmuseum liegt. Oder sie ihre Fahrräder bei der Nachbarin gegenüber im Innenhof abstellen müssen. Denn bei sich im Häuschen ist dafür kein Platz. Eng sind die Holztreppen, die von Etage zu Etage führen. Auf die kleine Galerie ganz oben gelangt man sogar nur über eine Holzleiter. Dieses Haus mit seinem individuellen Charme ist für Altstadt-Liebhaber ein Paradies, für vernunftgetriebene Pragmatiker wohl eher die Hölle. Für sie wäre etwa der kleine schmale Raum zur Schlossermauer-Seite, durch den man gebückt – Achtung Kopf – hineingehen muss, wertlos.

    Joachim Behm und Michael Mikolaiczyk leben gerne in der Schlossermauer.
    Joachim Behm und Michael Mikolaiczyk leben gerne in der Schlossermauer. Foto: Silvio Wyszengrad

    Behm jedoch nutzt ihn als Mini-Bibliothek. „Ich denke, der Raum gehörte mal zum alten Wehrgang.“ Die Schlossermauer war einst ein Teil von Augsburgs Stadtmauer. Doch durch die neue Befestigung der Jakobervorstadt wurde die alte Stadtbefestigung überflüssig. Der Stadtrat ließ laut Stadtlexikon an der Schlossermauer 48 Häuser für Handwerker errichten. Eine Handwerkerin lebt auch heute ein paar Häuser weiter.

    Die Geschichte der Schlossermauer

    Die Schlossermauer erhielt ihren Namen in der Frühen Neuzeit, als in diesem Teil der Stadt die Schlosser und Schmiede angesiedelt wurden. Augsburg sollte von Lärm und Gestank der Handwerker befreit werden.

    Deshalb wurden sie an den Stadtrand verbannt. Außerdem war das Wasser des Stadtgrabens zur Benutzung in der Nähe, falls bei den Arbeiten etwa in der Schmiede ein Feuer ausbrechen sollte.

    Die kleinen Häuschen, die sich an der ehemaligen Stadtmauer entlangducken, hatten eine Stube, eine Küche, eine Werkstatt oder einen Verkaufsraum im Erdgeschoß.

    Dazu kamen drei Kammern im Obergeschoß und zwei unter dem Dach, so dass eine durchschnittliche Handwerkerfamilie hier ausreichend Lebensraum hatte. Um 1650 hat man die Häuser nicht mehr vermietet, sondern an Bürger verkauft.

    Das Haus neigt sich Richtung Stadtgraben

    Es ist Maria Verburg, die vor allem für das Designen von Papier-Handtaschen bekannt ist. Mit Ehemann Adam Löffler, ein Architekt und Kunstprofessor, wohnt sie seit 20 Jahren in der Schlossermauer. Drei Jahre brauchten die beiden, um das Haus umzubauen. „Als wir es übernahmen, traute man sich kaum hier rein“, erinnert sich die Künstlerin. Denn das Haus steht, wie auch andere an der Schlossermauer, schief.

    „Es kippt um vier Grad in den Stadtgraben hinein“, sagt Verburg und zeigt auf eine historische Wandnische, in der jetzt Bücher untergebracht sind. Sie ist tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes schräg. Der Untergrund der Häuser, erklärt die 73-Jährige, sei früher Wasser gewesen. Es wurde zwar zum Teil aufgeschüttet, aber die Häuser neigen sich doch andächtig gen Osten. Die statischen Auflagen von Seiten des Denkmalschutzes war für das Ehepaar eine besondere Herausforderung. Betondecken wurden eingezogen. Auch Stahlträger, die die Mauern zusammen halten. Sie verlaufen an den Decken neben alten Holzbalken entlang. Der Mix aus Alt und Modern hat Charme.

    Maria Verburg hat unter dem Dach ihr Atelier.
    Maria Verburg hat unter dem Dach ihr Atelier. Foto: Silvio Wyszengrad

    Das Haus hat vier Ebenen und einen ausgebauten Dachstuhl, in dem Maria Verburg ihre Werkstatt untergebracht hat. Nahezu jede Ebene ist ein einziger Raum, eingerichtet mit viel Holz und viel Stil. Selbst das Bügelbrett, das an einer Treppe seinen Platz hat, ist aus Holz. Dass so profane Gegenstände so hübsch aussehen können, erstaunt nahezu. Man merkt, dass hier Künstler leben. „Alle Räume haben ihre Berechtigung“, sagt Verburg während sie durch das Haus führt. Unten im ausgebauten Keller etwa, hat ihr Mann sein Büro. Von hier aus geht es in den Garten, wo sich das Ehepaar einen lauschigen Freisitz gebaut hat – eingerahmt von Mauern, Holzwänden und Pflanzen. Verburg muss von hier die kleine Holztür aufsperren, um zu den angrenzenden Bach zu gelangen. Ob sie sich in dem Kanal im Sommer erfrischen?

    „Nein, reinsteigen können wir nicht. Im Wasser sind häufig Glasscherben, weil Leute vom Oberen Graben aus ihre Bierflaschen hineinwerfen.“ Dass es weitere unliebsame „Gäste“ gibt, davon zeugt eine leere Mausefalle auf der Terrasse. Verburg zuckt entspannt mit den Achseln. „Natürlich gibt es hier Mäuse und auch Ratten.“ Darum achte sie stets darauf, kein Essen auf der Terrasse stehen zu lassen und die Tür geschlossen zu halten. Denn eine unliebsame Erfahrung hat sie damals bei den Renovierungsarbeiten gemacht. „Ich briet Würstchen in der Pfanne. Später entdeckte ich Fußspuren im Fett.“

    Maria Verburg ist gebürtige Hamburgerin, lebte bis zu dem Erwerb des Hauses in München. Sie und ihr Mann interessieren sich für die Geschichte der Häuser an der Schlossermauer. Sie weiß, dass die Häuser um 1570 gebaut wurde, während des 30-jährigen Krieges vieles kaputt ging, die Stadt sie verkaufte und seitdem eine Individualisierung Einzug hielt. „Unser Haus wurde um 1800 grundsätzlich umgebaut.“ Verburg findet es selbstverständlich, sich für die Geschichte zu interessieren, wenn man in so ein geschichtsträchtiges Gebäude einzieht.

    Die Schlossermauer ist eine schmale Gasse.
    Die Schlossermauer ist eine schmale Gasse. Foto: Ina Marks

    Die Schröders hätten sogar noch ein Braurecht

    Die Schröders von schräg gegenüber wissen auch viel über ihr eigenes Haus. Etwa dass sie theoretisch Bier brauen dürften. „Bis zu 1870 war das Haus hier eine eigenständige Weißbierbrauerei. Das Braurecht bleibt auf dem Haus. Es ist unverkäuflich“, erzählt das Galeristenehepaar. Dabei sieht es in dem umgebauten Pferdestall im Erdgeschoss eher nach einer gemütlichen Weinstube aus. Augsburger wissen, dass bis vor Kurzem hier noch Konzertreihen und Lesungen abgehalten wurden. Für viele Künstler, und davon leben im Lechviertel einige, war die Galerie von Gottfried und Waltraud Schröder ein beliebter Anlaufpunkt. Hier traf sich die Szene. Seit einem Jahr treten der 79-jährige studierte Architekt und seine Frau kürzer.

    Das Ehepaar Gottfried und Waltraud Schröder.
    Das Ehepaar Gottfried und Waltraud Schröder. Foto: Silvio Wyszengrad

    Zwei Jahre lang hatten die beiden vor über 30 Jahren das Haus mit den unzähligen kleinen Zimmern hergerichtet. Dazu gehörte auch, dass Schröder Stuck an den Decken freilegte. „Die Arbeiter in der Unterstadt wollten auch etwas von dem Glanz der reichen Patrizierhäuser in der Oberstadt haben“, erzählt Schröder. Besonders stolz ist er auf die denkmalgeschützte Holztreppe, die er für die eigenhändige Sanierung vorübergehend ausbauen musste.

    Diese Eigentümer an der Schlossermauer hatten Visionen, wie ihr Zuhause mal aussehen sollte, packten selbst mit an, steckten viele Ideen, Geld und Schweiß in ihre individuellen Immobilien. Kein Wunder, dass sie das Leben in der idyllischen und einzigartigen Schlossermauer lieben. Und gegen den lauten Verkehr, der sich auf der Rückseite durch den Oberen Graben wälzt, sind sie gewappnet: mit modernen Schallschutzfenstern.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden