Die Sieben-Tage-Inzidenz in Augsburg liegt aktuell bei 324,8. Sind die Infektionszahlen an Schulen und Kitas gerade besonders hoch?
Nein, derzeit gibt es laut Dr. Thomas Wibmer, stellvertretender Leiter des Gesundheitsamts, ein diffuses Infektionsgeschehen in Augsburg, das alle Altersgruppen betrifft. Kinder unter zehn Jahren seien in der Statistik eher unauffällig, wobei es eine Dunkelziffer gebe. Laut Wibmer gibt es Hinweise, dass Kinder weniger ansteckend sind als Erwachsene. Jugendliche und junge Erwachsene bis 30 Jahre tragen laut Wibmer maßgeblich zum Infektionsgeschehen bei. Trotzdem könnten Schulen nicht als Ansteckungsquelle ausgemacht werden. Das belegen auch die Zahlen des Bildungsreferats. Demnach waren, Stand Dienstag, 0,53 Prozent der Schüler an Grund-, Mittel- und Förderschulen mit dem Coronavirus infiziert, an den Realschulen waren es 0,22 Prozent, an den Gymnasien 0,17 Prozent aller Schüler.
Das Virus werde eher in die Schulen getragen, als dass sich dort Schüler und Lehrer gegenseitig ansteckten. Wibmer: "Die Hauptinfektionsquelle ist im Freizeitverhalten junger Menschen zu suchen. Wenn sie etwa dieselbe Wasserpfeife benutzen, aus demselben Glas oder derselben Flasche trinken oder sich küssen, kann das Virus übertragen werden. Unser Appell ist deshalb, dieses Freizeitverhalten zu überdenken."
Woher nimmt die Stadt die Gewissheit, dass Schulen keine "Infektionstreiber" sind?
Wird bei einem Schüler eine Infektion festgestellt, werden laut Wibmer alle Schüler getestet und sie gehen in eine 14-tägige Quarantäne. Bei den Reihentestungen in den Klassen eines infizierten Schülers habe man bisher nur sehr vereinzelt weitere positive Fälle gefunden. Dies lege nahe, dass das Virus innerhalb von Schulen kaum weiterverbreitet werde. In Augsburg befinden sich, Stand Dienstag, 31 Klassen in Quarantäne. Nach den Erhebungen des Bildungsreferats ist diese Zahl im Vergleich zur Vorwoche gesunken.
Was müsste passieren, dass eine Schule ganz geschlossen wird?
Nötig würde dies laut Thomas Wibmer nur dann, wenn an einer Schule grob fahrlässig gehandelt würde, wenn man sich also nicht an die Hygienepläne hielte und es auffällig viele Ansteckungen zwischen Schülern und Lehrern gäbe. "Diesen Fall kann ich mir aber in Augsburg gar nicht vorstellen", sagt Wibmer.
Der Augsburger Inzidenzwert stieg sehr schnell auf über 350. Warum wurde so lange mit einer Entscheidung für den Wechselunterricht gewartet, wo der Drei-Stufen-Plan des Kultusministeriums einen solchen bereits bei einem Inzidenzwert von 50 ermöglicht hätte?
Die Augsburger Expertenrunde, bestehend aus Bildungsbürgermeisterin Martina Wild (Grüne), Schulamtsleiter Markus Wörle und Thomas Wibmer, betont, stets das Infektionsgeschehen in der Stadt im Blick gehabt zu haben. Man habe dabei auch den Ermessensspielraum genutzt, den der Rahmenhygieneplan des Kultusministeriums vorsieht. Laut Wild ist dort festgehalten, dass Wechselunterricht bei einer Überschreitung des Grenzwerts angeordnet werden könne, es aber keinen Automatismus gebe.
Angesichts der hohen Sieben-Tage-Inzidenz habe die Stadt zunächst die Einhaltung des Mindestabstands angeordnet. Weil nicht alle Bildungseinrichtungen entsprechend große Räume haben, bedeutet dies für einen Großteil der Schüler an weiterführenden Schulen nun einen Wechsel aus Präsenz- und Distanzunterricht. Dass man in der Woche vor den Herbstferien noch den Regelunterricht habe weiterlaufen lassen, habe daran gelegen, dass man Schulen und Eltern noch einige Tage Vorbereitungszeit lassen wollte, so Wild. Die Entscheidung sei an einem Samstag getroffen worden - ein Wechsel am Montag wäre zu kurzfristig gewesen.
Wie wird dieser Wechsel von den Schulen organisiert?
Alle acht Realschulen haben laut Wild die Klassen geteilt, vier davon im wöchentlichen, vier im täglichen Wechsel. Aus den Gymnasien liegt dem Bildungsreferat derzeit noch keine Übersicht vor. Dort lege man den Fokus laut Wild vor allem darauf, die Abschlussjahrgänge im Präsenzunterricht unterzubringen, sofern die Raumgrößen dies zulassen. Die weiteren Jahrgangsstufen werden getrennt.
Warum gilt der Wechselunterricht nicht auch für Grund-, Mittel- und Förderschulen? Viele Kinder und Lehrer fühlen sich dem Virus dort "ausgeliefert"...
Der erste Lockdown, bei dem auch die Schulen geschlossen waren, habe diese Einrichtungen pädagogisch gesehen um fünf Jahre zurückgeworfen, sagt Schulamtsleiter Wörle. Würde man auch hier in den Wechselunterricht gehen, bestünde die Gefahr, viele Kinder zu verlieren, weil sie lieber von morgens bis abends im Quartier unterwegs seien, als sich zum Unterricht an den Computer zu setzen. Bei den Überlegungen, diese Schularten im Präsenzunterricht zu lassen, habe zudem die Sozialstruktur der Stadt eine Rolle gespielt.
Im Mittel- und Förderschulbereich benötigten die Schüler Struktur im Tagesablauf, eine starke pädagogische Präsenz sowie die Chance auf Bildungsgerechtigkeit. Man habe in Augsburg anteilig aber mehr Kinder, die zuhause nicht so gut betreut und beaufsichtigt würden, wie das in ländlicheren Regionen der Fall sei. Hinzu kommt laut Wörle, dass die Kinder in diesen Schularten sehr gut im Klassenverband unterrichtet werden können - selbst im Fachunterricht wie zum Beispiel Religion. Dass hier Klassenverbände nicht geteilt und gemischt unterrichtet werden, wie zum Beispiel auf den Gymnasien, wirke sich mindernd auf das Infektionsgeschehen aus.
Bei leichten Erkältungssymptomen können die Kinder in Augsburg neben den Grundschulen auch die weiterführenden Schulen besuchen, ohne dass sie ein Attest oder einen negativen Covid-19-Test vorlegen müssen. Augsburg weicht hier von den Vorgaben des Kultusministeriums ab, was teils für Unverständnis sorgt. Warum geht die Stadt diesen Sonderweg?
Die Vorgabe, ein Attest oder einen negativen Test vorlegen zu müssen, sei laut Schulamtsleiter Markus Wörle nicht in Stein gemeißelt. Von Seiten der Haus- und Kinderärzte sowie vom Testzentrum sei zudem signalisiert worden, dass es gar keine Kapazitäten gebe, "massenweise Atteste auszuschreiben oder Abstriche vorzunehmen", so Wibmer. Man überlasse die Entscheidung, wann ein Kind in den Unterricht kommen darf oder nicht, der Schulleitung, weil dies die praktikabelste Lösung vor Ort sei.
Von Schulen erhielte man für diese Vorgehensweise viel positive Resonanz, so Martina Wild. Überhaupt schauen andere Kommunen bereits seit Frühjahr mit Interesse auf die flexible Vorgehensweise in Augsburg. Im Landkreis Augsburg sehen die Regelungen anders aus. Laut dem Landratsamt Augsburg soll die verbindliche Anweisung des Gesundheitsamts zu negativen Corona-Tests oder einem ärztlichen Attest vor dem Wiedereintritt in die Schule zu 100 Prozent befolgt werden. Auch nach Einschätzung der Hausjuristen gebe es keinen Spielraum. (mit jah)
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