In Bayern sind am Mittwoch die Vorbereitungen für die Verlegung von insgesamt 50 Corona-Intensivpatienten und -patientinnen in andere Bundesländer angelaufen. Aus Schwaben wird es voraussichtlich 15 Verlegungen geben, aus den Kliniken im Großraum Augsburg dürfte es auf sechs Verlegungen hinauslaufen, die am Freitag oder Samstag stattfinden könnten. Wir klären die wichtigsten Fragen zur aktuellen Corona-Lage in Augsburg.
Warum sind die Verlegungen nötig? Die Intensivstationen in der Region brauchten sofort Entlastung, sagt Uniklinikums-Chefarzt Prof. Axel Heller, der die Krankenhausbelegung im Großraum Augsburg koordiniert. "Es gibt keine Luft mehr." In den Krankenhäusern in Augsburg und den Landkreisen Augsburg, Aichach-Friedberg, Donau-Ries, Dillingen lag die Intensiv-Auslastung am Mittwoch bei 99,2 Prozent, gut die Hälfte der Betten ist mit Covid-Fällen belegt. Nicht-Corona-Notfälle können noch versorgt werden. "Aber so eingeschränkt wie jetzt waren die Möglichkeiten noch nie", so Heller.
Wie werden diese Verlegungen laufen? Koordiniert wird die Aktion zentral von Nürnberg aus. Am Mittwoch liefen die Planungen. Heller sagt, dass es bei langen Strecken auf Verlegungen mit dem Flugzeug hinauslaufen könnte, womöglich durch die Bundeswehr. Das werde aber überörtlich entschieden. Grundsätzlich kämen für solche Verlegungen vor allem Patienten und Patientinnen infrage, deren Zustand sich bereits bessert. Bei Weitem nicht alle Intensivfälle seien für einen Transport geeignet.
Wie sind die Prognosen für die Klinikbelegung? Für den Großraum Augsburg prognostiziert das Robert-Koch-Institut aufgrund des Infektionsgeschehens einen Anstieg bei den Intensivpatienten von 20 bis 25 bis zum 9. Dezember - zusätzlich zu den aktuell 67 behandelten Patienten. Das sei unter den jetzigen Gegebenheiten nicht zu bewältigen, so Heller. "Wir müssen auf die eine oder andere Weise Entlastung schaffen." Allerdings würden durch die länderübergreifenden Verlegung nur sechs Betten frei. "Das wird nicht lange vorhalten", warnt er. Als vor eineinhalb Wochen alle verschiebbaren Behandlungen in Kliniken gestoppt wurden, brachte das kurzzeitig etwas mehr freie Kapazitäten. Inzwischen sind diese Betten alle durch neue Akutfälle belegt.
Wie akut droht in den Krankenhäusern eine Triage? Heller sagt, man ziehe weiterhin alle Register, um dieses Szenario zu vermeiden - die Handlungsspielräume würden aber kleiner. Zuletzt hätten alle Kliniken in der Region ihr Möglichstes getan, um Intensivkapazitäten auszubauen, man verlege Patienten innerhalb Bayerns, versuche Personal zwischen Krankenhäusern umzuschichten, und habe verschiebbare Eingriffe untersagt. "Wir fahren mit den personellen Kapazitäten auf Verschleiß", so Heller. Das heißt: Pflegekräfte sind für mehr Betten zuständig als festgelegt. Irgendwann werde man aber womöglich an einen Punkt kommen, wo der Betrieb von zu vielen Intensivbetten mit zu wenig Personal nicht mehr verantwortbar ist. "Und es ist ein sensibler Punkt, wo man diese Schwelle ansetzt", sagt Heller. Denn eine Triage bedeutet, dass manche Patienten und Patientinnen nur noch palliativ behandelt werden können - die Behandlung zielt nicht mehr auf Heilung, sondern auf Linderung der Symptome beim Sterben ab. Die Uniklinik hat bereits in der ersten Welle ein Triage-Team aufgestellt, das anhand eines Punktesystems regelmäßig ermitteln würde, wer welche Überlebenschancen hat (unabhängig, ob coronaerkrankt oder nicht und unabhängig vom Impfstatus). "Wir sind aber noch nicht an diesem Punkt für eine Triage, und ich hoffe, dass wir drum herumkommen", so Heller. Sollte die Situation absehbar werden, werde man 36 Stunden vorher eine Meldekette auslösen. Über Zwangszuweisungen an andere Kliniken könne man dann vielleicht noch eine Triage abwenden. Heller appellierte an Bürger und Bürgerinnen, eine Patientenverfügung auch im Hinblick auf Corona (www.fuersichvorsorgen.de) auszufüllen.
Wie verläuft das aktuelle Infektionsgeschehen in Augsburg? Es gibt nach wie vor eine statistische Verzerrung beim Inzidenzwert aufgrund eines Datenfehlers in den Zahlen des Robert-Koch-Instituts. Das Gesundheitsamt ging am Mittwoch von einem realen Inzidenzwert von 575 in Augsburg aus. Der bereits vor einigen Tagen festgestellte Trend, dass das exponentielle Wachstum für den Moment vorbei sei, verfestige sich, so der stellvertretende Gesundheitsamts-Leiter Dr. Thomas Wibmer. Der R-Wert (er sagt aus, wie viele Neuansteckungen ein Infizierter/eine Infizierte verursacht) liegt seit Tagen bei minimal über 1,0 - eine Infektion zieht durchschnittlich also "nur" noch eine weitere Neuinfektion nach sich.
Woran liegt es, dass das Wachstum stagniert? "Das Virus wird in der Herbstwelle gewissermaßen Opfer seines eigenen Erfolgs", so Wibmer. Es falle dem Virus angesichts der bereits Infizierten und der Geimpften schwerer, weiterzuspringen. Allerdings komme es in der Folge solcher Entwicklungen häufig dazu, dass Viren in andere Gruppen der Bevölkerung wechseln. "Wir könnten eine Umverteilung des Infektionsgeschehens um Weihnachten herum bekommen", vermutet Wibmer, verbunden mit einem deutlichen Anstieg. Von einer Durchseuchung sei man noch weit entfernt. Die staatlichen Corona-Maßnahmen, die vor einigen Tagen verschärft wurden und erst seit Mittwoch voll durchschlagen, dürften noch nicht für die Verlangsamung verantwortlich sein. "Aber die Menschen haben natürlich mitbekommen, dass das Infektionsgeschehen zugenommen hat", so Wibmer. Womöglich hätten viele von sich aus bereits Kontakte eingeschränkt.
Was bedeutet ein Stagnieren der Neuinfektionen? Wibmer betont, dass es keine Entwarnung gebe. "Selbst wenn dieses Niveau so bleiben sollte, haben wir ein sehr hohes Infektionsgeschehen mit hohem Infektionsrisiko. Das ist kein Stillstand des Infektionsgeschehens, sondern nur ein Stillstand des Wachstums", so Wibmer. In Zahlen bedeute dies, dass es weiterhin 250 Neuinfektionen pro Tag in Augsburg geben werde. Statistisch müssten davon zehn Fälle pro Tag neu ins Krankenhaus aufgenommen werden, 2,5 davon auf der Intensivstation. "Und die Patienten liegen ja nicht nur einen Tag im Haus, sondern Wochen. Wir müssen von diesem Niveau runter", so Wibmer. Heller erinnert daran, dass die Uniklinik im vergangenen Winter/Frühjahr bis in den April damit beschäftigt war, die Folgen der hohen Inzidenzwerte vom November 2020 abzuarbeiten.
Was tun? Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) erneuerte am Mittwoch ihre drastischen Appelle zur Impfung. Sie wisse, dass manche Menschen noch Bedenken hätten. "Aber in Bayern stirbt alle 25 Minuten ein Mensch an Corona", so Weber. Die Impfung sei eine persönliche Entscheidung, aber sie betreffe die ganze Gesellschaft. Es gebe Impfdurchbrüche, aber das Risiko für eine Intensivbehandlung sei beispielsweise in der Altersgruppe 18 bis 59 Jahre bei Geimpften um 1800 Prozent geringer. Geimpfte seien auch weniger ansteckend, sollten sie sich dennoch infizieren. Und Tests seien kein Ersatz für eine Impfung. "Sie schützen nicht vor einer Ansteckung", so Weber. Weber sagte, sie verstehe den Unmut von Bürgern und Bürgerinnen, die nun keinen schnellen Impftermin bekommen, wenn die Oberbürgermeisterin gleichzeitig dafür werbe. Man arbeite aber mit Hochdruck daran, die Kapazitäten im Impfzentrum hochzufahren.