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Augsburg: An Weihnachten stehen die Leitungen bei der Telefonseelsorge nicht still

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An Weihnachten stehen die Leitungen bei der Telefonseelsorge nicht still

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    Die Augsburger Zweigstelle der Telefonseelsorge zählt in diesem Jahr über 14.000 Anrufe.
    Die Augsburger Zweigstelle der Telefonseelsorge zählt in diesem Jahr über 14.000 Anrufe. Foto: Anne Wall

    Manchmal hilft ein Weihnachtslied. Das hat eine Ehrenamtliche, die Anrufe bei der Telefonseelsorge entgegennimmt, schon einmal mit einem Anrufer gemeinsam am Heiligabend ins Telefon gesungen. Das sei dem Anrufer ein Bedürfnis gewesen, berichtet die Augsburgerin, die wie alle Ehrenamtlichen des seelsorgerischen Dienstes anonym verrichtet und es auch in der Zeitung dabei belassen will. Weihnachten sei ein Fest, womit nicht wenige Menschen ein Problem hätten. "Personen, die ohnehin schon psychisch auf wackligen Beinen stehen, empfinden es oft als belastend", berichtet sie. Da kämen traumatische Erinnerungen aus der Kindheit hoch oder die Gewissheit, dass man das Fest der Familie vollkommen alleine begehen muss.

    Einsamkeit hat sich bereits in den vergangenen Jahren als ein großes Thema in den Gesprächen der Telefonseelsorge herauskristallisiert. "Bei 23,7 Prozent aller Telefonate, die dieses Jahr bundesweit geführt wurden, war Einsamkeit ein Thema", sagt Diakon Franz Schütz von der Ökumenischen Telefonseelsorge Augsburg.

    80 Ehrenamtliche bestreiten den Telefondienst rund um die Uhr

    Seit 1996 leitet er die Augsburger Zweigstelle, die mit knapp 80 Ehrenamtlichen an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr einen Ansprechpartner für Sorgen und Nöte bietet. Schütz empfiehlt, das Weihnachtsfest "emotional nicht so hoch zu hängen". Doch gerade an diesem Fest legten die Menschen einen besonders hohen Maßstab an sich und hätten Angst, ihn nicht erfüllen zu können, wissen die Ehrenamtlichen, die mit diesen Sorgen konfrontiert werden. Da gehe es um Geschenke und ein gutes Essen, für die es eigentlich kein Geld gibt. Da wird über Familienmitglieder und Freunde gesprochen, zu denen aus unterschiedlichen Gründen kein Kontakt mehr besteht. "Ich habe mit Anrufern am Telefon schon geübt, wie eine Kontaktaufnahme am Telefon aussehen, was man da sagen könnte", berichtet eine Ehrenamtliche.

    Für andere Anrufer gibt es Tipps. Wie sie mit wenig Geld etwas Leckeres kochen könnten. Wie sie es sich selber schön machen könnten, mit etwas Deko, einem Kerzenlicht und weihnachtlicher Musik etwa. "An Heiligabend haben bei mir aber auch schon Personen mit ganz alltäglichen Problemen angerufen, denen das Fest offensichtlich egal war. Es hat aber auch beispielsweise eine obdachlosen Frau angerufen. Sie hatte den Abend in der Bahnhofsmission verbracht und war anschließend zu ihrem Schlafplatz gegangen und hat mit mir dann über das Telefon über ihr orientierungsloses Leben gesprochen." Es sind Gespräche, die die Ehrenamtlichen nie vergessen.

    1000 zusätzliche Gespräche in dem Corona-Jahr

    Weihnachten ist eine Zeit, in der die Telefonseelsorge besonders viele Telefonate erhält. Dieses Jahr wurde die Nummer der Telefonseelsorge aber auch aus anderen Gründen oft gewählt. In der Augsburger Zweigestelle sind im Vergleich zum Vorjahr rund 1000 zusätzliche Gespräche aufgelaufen.

    Viele Menschen fühlen sich in der Corona-Krise einsam.
    Viele Menschen fühlen sich in der Corona-Krise einsam. Foto: Matthias Becker (Symbolbild)

    Wurden vergangenes Jahr 13.300 Anrufe gezählt, werden es dieses Jahr voraussichtlich 14.300 sein. Schütz: "Unser Einzugsgebiet hat sich verändert. Wir erhalten nun auch Anrufe aus München. Ganz allgemein haben die Anrufe aber auch aufgrund der Corona-Pandemie zugenommen."

    Die Corona-Pandemie habe die Probleme der Menschen verstärkt

    Viele Menschen, die die Nummer der Telefonseelsorge wählen, hätten ohnehin psychische Probleme, erklären die ehrenamtlichen Mitarbeiter. "Corona hat diese Probleme verstärkt", sind sich beide sicher. Es sind Personen, die sich schwer auf neue Begebenheiten einstellen könnten, Menschen, die diese Informationsflut rund um das Virus stark verunsichert. Es sind Anrufer dabei, die sich nicht mehr aus dem Haus trauen, Frauen und Männer, die an der Vielzahl der Maßnahmen verzweifeln. Oft helfe es, die Perspektive zu wechseln und gemeinsam zu überlegen, was denn noch erlaubt sei und unter Einhaltung welcher Regeln die eigenen vier Wände verlassen werden könnten. " Im Frühjahr sei es schlimm gewesen, als Hilfsdienste nicht mehr kamen. "Es war wichtig, dass Pfarr- und Seniorenzentren Telefondienste aufgebaut haben, um fehlende Besuche und Treffen zu kompensieren."

    Manchmal ruft ein Mensch nur einmal bei dem Dienst an, andere wählen die Nummer immer wieder. "Für viele Anrufer dient die Telefonseelsorge auch als Überbrückung, bis es einen Therapieplatz gibt oder sich die Selbsthilfegruppe wieder trifft", sagt Diakon Franz Schütz, der die Arbeitspläne seiner ehrenamtlichen Helfer ausarbeitet. Wie viele andere Arbeitgeber und Dienste sei auch die Telefonseelsorge in Augsburg in diesem Jahr mit der Zeit gegangen und habe ihren Mitarbeitern ermöglicht, vermehrt von zu Hause aus zu arbeiten. "Natürlich nur, wenn die Anonymität unserer Anrufer gewährleistet und der Datenschutz sichergestellt ist", betont er. Etwa 35 Prozent würden diese Möglichkeit in Anspruch nehmen. "Wir haben damit 2016 angefangen, als die Weihnachtsbombe entschärft wurde. Corona hat den Bedarf deutlich erhöht." Daneben bietet die Telefonseelsorge noch Chat- und Mailberatung an.

    Die Telefonseelsorge ist unter der Nummer 0800/1110111, 0800/1110222 und 116123 (ohne Vorwahl) erreichbar.

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