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Augsburg: 50 Jahre Uni: Eigentlich war alles ganz anders geplant

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50 Jahre Uni: Eigentlich war alles ganz anders geplant

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    Wie ein Gürtel legt sich die Straße um das Gelände der Universität Augsburg im Süden der Stadt. Über die vergangenen 50 Jahre ist es ständig gewachsen.
    Wie ein Gürtel legt sich die Straße um das Gelände der Universität Augsburg im Süden der Stadt. Über die vergangenen 50 Jahre ist es ständig gewachsen. Foto: Ulrich Wagner

    Max Weinkamm war einer der allerersten Studenten an der Universität Augsburg. Heute ist er ein korrekt gekleideter Herr mit weißem Haarkranz und randloser Brille. Damals, als Augsburg vor 50 Jahren eine Uni bekam, war er ein junger Wilder. Während Weinkamm so über den heutigen Campus im Süden der Stadt spaziert, kommen die Bilder von früher zurück. „Da war nichts als Wiesen und Weiden und ein alter Flugplatz“, erinnert sich der Augsburger. Die ersten Studenten konnten von modernen Gebäuden nur träumen. Sie begannen in einer provisorisch hergerichteten Fabrikhalle. Warum das? Weil die Gründung der Uni Augsburg eine Art Überraschungsei in der Bildungslandschaft war.

    Normalerweise wird eine Universität zunächst geplant, dann gebaut, dann eröffnet. „In Augsburg ist es umgekehrt“, sagt der frühere Unikanzler Dieter Köhler. Auch er ist ein Mann der ersten Stunde. 2001 ging er in den Ruhestand. An der Spitze der Verwaltung hat er damals in den 70ern die Weichen für den Aufbau mit gestellt. Um sich herum hatte der Kanzler lediglich eine Handvoll Leute. Quasi aus dem Nichts sollten sie innerhalb weniger Monate einen Universitätsbetrieb zum Laufen bringen.

    Max Weinkamm, 71, war einer der allerersten Studenten in Augsburg.
    Max Weinkamm, 71, war einer der allerersten Studenten in Augsburg. Foto: Bernd Hohlen

    Heute spielt Augsburgs Alma Mater – sie liegt nur ein paar Steinwürfe von der Fußballarena des FC Augsburg entfernt – in der Bundesliga deutscher Hochschulen: mit einer neuen Unimedizin und acht Fakultäten. Fast 20.000 Studierende tummeln sich normalerweise auf dem Campus. Doch wo sie sonst von der supermodernen Mensa in die Vorlesungen strömen oder sich eine kleine Auszeit am idyllischen Unisee nehmen, ist nichts zu sehen außer eine verwaiste Straßenbahnhaltestelle und Wege, auf denen niemand geht. Zwischen den leeren Gebäuden fühlt man sich fast wie in einer Geisterstadt. Corona hat die Studenten vertrieben, zu den Eltern, in die WGs, vor die Computer, wo wie das letzte auch das kommende Semester zum Teil digital stattfinden soll.

    Vor seinen Augen brach das Dach der Halle ein

    Leere Weiten – die fand auch der einstige Kanzler Köhler vor 50 Jahren vor. Für ihn stand damals erst einmal die Suche nach provisorischen Räumen für die Lehre im Vordergrund. Als er sich die vorgesehene Gewerbeimmobilie ansah, brach vor seinen Augen das Dach einer Halle zusammen. Die ersten Vorlesungen liefen in einer Baustelle. Doch die innovativen Augsburger Ideen sorgten schnell für Aufsehen in der bayerischen Bildungslandschaft.

    Vielleicht der Mann, der am meisten überhaupt zur Geschichte der Universität geforscht hat, ist der Augsburger Historiker Stefan Paulus: „Der besondere Charme in Augsburg war, dass mehr experimentiert werden konnte“, sagt er über die ersten Jahre der Uni.

    Damals musste alles schnell gehen. Denn die Ankündigung kam im Herbst 1969 für viele überraschend: Im Januar 1970, hieß es aus München, solle eine Universität in Augsburg errichtet werden. Vorlesungen sollten schon im Herbst starten.

    Sabine Doering-Manteuffel hat als erste Uni-Präsidenten an einer staatlichen Universität im Freistaat Geschichte geschrieben.
    Sabine Doering-Manteuffel hat als erste Uni-Präsidenten an einer staatlichen Universität im Freistaat Geschichte geschrieben. Foto: Zentrale Fotostelle der Universitätsbibliothek Augsburg

    Bildungspolitisch war alles ganz anders geplant gewesen. Versuche einer Universitätsgründung in Augsburg waren zuvor immer wieder gescheitert. Auch die Idee, eine medizinische Akademie zu errichten, wurde jahrzehntelang nicht verwirklicht. Das „Ersatzangebot“ für die Industriestadt sollte eine moderne wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Hochschule sein. Das Konzept stammte von dem Niederländer Louis Perridon. Doch auch diese kam nicht. Stattdessen wurde Perridon später Gründungsbeauftragter und erster Präsident der Uni.

    Die 1960er und 70er Jahre waren eine Zeit des hochschulpolitischen Aufbruchs. Der Freistaat sollte besser erschlossen werden, um gleiche Bildungschancen für alle zu bieten. Gleichzeitig war die alteingesessene Ludwig-Maximilians-Universität München überfüllt. Die Folgen: 1967 wurde die Uni Regensburg eröffnet, später Augsburg, Bayreuth, Passau und Bamberg.

    Die Augsburger Uni galt als Experimentierfeld

    Was unterscheidet sie? Historiker Paulus hat sich mit dieser Frage intensiv beschäftigt. Regensburg orientierte sich anfangs noch stark an den Strukturen klassischer deutscher Universitäten. Augsburg ging mit seinem Reformkonzept neue Wege. In den Medien war von einem Experimentierfeld die Rede. Die Schattenseite waren teils harte Konflikte, etwa mit dem Ministerium. München konnte mit so viel Meinungsstärke nicht umgehen. „Kultusminister Hans Maier hat die weitgehenden Mitspracherechte von Studenten und Mitarbeitern in Augsburg nicht gerne gesehen“, sagt Paulus.

    Ex-Student Max Weinkamm erinnert sich noch gut: wie er und seine Kommilitonen um ihre Mitbestimmungsrechte kämpften, im Nebel von Zigaretten Pläne schmiedeten, manche mit der Bierflasche in der Hand. Wie die reformierte Lehre im Alltag ablief, weiß Weinkamm, der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studierte und später städtischer Sozialreferent wurde, auch noch genau. Bisher getrennte Fächer wurden zusammengeführt. Keimzelle der jungen Uni war die Wiso-Fakultät, in der Wirtschaft und Soziales miteinander verknüpft waren. Statt Vorlesungen im Frontalunterricht gab es Kleingruppen, in denen Studenten über ihren Lehrstoff diskutierten.

    Der größte Hörsaal der Universität, der Audimax, beherbergte Generationen von Studenten – hier eine Vorlesung im Jahr 1979.
    Der größte Hörsaal der Universität, der Audimax, beherbergte Generationen von Studenten – hier eine Vorlesung im Jahr 1979. Foto: Zentrale Fotostelle der Universitätsbibliothek Augsburg

    Weinkamm denkt gern an diese turbulenten Jahre zurück: „Wir hatten einen schönen Gründungsspirit.“ Die Professoren seien teilweise kaum älter als ihre Studenten gewesen. Mit dem Blick von heute sagt er aber auch: „Perridon war mit seinen Ideen 30 Jahre zu früh dran.“ Viele der Reformen wurden später zurückgedreht – etwa die damals eingeführte Form einer praxisnahen Juristen-Ausbildung. Auch die Wiso-Fakultät gibt es heute so nicht mehr. Manche Neuerungen wie die Kleingruppen waren nicht durchzuhalten, weder räumlich, personell noch finanziell. Denn die Uni wuchs stärker als geplant. Als der Campus aus allen Nähten platzte, streikten 1991 die Studenten. Die Proteste liefen eine Woche, eine Menschenkette zog sich vom Universitätsgelände über Kilometer hinweg.

    Augsburgs Oberbürgermeisterin studierte hier Jura

    Unter denen, die mit der Uni Augsburg verbunden sind, finden sich bekannte Persönlichkeiten. Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber schrieb sich für Jura ein. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, habilitierte sich hier. Ex-Bundespräsident Joachim Gauck ist heute einer der Ehrendoktoren.

    Viel Anerkennung erntete auch die Uni selbst, die heute rund 4000 Mitarbeiter beschäftigt und deren Werdegang unsere Redaktion eng begleitete. Die Naturwissenschaften mauserten sich zur Vorzeigedisziplin. Der Freistaat investierte massiv – nicht nur in bundesweit einmalige Studienangebote. Die Forschungsergebnisse können sich international sehen lassen. Für breites öffentliches Aufsehen sorgten zuletzt Augsburger Physiker. Sie züchteten im Labor den bis dato größten künstlichen Diamanten der Welt. Er hat 155 Karat und ist mit 92 Millimetern Durchmesser knapp so groß wie ein Bierdeckel.

    Anfangs durfte im Unisee noch gebadet werden.
    Anfangs durfte im Unisee noch gebadet werden. Foto: Zentrale Fotostelle der Universitätsbibliothek Augsburg

    Die früher belächelte schwäbische „Provinzuni“ ist heute ein begehrter Studienort. Ein Großteil der Studenten kommt zwar immer noch aus Schwaben. Aber auch bei Münchnern wird die Nachbaruni mit ihrem (noch) preisgünstigeren Umfeld immer beliebter. Bundesweit bewerben sich Mediziner für Augsburg. Die neue Unimedizin gilt als Quantensprung. Sie wurde vom früheren Ministerpräsident Horst Seehofer auf den Weg gebracht und 2016 als Fakultät mit einem Modellstudiengang für Humanmedizin gegründet. Aktuell bekommen die Mediziner einen eigenen Campus im Nordwesten der Stadt beim Uniklinikum. Sabine Doering-Manteuffel, Präsidentin der Universität, spricht mit Blick auf den neuen Campus von einem „Meilenstein für die Universität“. Letztere wird mit künftig 1500 Medizinstudenten und 100 neuen Professoren stark wachsen.

    Die Präsidentin der Uni Augsburg schrieb Geschichte

    Präsidentin Doering-Manteuffel hat aber auch selbst Geschichte geschrieben. Als die Ethnologin 2011 ins Amt gewählt wurde, war sie die erste Frau an der Spitze einer staatlichen Universität in Bayern. Inzwischen ist die 63-Jährige, die ursprünglich aus Bonn stammt und vorher den Lehrstuhl für Europäische Ethnologie und Volkskunde in Augsburg innehatte, Sprecherin aller bayerischen Unis. Ihr Zukunftskonzept ist das einer Netzwerk-Universität. Verschiedene Fächer arbeiten dabei interdisziplinär zusammen. Ein bisschen so wie früher, könnte man sagen, wie damals an der neuen Reformuniversität.

    Die Präsidentin legt großen Wert darauf, mit der Universität innerhalb der Stadt Präsenz zu zeigen. Denn über dieses Thema streiten die Augsburger seit den Gründerjahren. Auch den ersten Unikanzler Köhler trieb es um. Intern wurde damals gestritten, ob der neue Campus mitten in Augsburg auf einem alten Kasernen-Gelände entstehen sollte – oder besser am südlichen Stadtrand. Letztlich bekam der Standort im Süden am alten Flugplatz der Messerschmitt-Flugzeugwerke den Zuschlag.

    Während der Corona-Pandemie gab es weniger Streicheleinheiten für Campus-Cat.
    Während der Corona-Pandemie gab es weniger Streicheleinheiten für Campus-Cat. Foto: Ines Heinbach

    Das Problem: Das Unigelände liegt rund vier Kilometer entfernt vom Zentrum. Einen Straßenbahnanschluss gab es erst viele Jahre später. Köhler ist jedoch der Meinung: „Integration ist nicht nur ein örtlicher, sondern auch ein geistiger Prozess.“ Die Uni sei gut in der Stadt angekommen – und doch fühlt man sich an manchen Stellen des Campus wie auf einem idyllischen Flecken Natur. Das kommt bei den Studenten an. Seltene Skudden-Schafe weiden im Sommer auf der Lechschotterheide vor dem Wissenschaftszentrum für Umwelt. Ein Imker hat seine Bienenkästen beim Unisee aufgestellt. Und vor der Zentralbibliothek wartet die Campuskatze auf Schmuseeinheiten.

    „Campus Cat“ ist berühmt geworden

    Der Kater namens Leon ist zum Maskottchen der Universität geworden. Auf der Fotoplattform Instagram hat die rot getigerte Katze rund 44.000 Fans. Noch bekannter ist der Kater nach einer Petition im Landtag. Ein Jurastudent wollte Leon zur offiziellen Dienstkatze des Freistaates ernennen lassen. Der Kater leiste auf seine Weise integrative Arbeit, so seine Begründung. Die Petition wurde zwar abgelehnt. Die Unileitung stellte aber augenzwinkernd in Aussicht, die „Campus Cat“ zum „Dienstkater ehrenhalber“ zu befördern. Die symbolische Ehrung war zum 50. Gründungsjubiläum der Universität diesen Oktober angedacht. Doch Leon muss warten. Wie die große Feier ist auch seine Ehrung auf unbestimmte Zeit verschoben.

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