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Prozess in Augsburg: Anklagen nach Pflege-Razzia: Ermittler gehen von Millionenschaden aus

Prozess in Augsburg

Anklagen nach Pflege-Razzia: Ermittler gehen von Millionenschaden aus

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    Bei der Pflege-Razzia in Augsburg waren rund 500 Polizisten im Einsatz.
    Bei der Pflege-Razzia in Augsburg waren rund 500 Polizisten im Einsatz. Foto: Silvio Wyszengrad

    Vermutlich gab es in den vergangenen Jahren kein größeres Ermittlungsverfahren in Augsburg. Als die Polizei im Oktober 2019 Pflegeunternehmen in der Stadt durchsuchte, waren mehr als 500 Beamte im Einsatz. Der Verdacht: Mehrere Pflegedienste in Augsburg sollen Pflege- und Krankenkassen sowie Sozialhilfeträger betrogen haben. Nun sind die komplexen Ermittlungen offenbar weitgehend abgeschlossen. Nach Informationen unserer Redaktion hat die zuständige Staatsanwaltschaft München I Anklagen gegen Verantwortliche zweier Pflegedienste in Augsburg erhoben, von denen einer zwischenzeitlich insolvent gegangen ist. Die Ermittler werfen ihnen einen Millionenbetrug vor, der demnach teils auch zu Lasten der Stadt Augsburg ging.

    Hintergrund der Anklagen ist im Kern folgender Verdacht: Die Pflegedienste sollen Abrechnungen gefälscht haben, um Geld für scheinbar pflegebedürftige Patienten zu kassieren, die aber in Wirklichkeit fit oder zumindest gesünder waren als angegeben. So konnten die Firmen den Ermittlungen zufolge Leistungen abrechnen, die nie erbracht worden waren, etwa das An- und Ausziehen von Stützstrümpfen, das Waschen oder die Gabe von Medikamenten. Bei den verdächtigen Unternehmen handelt es sich zumeist um Pflegedienste, die sich an eine russischsprachige Zielgruppe richteten und teils auch mit russischen Sprachkenntnissen warben.

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    Gegen Verantwortliche zweier Pflegedienste aus Augsburg liegen dem Vernehmen nach Anklagen vor. Eines der beiden Unternehmen hatte seinen Sitz im Stadtteil Kriegshaber und ist inzwischen insolvent; es fiel zuvor durch erstaunliche Gewinne und Daten in den Bilanzen auf. Einmal wies die Firma in den vergangenen Jahren etwa eine Eigenkapitalrendite von über 100 Prozent aus, davon sind selbst profitable Dax-Konzerne weit entfernt. Bei einem Mann, den die Polizei für den heimlichen Chef dieses Pflegedienstes hält, fanden die Ermittler bei der Razzia im September 2019 offenbar rund sieben Millionen Euro in bar. Er sitzt seit der Razzia nun schon eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft und ist jetzt einer der Angeklagten des Komplexes, zusammen mit drei weiteren Verdächtigen.

    Diese gut gefüllten Geldkoffer stellte die Polizei sicher: Ein kriminelles Netzwerk in Augsburg soll Pflege- und Krankenkassen um Millionen betrogen haben.
    Diese gut gefüllten Geldkoffer stellte die Polizei sicher: Ein kriminelles Netzwerk in Augsburg soll Pflege- und Krankenkassen um Millionen betrogen haben. Foto: Polizei

    Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Informationen unserer Redaktion zufolge banden- und gewerbsmäßigen Betrug in Dutzenden Fällen vor; der Gesamtschaden soll offenbar im einstelligen Millionenbereich liegen und neben den Kassen wohl auch die Stadt Augsburg betreffen. Hintergrund: Das Sozialamt übernimmt unter bestimmten Umständen die Kosten für die ambulante Pflege über Pflegedienste. Peter Witting, Verteidiger des 38-jährigen Hauptverdächtigen, wollte sich auf Anfrage zunächst nicht zu den Vorwürfen gegen seinen Mandanten äußern. Ebenso wenig der Augsburger Anwalt Klaus Rödl, der einen Verdächtigen in dem Fall vertritt.

    Der andere Verfahrenskomplex, der in einer separaten Anklage behandelt wird, betrifft ein größeres Pflege-Unternehmen, das seinen Sitz in Lechhausen hat. In diesem Fall sollen die Pflege- und Krankenkassen um einen Betrag von etwa zwei Millionen Euro betrogen worden sein, es geht wiederum um banden- und gewerbsmäßigen Betrug in Dutzenden Fällen. Fünf Personen sind in dem Komplex dem Vernehmen nach angeklagt, zwei leitende Angestellt sitzen noch in Untersuchungshaft, darunter eine Frau, die von den Ermittlern offenbar als Hauptverantwortliche gesehen wird und zuletzt als "Qualitätsbeauftragte" firmierte. Ihr Anwalt Dominik Hofmeister wollte zunächst keine Stellungnahme abgeben. Eine ebenfalls angeklagte Pflegedienstleiterin ist indes schon seit Längerem auf freiem Fuß. Bei seiner Mandantin sei der Haftbefehl im Januar 2020 außer Vollzug gesetzt worden, sagt ihr Anwalt Moritz Bode auf Anfrage.

    Prozess in Augsburg: Zwei Anklagen gegen Verantwortliche von Pflegediensten

    Die beiden Prozesse gegen die Mitarbeiter und Leiter der beiden Augsburger Pflegedienste sollen vor zwei Wirtschaftsstrafkammern des Landgerichtes Augsburg stattfinden; konkrete Termine stehen noch nicht fest, die Anklagen sind noch nicht zugelassen. Offenbar könnte es aber bereits im Frühjahr losgehen mit zumindest einem Prozess. Bestätigen wollte die Staatsanwaltschaft München I die Anklageerhebungen zunächst nicht. Unklar ist bislang auch, ob es noch weitere Ermittlungen gegen Augsburger Pflegedienste gibt, die von der Razzia 2019 betroffen waren. Damals hatte es aus Ermittlerkreisen geheißen, dass acht von 60 Pflegediensten unter Verdacht stehen. Auch in München liefen Ermittlungen. Zwischenzeitlich wurde im Augsburger Komplex gegen rund 100 Beschuldigte ermittelt. Darunter nicht nur die Chefs der Pflegefirmen und leitende Angestellte, sondern auch Patienten. Was aus weiteren Ermittlungsverfahren wurde, war bislang nicht in Erfahrung zu bringen.

    Bei einer groß angelegten Razzia durchsuchen Beamte der Kriminalpolizei Pflegedienste im Raum Augsburg.
    Bei einer groß angelegten Razzia durchsuchen Beamte der Kriminalpolizei Pflegedienste im Raum Augsburg. Foto: Jörg Heinzle (Archivfoto)

    Der Großrazzia 2019 waren bereits umfangreiche Ermittlungen vorausgegangen, danach füllten Umzugskartons mit Akten eine ganze Halle beim Augsburger Polizeipräsidium. Kripo-Chef Dirk Schmidt sagte unserer Redaktion vergangenes Jahr, das Verfahren habe "sehr große Dimensionen". Die Sonderkommission "Eule", die Anfang 2019 eingerichtet worden war, um kriminellen Machenschaften in der Pflegebranche auf die Spur zu kommen, ließ der Kripo-Chef vergangenes Jahr auf 40 Beamte aufstocken, um mit den Ermittlungen schneller voranzukommen.

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