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Justiz: An der Seite der Opfer

Justiz

An der Seite der Opfer

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    „Ich bin immer wieder aufs Neue schockiert, wozu ein Mensch fähig ist.“Marion Zech
    „Ich bin immer wieder aufs Neue schockiert, wozu ein Mensch fähig ist.“Marion Zech

    Tony Petrocelli war ihr großes Vorbild. Der Anwalt ist Protagonist einer amerikanischen TV-Serie, die in der 1970er Jahren auch in Deutschland im Fernsehen lief. Petrocelli kämpfte für Menschen, die oft zu Unrecht von der Justiz verfolgt wurden. Bezahlt wurde er dafür nur selten, deshalb lebte er in einem Wohnwagen am Rande der Wüste. Die junge Marion Zech, die damals im nordschwäbischen Wemding vor dem Fernseher saß, war fasziniert von dem TV-

    Ihren Berufswunsch hat sie sich erfüllt. Inzwischen arbeitet sie seit zwei Jahrzehnten als Anwältin – doch sie verteidigt nur selten Straftäter. Strafverteidigerin zu sein, das erkannte sie schon in der Ausbildung, wäre nichts für sie gewesen. Im Gerichtsprozess steht sie deshalb fast immer den Opfern zur Seite. Marion Zech ist Augsburgs bekannteste Opferanwältin geworden.

    Es gibt kaum einen großen Fall der vergangenen Jahre, in den die 46-Jährige nicht eingebunden war. Sie vertrat die Angehörigen des 15-jährigen Murat Y., der sich im Jahr 2004 übers Internet mit zwei homosexuellen Männern zu einem Sex-Treffen verabredete und brutal ermordet wurde. Sie sprach im Gerichtssaal für die Familie von Ursula Herrmann. Das zehnjährige Mädchen wurde von einem Entführer in eine Kiste gesperrt, die im Waldboden vergraben war. Das Kind erstickte darin qualvoll.

    Die Liste der Namen lässt sich so fortsetzen: Die siebenjährige Natalie aus Epfach, die zwölfjährige Vanessa aus Gersthofen, die 18-jährige Nora aus Königsbrunn – alles Namen, die für brutale Morde stehen. Derzeit betreut Marion Zech die 30-jährige Kollegin des erschossenen Augsburger Polizisten Mathias Vieth. Die Frau musste mit ansehen, wie ihr Kollege erschossen wurde – und sie entging selbst dem Tod nur knapp. Ein Streifschuss verletzte die 30-Jährige. Die Beamtin hat angekündigt, dass sie im Gerichtssaal dabei sein will, wenn über die mutmaßlichen Mörder geurteilt wird.

    Verliert man den Glauben an das Gute, wenn man so oft mit der dunkelsten Seite des Menschen konfrontiert wird? „Nein, das nicht“, sagt Marion Zech. „Ich bin immer wieder aufs Neue schockiert, wozu ein Mensch fähig ist.“ Für die Opfer von Straftaten oder für deren Angehörige sei ein Gerichtsprozess ein wichtiger Schritt, um das erlittene Trauma zu verarbeiten. „Man findet endlich heraus aus der Opferrolle, indem man aktiv wird und sich wehrt“, sagt Zech.

    Doch alleine um Vergeltung geht es im Strafprozess schon lange nicht mehr. Es geht heute auch um die Frage, welche Möglichkeiten zur Entschädigung vorhanden sind. Und es ist wichtig, die Opfer über ihre Rechte zu informieren. Ein Vergewaltigungsopfer etwa muss nicht direkt seinem Peiniger gegenübersitzen, wenn es zum Prozess kommt. „Man kann auch per Videoübertragung aussagen – doch das weiß ein Laie ja nicht unbedingt“, sagt Marion Zech. Einem Strafprozess gehen meist viele Monate voraus, in denen die Anwältin die Opfer berät.

    In der Öffentlichkeit wird gerne kritisiert, deutsche Gerichte seien in ihren Urteilen zu milde. Marion Zech teilt diese Kritik nicht. „Natürlich gibt es einzelne Urteile, mit denen man nicht einverstanden ist“, sagt sie. „Aber auch die meisten Opfer sind mit dem Strafmaß zufrieden.“ Seit 20 Jahren beschäftigt sich Marion Zech mit Mördern, Schlägern, Vergewaltigern. Aus Sicht der Täter sei das Verhalten meist durchaus logisch, „wenn es auch eine perverse Logik ist“. In einem ihrer ersten Fälle als Anwältin vertrat sie die Angehörigen einer ermordeten jungen Frau. Er habe nur getötet, weil er wissen wollte, ob er zu einem Mord fähig ist, sagte der Angeklagte damals eiskalt. Für den Mörder war das eine schlüssige Erklärung.

    Eines hat Marion Zech in all der Zeit auch gelernt. Zu ihren Opfern mögen die Täter rücksichtlos sein. Doch wenn es um sie selbst geht, sind die meisten Täter „weich, empfindlich und voller Selbstmitleid“.

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