Wer die Gewinner der Tarifreform im Nahverkehr sucht, trifft sie etwa hier, morgens um 9 Uhr, in der Ortsmitte von Mühlhausen im Kreis Aichach-Friedberg. Im Regionalbus 301, der in die Augsburger Innenstadt fährt, sitzt zum Beispiel die Verkäuferin, die ab zehn Uhr in einem Geschäft arbeiten muss. Sie kann für das Pendeln das 9-Uhr-Abo nutzen. In den letzten Jahren kostete das Ticket, das wochentags ab 9 Uhr gilt, für diese Strecke noch mehr als 50 Euro. Jetzt muss sie dafür nur noch 35 Euro bezahlen.
Beispiele wie diese sind es, die der Augsburger Stadtwerke-Chef Walter Casazza meint, wenn er davon spricht, dass von der zum Jahreswechsel in Kraft getretenen Tarifreform viele Bürger in der Region profitieren. Zuletzt allerdings hat die Kritik diese Botschaft deutlich übertönt. Viele verärgerte Nahverkehrskunden haben sich in den vergangenen Wochen zu Wort gemeldet, in unserer Redaktion ging in kurzer Zeit eine Flut von kritischen Leserbriefen ein. Betroffene, die jetzt teils deutlich mehr für die Fahrt mit Bus und Bahn bezahlen müssen, kündigten an, wieder aufs Auto umzusteigen. Mehrere Parteien und Wählergruppen fordern inzwischen Nachbesserungen. Der Ex-Chef der Münchner Verkehrsbetriebe, Herbert König, sprach von einer aus den Fugen geratenen Preispolitik.
Nahverkehr: Der Vertrag wurde um fünf Jahre verlängert
Gegenüber unserer Redaktion äußert sich Walter Casazza, dessen Vertrag kürzlich von der Stadt um fünf Jahre verlängert wurde, jetzt zu der Welle der Kritik. Der Leiter der Stadtwerke-Verkehrssparte zeigt sich nach wie vor überzeugt von der Ausrichtung der Tarifreform. Die Idee dahinter ist, Abonnements attraktiver zu machen. Im Gegenzug sind die Preise für Einzelfahrten teils deutlich angestiegen, durch die Zusammenlegung der Zonen 10 und 20 um bis zu 100 Prozent. „Wir wollen den Anteil der Abo-Kunden erhöhen und so unser Ziel erreichen, mehr Fahrgäste für den öffentlichen Nahverkehr zu gewinnen“, sagt Casazza. Verstopfte Straßen könnten so entlastet werden, der Schadstoffausstoß werde reduziert.
In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Abonnements im Augsburger Verkehrsverbund (AVV) zurückgegangen, obwohl gleichzeitig die Zahl der Fahrgäste insgesamt stieg. Auf eine solche Entwicklung müsse jeder Verkehrsverbund reagieren, sagt Walter Casazza. Die Zahl der Aboverkäufe entwickle sich seit dem Jahreswechsel erfreulich. Casazza nennt einen Abo-Zugewinn von bisher mehr als 4000. Dass es bei jeder Reform auch Verlierer gebe, räumt er ein. Die Beschwerden, die bei den Stadtwerken zu den neuen Tarifen eingegangen seien, lägen allerdings „im erwarteten Bereich“. Genaue Zahlen dazu nennen die Stadtwerke nicht.
Grundsätzlich zeigt der Stadtwerke-Chef aber bereits jetzt die Bereitschaft zu Nachbesserungen. Festlegen, wie diese genau aussehen könnten, will sich Casazza noch nicht. Dazu müssten zunächst die Anregungen und Beschwerden von Kunden ausgewertet und die Verkaufzahlen der nächsten Monate abgewartet werden.
Er deutet jedoch an, dass man zum Beispiel noch einmal über das neu eingeführte Kurzstreckenticket diskutieren könne. Es gilt bisher für fünf Haltestellen – inklusive der Starthaltestelle. Es gibt viele Stimmen, die das für zu kurz halten. Auch eine Wiedereinführung der abgeschafften Wochenkarte hält Casazza für denkbar. In einem Punkt, der derzeit viele Abo-Kunden verärgert, hält er ebenfalls Nachbesserungen für möglich. Es geht dabei um Augsburger Kunden, die ein Abo für eine Zone des Stadtgebiets abgeschlossen haben und in die andere Zone fahren wollen. Sie zahlen drauf. Ein Beispiel: Der Besitzer eines Abos für die Zone 10 zahlt bereits mit seiner Dauerkarte für Fahrten innerhalb dieser Zone. Wenn er jedoch weiterfährt in die Zone 20, muss er dort trotzdem noch mal ein Einzelticket über zwei Zonen kaufen – für 2,90 Euro – wegen der Zusammenlegung der beiden Zonen bei Einzelfahrten. Auch die CSU hält es inzwischen für nötig, dieses Problem anzugehen.
Stadtwerke können nicht alleine entscheiden
Von heute auf morgen wird es die Nachbesserungen aber nicht geben. Das liegt auch daran, dass die Stadtwerke nicht alleine entscheiden können. Die Tarife werden vom Augsburger Verkehrsverbund festgelegt. Gesellschafter des AVV sind neben der Stadt Augsburg auch die Kreise Augsburg, Aichach-Friedberg und Dillingen. Veränderungen am Tarifsystem müssen stets von den jeweiligen politischen Gremien beschlossen werden. Die teils unterschiedlichen Interessen von Stadt und Land müssen dabei unter einen Hut gebracht werden.
Casazza hält es für möglich, bereits in einigen Monaten solide Zahlen vorlegen zu können, wie sich Fahrkartenverkäufe und Fahrgastzahlen entwickeln. Auf dieser Basis könne man dann die möglichen finanziellen Auswirkungen hochrechnen. Wie lange es dauert, bis die Änderungen im AVV diskutiert und politisch abgesegnet sind, könne man nicht genau abschätzen
Dass nicht alle Wünsche von Politik und Bürgern erfüllt werden können, zeichnet sich jetzt schon ab. Denn die Stadtwerke müssen mit dem Geld zurecht kommen, das ihnen zur Verfügung steht. Rund 40 Millionen Euro Verlust macht die Verkehrssparte der Stadtwerke derzeit jedes Jahr. Politisch gewollt ist, dass dieses Defizit stabil bleibt. Eine Ausweitung des 9-Uhr-Ticktes auf 8 Uhr – wie immer wieder gefordert – würde Millionen kosten und dürfte daher nur möglich sein, wenn Stadt und Landkreise bereit sind, deutlich mehr Geld in den Nahverkehr zu pumpen.
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