Sie wollte Party machen und ins neue Jahr 2020 feiern, wie Tausende andere junge Leute auch. Doch die ersten Stunden des neuen Jahres wurden für Clara B. zum Trauma. Die 17-Jährige besuchte am Silvesterabend die Rockfabrik in der Riedingerstraße, ging um Mitternacht nach draußen und schaute dem Feuerwerk zu. Dann setzte sich Clara B. (alle Namen geändert) an der Bushaltestelle Dieselbrücke auf eine Bank, um auf dem Bus nach Hause zu warten. Dort sprach sie der damals 27-jährige Emir S. an. Man kam ins Gespräch, trank zusammen Gin. Hätte Clara gewusst, dass ihr Zufallsbekannter schon einmal eine Frau vergewaltigt und deshalb im Gefängnis gesessen hatte, wäre sie in der Neujahrsnacht vermutlich nie mit ihm in seine Wohnung gegangen. Clara, offenbar auch alkoholisiert, folgte aber der Einladung. Und wurde vermutlich selbst Opfer eines sexuellen Übergriffes.
Fast vier Jahre danach, im Oktober 2023, begann der Prozess gegen Emir S. vor dem Amtsgericht in Augsburg. Doch Clara B. konnte nicht mehr als Zeugin gehört werden. Sie war sechs Monate zuvor im April im Alter von 20 Jahren unter tragischen Umständen gestorben. Eine Obduktion ergab, dass sie einem Lungenödem erlag. Der Tod der jungen Frau ist die dramatische Seite eines ungewöhnlichen Kriminalfalles, der weiterhin Polizei, Staatsanwaltschaft und die Justiz beschäftigt.
Opfer wollte wohl zunächst keine Anzeige erstatten
Am Tag, nachdem Clara von Emir angeblich zum Sex gezwungen worden war, fuhr sie mit dem Zug zu ihrem Freund nach Recklinghausen bei Essen - eine Fernbeziehung, die damals etwa ein Jahr andauerte. Ihm erzählte sie, sie sei in der Neujahrsnacht vergewaltigt worden. Der Freund hatte nämlich zwischen 0.30 Uhr und 1 Uhr mehrmals versucht, Clara am Handy zu erreichen. Es kam dann tatsächlich zu einem kurzen Gesprächskontakt, bei dem der Freund Hilferufe und eine Männerstimme hörte. Bei dem persönlichen Treffen in Recklinghausen sagte Clara aber ihrem Freund, sie wolle keine Anzeige erstatten, alles belaste sie zu sehr. Zur damaligen Zeit litt die junge Frau unter psychischen Problemen.
Tatort nahe der Augsburger Bushaltestelle Dieselstraße
Erst elf Monate später kam der Fall ins Rollen. Nach einem Suizidversuch offenbarte sich Clara einem Polizisten und erstattete Anzeige gegen Emir S., den sie auf Polizeifotos mit einiger Sicherheit wieder erkannte. Auch den Tatort wenige Hundert Meter von der Bushaltestelle Dieselstraße entfernt konnte sie beschreiben. Die Kripo ermittelte schließlich gegen Emir S. wegen Vergewaltigung. Weil er offenbar versucht hatte, Zeugen zu beeinflussen, wurde Emir S. im September 2021 verhaftet. Mit eine Rolle dafür spielte auch, dass der Türke im Oktober 2013 als Heranwachsender bereits wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden war.
Der tragische Tod der jungen Frau wurde dem Gericht erst bekannt, als ein psychiatrischer Sachverständiger mit ihr sprechen wollte, um ihre Aussagetüchtigkeit zu begutachten. Im Juni wurde Emir S. aus der Haft entlassen. Ein Schöffengericht unter Vorsitz von Susanne Scheiwiller sollte nun im Oktober 2023 über den Vorwurf der Vergewaltigung urteilen, den die Staatsanwaltschaft erhoben hatte. Emir S. (Verteidiger: Renate Bens, Walter Rubach und Felix Hägele) machte keine Angaben. Der Prozess wurde daraufhin ausgesetzt. Nur einen Tag später geriet der Angeklagte erneut ins Visier der Kripo.
Gegen ihn wurde jetzt auch wegen Besitzes von Kinderpornografie ermittelt. Bei einer Hausdurchsuchung wurde sein Handy sichergestellt. Und darauf fanden die Ermittler einen langen, tagebuchartigen Eintrag, mit dem Emir S. die Bekanntschaft mit Clara B. in der Neujahrsnacht schilderte Fazit: Die junge Frau habe freiwillig Sex mit ihm gehabt. Der Prozess soll noch einmal Ende Mai aufgerollt werden. Die Aussage der jungen Frau bei der Kripo soll verlesen werden, das Gericht wird außerdem zwei Sachverständige hören.