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Stadtbergen: Eine Gehörlose will sich in Stadtbergen Gehör verschaffen

Stadtbergen

Eine Gehörlose will sich in Stadtbergen Gehör verschaffen

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    Heike Heubach ist gerne in der freien Natur unterwegs. Sie läuft Halbmarathon, und rund um Stadtbergen gibt es perfekte Trainingswege für sie.
    Heike Heubach ist gerne in der freien Natur unterwegs. Sie läuft Halbmarathon, und rund um Stadtbergen gibt es perfekte Trainingswege für sie. Foto: Sigrid Wagner

    Heike Heubach betritt Neuland und zeigt Mut und Entschlossenheit. Denn: Die 40-Jährige ist die erste und einzige gehörlose Kandidatin für den Stadtrat und tritt im März bei der Kommunalwahl in Stadtbergen für die SPD an. „Ich nehme die Herausforderung an und teste meine Fähigkeiten“, sagt sie und formuliert selbstbewusst ihre Ziele.

    Heubach will sich für eine funktionierende Gemeinschaft von Jung bis Alt einsetzen. „Das ist mir eine Herzensangelegenheit“, sagt sie. Regional sei ihr ein gutes Fahrradwegenetz wichtig.

    Heike Heubach zeigt sich kämpferisch

    Allen Schwierigkeiten zum Trotz wagt Heike Heubach den Schritt in die für sie noch unbekannte Welt der Kommunalpolitik. „Ich bin wissensdurstig, lese gerne Bücher und war auf der Suche nach neuen Herausforderungen“, erklärt sie ihre Entscheidung. Als sie gefragt wurde, ob sie sich vorstellen könne, für den Stadtrat zu kandidieren, hätte sie daheim erst einmal nachlesen müssen, welche Anforderungen auf sie zukommen könnten. „Ich war interessiert und ich habe mich gefreut, dass ich gefragt wurde.“ Heike Heubach will sich als Gehörlose „

    Geboren und aufgewachsen ist Heike Heubach am Rande des Schwarzwaldes im Neckartal. Sehr früh merkten die Eltern und die Oma, dass das Kind auf Geräusche nicht reagierte und suchten mehrfach Ärzte auf. Im Alter von neun Monaten wurde an der Uniklinik Tübingen das Problem erkannt. Heike Heubach ist taub, vermutlich durch eine Mittelohrentzündung kurz nach der Geburt.

    Die ganze Familie ist hörend

    Für die Eltern war die Diagnose ein Schock, denn die ganze Familie ist hörend. An die Kindheit mit ihren beiden jüngeren Brüdern erinnert sie sich gerne. „Es war eine schöne Zeit“, erinnert sie sich, denn ihre Eltern hätten sie überall mitgenommen und sie sei wie jedes hörende Kind behandelt worden.

    Mit Hilfe des Deutschen Fingeralphabets kann man schwierige Wörter buchstabieren.
    Mit Hilfe des Deutschen Fingeralphabets kann man schwierige Wörter buchstabieren. Foto: Sigrid Wagner

    Als 16-Jährige ging sie nach Heidelberg auf eine Wirtschaftsschule und wohnte dort im Internat. „Anfangs hatte ich schrecklich Heimweh, doch nach und nach gewöhnte ich mich an die neue Welt.“ Die Schule sei ihr leichtgefallen und es hätte viele schöne Erlebnisse mit Gleichaltrigen gegeben. Hier lernte sie auch ihren späteren Ehemann kennen, er ist ebenfalls gehörlos.

    Während der Schulzeit kam die erste Tochter zur Welt

    Heubachs Ziel war das Fachabitur. Sie wechselte daher nach München an die Fachoberschule für Wirtschaft für Gehörlose. Während der dreijährigen Schulzeit kam die erste Tochter zur Welt. Heubach lernte von zu Hause aus und schaffte trotz der vielen Anforderungen den Abschluss. „Insgesamt blieb ich fünf Jahre daheim bei meinen beiden Töchtern. Ich wollte meine Kinder aufwachsen sehen.“ Ihre Töchter sind hörend.

    So funktioniert die Deutsche Gebärdensprache

    Die Deutsche Gebärdensprache, kurz DGS, ist eine eigenständige und komplexe Sprache. Sie hat eine eigene Grammatik, die sich von der deutschen Laut- und Schriftsprache grundlegend unterscheidet. So werden Zeitangaben meistens am Satzanfang, Verben sowohl nach dem Subjekt als auch am Ende des Satzes gebärdet. Mit der Mimik und dem Oberkörper wird außerdem die Grammatik ausgedrückt

    Anhand eines Beispielsatzes wird die unterschiedliche Struktur besser verständlich. Der Satz „Die Kinder müssen heute in die Schule gehen“ würde in DGS wie folgt übersetzt: „Heute-Kinder-Schule-muss“ (‚gehen’ wird als Bewegungsverb gebärdet, aber nicht gesprochen).

    Mit den Händen wird die entsprechende Gebärde geformt und gleichzeitig lautlos das Wort mit dem Mund dazu gesprochen. Die Hände sollen in der oberen Körperhälfte geführt werden, aber nicht den Mund verdecken.

    Die DGS ist noch nicht landesweit standardisiert. Es gibt regional unterschiedliche Dialekte. Über 175 Jahre wurde diese Sprache unterdrückt. Danach gab es Zeiten, da maßregelte man gehörlose Kinder sogar mit harten Strafen, wenn sie Gebärden zur Kommunikation benutzten.

    Die DGS ist seit 2002 mit dem Behindertengleichstellungsgesetz als vollständige Sprache in Deutschland anerkannt.

    Es gibt mehrere Hochschulen, an denen die Studienfächer „Gebärdensprachdolmetscher“, „Gehörlosenpädagogik“ und „taube Gebärdensprachdolmetscher“ als Bachelor- und Masterstudiengang angeboten werden. Es ist auch möglich, sich zum „Gebärdensprachdozenten“ ausbilden zu lassen. Auch Volkshochschulen und private Gebärdensprachinstitute bieten Basissprachkurse an. (sigw)

    Nach dem Abschluss überlegte die zweifache Mutter, ob ein Studium oder eine Berufsausbildung für sie möglich wären. Sie schrieb mehr als 100 Bewerbungen. Ohne Erfolg. Es sei ziemlich frustrierend gewesen, all die Absagen im Briefkasten vorzufinden. Doch dann kam ihre Chance. Unter 2500 Bewerbern setzte sie sich durch und bekam einen Ausbildungsplatz als Industriekauffrau bei einem bayerischen Energiekonzern.

    „In der Berufsschule hatte ich erstmals einen Gebärdensprachdolmetscher nur für mich und daher war das Lernen dort prima“, sagt sie. Endlich hätte sie alles verstehen und dem Unterricht problemlos folgen können. Als einzige Gehörlose unter ihren hörenden Mitschülern sei sie gut zurechtgekommen, schaffte ihren Berufsabschluss und erhielt im Anschluss an einen Zeitvertrag eine unbefristete Festanstellung.

    So klappt die Kommunikation mit Gehörlosen

    • Grüßen Sie einen gehörlosen Menschen so, dass er Sie sehen kann. Stellen Sie Blickkontakt her, bevor Sie anfangen zu sprechen.
    • Halten Sie während des gesamten Gesprächs einen direkten Blickkontakt. Achten Sie auf gute Lichtverhältnisse, damit kein Schatten auf Ihr Gesicht fällt.
    • Stehen Sie nicht mit dem Rücken zum Fenster, denn das blendet Ihr Gegenüber und er kann nicht vom Mund ablesen.
    • Unterstützen Sie das Gesagte durch natürliche Gesten, Gebärden, Mimik und Körpersprache.
    • Sprechen Sie Hochdeutsch, langsam und deutlich. Ihr Gesprächspartner muss vom Mund ablesen.
    • Halten Sie einen angemessenen Abstand ein, damit Gesicht und Hände für den Gehörlosen gut sichtbar sind.
    • Verwenden Sie kurze Sätze und möglichst keine Fremdwörter.
    • Vergewissern Sie sich, dass Ihr Gesprächspartner Sie verstanden hat. Wiederholen Sie gegebenenfalls den gleichen Satz, ohne ihn zu verändern. Bleiben Sie geduldig, auch wenn der Satz wiederholt werden muss.
    • Verwenden Sie bei längeren Gesprächen einen Block und Stift. Schreiben Sie das Thema und Schlagwörter auf. Das erleichtert die Verständigung.
    • Benutzen Sie das Fingeralphabet, um schwierige Wörter zu buchstabieren.
    • Lernen Sie die Deutsche Gebärdensprache, denn sie ist eine wunderbare Sprache.
    • Sie sollten niemals einen gehörlosen Menschen von hinten anstupsen, anfassen oder gar Gegenstände nach ihnen werfen, um auf sich aufmerksam zu machen. Eine unvermittelte Berührung führt dazu, dass sich ein Gehörloser heftig erschrickt.
    • Grenzen Sie gehörlose Menschen nicht aus. (sigw)

    Stadtbergen: Heike Heubach will in den Stadtrat

    Heute sagt sie, dass sie das Kämpfen lernen musste, denn immer wieder hätte sie ihre Rechte einfordern und auf Gleichbehandlung pochen müssen. Heute noch empfindet es Heike Heubach als unfair, dass Einsätze im Privatbereich selbst bezahlt werden müssen, weshalb oftmals darauf verzichtet wird. Schließlich koste eine Stunde derzeit 75 Euro, dazu kämen noch die Kosten für die gefahrenen Kilometer. Schnell seien bei einem Dolmetschereinsatz 200, 300 Euro und mehr fällig. Lediglich für Arztbesuche, Schule und Beruf gebe es eine Kostenübernahme. Dass sich auch hier etwas ändert, dafür möchte sie gemeinsam mit Hörenden an einem Strang ziehen.

    Zwar haben es gehörlose Menschen in einer Welt, die für Hörende eingerichtet ist, schwer. Sie müssen vom Mund ablesen und das erfordere eine hohe Konzentrations- und Kombinationsfähigkeit. Und trotzdem wagt Heike Heubach die Kandidatur für den Stadtrat. Denn ihr Motto lautet schließlich: „Niemals aufgeben.“

    • Ein kleines Lexikon mit kurzen Videoaufnahmen für Alltagsgebärden finden Sie hier

    Bereits erschienen in unserer Serie "Zeitenwende".

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