Der Boden klebt nach der letzten Party im alten Casino-Club noch ein wenig. Gespülte Gläser stehen hinter dem großen Tresen aus dunklem Holz. Wie ein menschenleeres Schwimmbecken wirkt die abgesenkte Tanzfläche. Zwei funkelnde Discokugeln hängen an den Decken, Aschenbecher stehen auf Tischen in den gefliesten Nischen. Man kommt sich etwas verloren vor, so allein im großen Tanzpalast am Horgauer Bahnhof. Wäre es nicht Montagvormittag und wäre es nicht März 2020, dann sähe das ganz anders aus.
Anfang der 1980er Jahre stand genau hier die längst verstorbene Legende Falco. Weißes T-Shirt, graues Leder-Jackett, Strohhut auf dem Kopf, in der Hand ein Glas Whiskey mit Eis.
18 Mark Eintritt für Falco, 2,50 Mark für ein Cola-Weizen
Es war zu Beginn der Karriere des damals jungen Österreichers, erinnert sich Sonja Vierling. Die Single „Der Kommissar“ war gerade erschienen. Sonja Vierling stand zu dieser Zeit hinter dem Tresen im Casino-Club. 18 Mark Eintritt kostete die Karte für das Konzert, 2,50 Mark ein Cola-Weizen. Ausverkauft war der Laden nicht, was dem jungen Künstler gar nicht gefiel. „Er war aber nicht so arrogant, wie man es immer sagt“, meint Vierling. Es war einer dieser Abende, den sie nicht mehr vergisst. Einer von vielen im Casino-Club. Bis in die 90er Jahre hatte die Diskothek diesen Namen, später hieß sie eine Zeit lang „Roxanne“. Heute übernachten in den ehemaligen Personalzimmern immer wieder Arbeiter, gefeiert wurde zuletzt nur noch ab und zu bei den Casino-Partys des Sportvereins. Nun steht das große gelbe Haus zum Verkauf. 20 Zimmer, 527 Quadratmeter Fläche, 2958 Quadratmeter Grundstück. Was daraus wird, ist völlig offen.
Elisabeth Rennig und ihr Sohn verkaufen das riesige Haus, das Rennigs Eltern nach dem Krieg 1949 erstanden hatten. Rennig wuchs hier auf, wohnt heute noch nebenan. Auf ihrem Wohnzimmertisch liegen alte Fotoalben. „Bahnhofsrestauration“ steht da auf einer alten Postkarte, die das Gelände im Jahr 1903 zeigt. Rennigs Vater, ein Koch aus Augsburg, wollte sich hier zusammen mit seiner Ehefrau – ebenfalls Köchin – in den Nachkriegsjahren eine neue Existenz aufbauen. Die Idee ging auf. In den 1950er Jahren schafften die Rennigs einen riesigen Biergarten mit Café und Lokal. „Die Leute sind von überall hergekommen“, erinnert sich Elisabeth Rennig.
Am Wochenende war der Biergarten in Horgau immer voll
Mit dem Zug war der Biergarten gut zu erreichen, ein beliebtes Ausflugsziel. „Am Wochenende war immer alles voll“, sagt Rennig. Als einzige Tochter ihrer Eltern half sie natürlich mit: „Sobald ich ein Tablett tragen konnte, habe ich das gemacht.“ Nach der Schule schmiss sie sich in die Bedienungsschürze. „Das war damals einfach so.“ Elisabeth Rennig erinnert sich gern an diese Zeit. Sie erzählt von der Gisela-Torte mit Aprikosenmarmelade, dem Verkaufsschlager ihres Vaters. Von Schweinebraten und dem Paprikaschnitzel ihrer Mutter. Gerichte, die bei Sonnenschein im Biergarten von Hunderten bestellt wurden. Wenn es regnete, war freilich weniger los. „Dann hieß es für uns: Eine ganze Woche Regensburger essen“, erinnert sich die Wirtshaustochter.
1974 starb Rennigs Vater. Ob sie damals nicht daran gedacht hatte, das Geschäft zu übernehmen? „Das kam für mich nicht infrage“, sagt die Horgauerin. Sie wollte Lehrerin werden – und so kam es auch. Jahrelang unterrichte sie an der Grundschule in Gessertshausen. Das Wirtshaus mit Biergarten wurde verpachtet. Doch es sollte sich verändern. Frank Zimmermann, ein Disco-Betreiber aus Augsburg, sah Potenzial in dem alten Wirtshaus. Er pachtete das Gebäude zunächst, kaufte es später. Der ehemalige Lebensgefährte von Rennig machte das damalige Wirtshaus zu dem, wofür es noch heute im ganzen Landkreis bekannt ist: dem Casino-Club. Zimmermann hatte Erfahrung. Zusammen mit seinen Brüdern betrieb er weitere Klubs. Zuerst in Donauwörth, später in Lagerlechfeld und in Hammel. Die Discos brummten. „Manchmal sind die Leute bis auf die Straße angestanden“, erinnert sich die damalige Barfrau Sonja Vierling.
Ehemalige Bedienung: „Es war eine schöne, aber anstrengende Zeit“
In den 80er Jahren wurde der Tanzpalast vergrößert. Es entstanden die abgesenkten Sitzreihen, die große Tanzfläche und Zimmer für das Personal. Dienstags bis Sonntags war geöffnet, nur am Montag geschlossen. Bis vier Uhr morgens wurde getanzt, getrunken, manchmal auch gerauft.
„Es war eine schöne, aber anstrengende Zeit“, sagt Sonja Vierling heute. Noch einmal steht sie hinter der Bar, die zuletzt nur noch ab und zu für Partys des Sportvereins genutzt wurde. Vierling lehnt auf dem Tresen und erzählt von früher. 4,80 Mark für die Maß Goiß in einer Zeit, in der es noch „Tanzpausen“ gab. In der die Songs vom Discjockey noch einzeln angesagt wurden. Vierling denkt gerne daran zurück. Und mit ihr auch viele unserer Leser. Wir wollen wissen, welche Erinnerungen sie an die Diskothek haben. „Es waren immer tolle Abende“, erinnert sich zum Beispiel einer unserer Leser.
Jedes Wochenende war er zu Gast. Er denkt zurück an das „Glücksrad“ und die halben Hähnchen, die im Casino-Club zu später Stunde über den Tresen gingen. „Manch schlaflose Nacht dort verbracht“, schreibt eine andere Leserin. „Im Sommer war der Lieblingsplatz der Parkplatz draußen, hier spielte sich alles ab“. Uns erreichen Zuschriften mit Erinnerungen an „DJ Stromer Stefan“, an „mega Rocknächte“ oder an „Schwabens größte Singleparty“ – Erinnerungen an rauschende und ausgelassene Feste.
Haben Sie auch Erinnerungen oder Fotos von alten Diskotheken im Kreis?
„Ich finde es schade, dass unsere Jugendlichen heute in die Stadt fahren müssen, wenn sie eine Diskothek besuchen möchten“, schreibt Erhard Achstaller. Er erinnert sich auch an andere Diskotheken wie das „Old Man“ in Dinkelscherben, in dem immer sonntags Fox gespielt wurde. Oder an das „Vanessa“ in Ziemetshausen mit seinem Urgestein „DJ Satan“. Die Zeit der Dorfdiskotheken ist vorbei, doch die vielen Zuschriften zeigen, wie gerne unsere Leser daran zurückdenken.
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