Es ist ein ungewöhnlicher Anblick in der Schmutterstraße in Nordendorf. Denn schon von der Straße ist die Aufschrift „Landkäserei Reißler“ zu erkennen. Dass der Blick auf die ehemalige Produktionsstätte, die seit dem Hochwasser Anfang Juni nicht mehr zur Produktion genutzt werden kann, und den Käseladen, der mittlerweile in die Boschstraße umgezogen ist, frei ist, liegt an einem Hochwasseropfer: Das Haus von Gertrud und Wolfgang Kaiser wurde abgerissen. Nun warten die Eltern des Käsereichefs Stefan Kaiser auf die Genehmigung, ihr neues Haus errichten zu können.
Vielleicht bleibt das Nordendorfer Haus nicht das einzige, das abgerissen wird
Laut Peter Matzky, Bauamtsleiter in der Verwaltungsgemeinschaft Nordendorf, ist das Haus in der Schmutterstraße aktuell das einzige Gebäude, das abgerissen wurde. Möglich sei dennoch, dass weitere Gebäude abgerissen werden, denn wie der Bauamtsleiter ausführt, ist keine Genehmigung nötig: „Landwirtschaftlich genutzte Gebäude und sonstige frei stehende Gebäude, bei denen die Fußbodenoberkante des höchsten Geschosses maximal sieben Meter beträgt und nicht mehr als zwei Nutzungseinheiten unter 400 Quadratmetern aufweist, können entsprechend der Bayerischen Bauordnung ohne Genehmigung bzw. vorheriger Anzeige vollständig abgebrochen werden.“
In der Schmutterstraße wurde nun das Haus von Gertrud und Wolfgang Kaiser abgebrochen. Vor ziemlich genau 35 Jahren sind sie in das Haus gezogen, das sie einst selbst gebaut und erst vor wenigen Jahren saniert haben und das – so verraten Bilder von anno dazumal – auf ganz besonderem Grund und Boden steht. Ein Luftbild aus dem Jahr 1950 zeigt eine Kirche auf dem „Schmitzerhof“. Und eben diese Kirche stand einst dort, wo Gertrud und Wolfgang Kaiser lebten bis das Hochwasser ihr Haus unbewohnbar gemacht hat.
Auf dem Schmitzerhof ist Gertrud Kaiser geboren und aufgewachsen; an Hochwasser könne sie sich nicht erinnern, denn der Hof liege ein wenig erhöht. Das macht auch ein Video deutlich, das bei der Fahrt mit einem Bundeswehrfahrzeug Anfang Juni entstanden ist: Während in der Schmutterstraße noch das Wasser stand, war es auf dem Hof bereits zurückgegangen – nachdem es in der Käsereiproduktion, im Haus von Gertrud und Wolfgang Kaiser und in den Häusern ihrer Kinder schwere Schäden angerichtet hat.
Der Nordendorfer Wohnhausbesitzer hat den gleich den richtigen Riecher
Mit Blick auf den vollgelaufenen Keller, in dem Wasser und Öl sich mischten, in dem der Geruch von Öl durch Wände, Decken und Möbel kroch und auf ein Haus in dem der Beton vom Fundament abgerissen wurde, war Wolfgang Kaiser schnell klar: In diesem Haus wird er künftig nicht mehr wohnen können. Gespräche mit Gutachtern bestätigten diese erste Annahme und untermauerten die Vermutung, die Wolfgang Kaiser bereits an den ersten Tagen nach der Rückkehr auf den Hof aussprach: Er würde – mit knapp 69 Jahren – noch einmal neu bauen.
Mittlerweile ist für den Neubau alles hergerichtet. Gertrud und Wolfgang Kaiser haben ihr Hab und Gut verteilt. In einer angemieteten Halle und im Einrichtungshaus haben sie das Mobiliar untergebracht, was nicht durch Hochwasser oder Öl zerstört wurde. Eben dort, wo einst Kässpätzle serviert wurden, haben sie Wände eingezogen und sich ihren Wohnraum auf Zeit eingerichtet. Provisorisch – aber mit Bildern der Familie an den Wänden. Diese Bilder und die Familie selbst seien ihnen das Wichtigste, verraten die beiden. Eben deswegen sei auch das Ausräumen des Hauses, das Sortieren der Erinnerungsstücke, der schwerste Schritt vor dem Abriss gewesen. „Da ist es uns richtig scheiße gegangen“, erzählt Wolfgang Kaiser. Von einigen Dingen konnten sie sich trennen und anderes lagerten sie lieber ein, um zum Einzug noch einmal darüber nachdenken zu können, ob die Sachen im neuen Zuhause wieder einen Platz finden können.
Viel habe sie von den Enkelkindern aufbewahrt, verrät Gertrud Kaiser, die auch versucht hat, ihren Enkelkindern den Abschied vom Haus der Großeltern leichter zu machen. Spraydosen habe sie besorgt und mit den Kindern die Hausmauern besprüht. „Drecks-Hochwasser“, schrieb ihre Enkelin an die Mauer, die kurz darauf vom Bagger eingerissen wurde. Dieser muss auch die Zeitkapsel davongetragen haben, die die Familie zum Umbau vor vier Jahren vergraben hat.
Wolfgang Kaiser hat nur wenige Bilder vom Abriss, aber eines, das zeigt, wie der Keller abgerissen wird und das er so kommentiert: „Nie mehr würde ich mit Keller bauen.“ Im neuen Haus des Paares gibt es keinen Keller mehr; zudem wird das Haus höher gesetzt. Ihr Glück sei ihre Versicherung gewesen und die Tatsache, dass die Agentur die Familie gut unterstützt hat – sowohl der Versicherer, der den privaten Schaden reguliert hat als auch die Versicherung, die sich um den Schaden in der Käserei kümmert.
Wie geht es mit der Nordendorfer Käserei weiter?
Mit Blick auf die Käserei ist die Zukunft noch weit weniger scharf zu sehen wie mit Blick auf das private Wohnhaus von Gertrud und Wolfgang Kaiser. Der Status quo ist unverändert: Aktuell werde auswärts produziert; in der Käsealm gibt es ein Teilsortiment, Brotzeiten und freitags das beliebte Käsespätzleessen. Wann und wie es mit „besonderen Betrieb“ weitergeht, wie Gertrud und Wolfgang Kaiser den Familienbetrieb nennen, in den sie selbst viel Herzblut einbringen, sei aktuell noch nicht entschieden. Und eben das nimmt das Paar fast noch mehr mit als der Abriss des eigenen Wohnhauses.
Seit dem Umzug der Käserei nach Nordendorf haben die Eltern des Käsereichefs jeden Schritt auf dem Hof verfolgen können und tatkräftig mitangepackt. Noch vor wenigen Jahren sei technisch alles auf den neusten Stand gebracht worden. „Jetzt ist es still geworden“, erklären sie, während sie auf ihr leeres Grundstück blicken und wissen, dass unter ihnen das Schild „Landkäserei Reißler“ hängt und doch aktuell nur der Rohbau in den alten Produktionsräumen daran erinnert, dass hier seit dem Hochwasser Anfang Juni kein Käse mehr produziert wurde.
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