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Neusäß: „Essen ist für viele eine Ersatzreligion“

Neusäß

„Essen ist für viele eine Ersatzreligion“

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    Gemüse und pflanzliche Nahrungsmittel sind Bestandteil einer gesunden und abwechslungsreichen Ernährung.
    Gemüse und pflanzliche Nahrungsmittel sind Bestandteil einer gesunden und abwechslungsreichen Ernährung.

    Sind Kohlenhydrate schlechte Nährstoffe? Was bringen Nahrungsergänzungsmittel? Ulrike Birmoser von der Beratungsstelle Augsburg des Verbraucherservice Bayern kennt sich aus mit Fragen der Ernährung. Bei ihrer Infoveranstaltung mit dem Titel „Populäre Ernährungsirrtümer“ in Westheim will sie aufklären, was falsch ist an den neuesten Ernährungstrends und wieso man vor allem auf den eigenen Körper hören sollte. Wir haben sie im Vorfeld gefragt, welche die schwerwiegendsten Irrtümer sind.

    Frau Birmoser, was darf man denn unter „populären Ernährungsirrtümern“ verstehen?

    Ulrike Birmoser: Im Moment gibt es ganz viele verschiedene Ernährungsformen, die in der Gesellschaft propagiert werden. Das beginnt bei veganer oder Paläo-Ernährung und geht bis zu Menschen, die glauben, dass ihnen bestimmte Mikronährstoffe fehlen und deshalb verschiedene Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen. Außerdem sind Nahrungsmittel im Trend, die frei von irgendetwas sind.

    Können Sie uns ein Beispiel nennen?

    Birmoser: Ein Beispiel ist Laktose. Außerdem sind glutenfreie Lebensmittel gerade sehr schick. Ein weiteres Beispiel ist der low-carb Trend. Wegen diesem Trend kommen immer mehr alternative Süßungsmittel auf den Markt.

    Das heißt also, dass sie diese Trends nicht unterstützen?

    Birmoser: Ernährung wird heute als Möglichkeit zur Selbstoptimierung gesehen. Ein schlichter Akt der Nahrungsaufnahme ist für viele zur Ersatzreligion geworden. Hier stimmt auch das Wort „postfaktisch“. Oft werden in diesem Bereich pseudowissenschaftliche Erkenntnisse über wirklich wissenschaftliche Untersuchungen gestellt.

    Was ist denn der schwerwiegendste Ernährungsirrtum?

    Birmoser: Ich glaube der schlimmste Irrtum ist im Moment die Tatsache, dass Kohlenhydrate von einem Großteil der Bevölkerung als schlechter Nährstoff angesehen werden. Dabei ist das Problem nicht der Nährstoff, sondern die Tatsache, dass wir ihn vornehmlich in der Form von Zucker zu uns nehmen.

    Hat das denn mit einem Schlankheitswahn zu tun?

    Birmoser: Klar, vor einigen Jahren hieß es, dass low-carb Diäten besser funktionieren würden. Dabei können sie zwar ein guter Ansatz sein, aber Abnehmen ist ein langfristiger Prozess und funktioniert nachhaltig nur über eine individuelle Änderung des Lebensstils. Auch im Bereich der Ernährung muss man sich eben vor „fake news“ in Acht nehmen und darf sich nur auf wissenschaftliche Daten verlassen.

    Gibt es etwas, auf das vor allem Senioren achten müssen?

    Birmoser: Bei meinen Vorträgen zu diesem Thema muss ich immer sehr individuell auf das eingehen, was die Leute betrifft. Bei Senioren sind Nahrungsergänzungsmittel weit verbreitet. Man versucht Defizite durch Pillen auszugleichen, es gibt mittlerweile aber Metastudien, die davon abraten. Falls gewünscht gehe ich dann bei einem Vortrag vor Senioren auch auf Herz-Kreislauf-Beschwerden ein oder auf das Thema Diabetes und versteckte Zucker.

    Und wie steht es um die jüngere Generation?

    Birmoser: Die sind im Bereich der Ernährung weniger interessiert. Für sie steht der Genuss im Vordergrund, was prinzipiell auch ok ist. Wenn ich Vorträge in Schulen oder vor Elternbeiräten halte, spreche ich meist über gezuckerte Getränke und Fastfood. In jüngeren Generationen ist das Problem oft, dass sie sich sehr einseitig ernähren.

    Was ist in ihren Augen denn das größte Problem?

    Birmoser: Das größte Problem ist eindeutig die Überernährung. Zu viel Zucker und zu viel Alkohol machen unserer Gesellschaft zu schaffen. Außerdem sind Lebensmittel heutzutage immer stärker verarbeitet und das ist nicht gesund. Vielen Menschen fehlen einfach die Kochkenntnisse, um aus Grundnahrungsmitteln schmackhafte Mahlzeiten zuzubereiten.

    Und welche Schlüsse ziehen sie daraus?

    Birmoser: Es ist wichtig, sich nicht von großen Heilsversprechen leiten zu lassen. Es gibt nicht das Lebensmittel, das alle Probleme löst. Wir müssen uns abwechslungsreich und bunt ernähren. Wir sollten verstärkt auf Gemüse und pflanzliche Nahrungsmittel setzen, das ist auch aus ökologischen Gründen wichtig.

    Haben sie noch einen Tipp für unsere Leser?

    Birmoser: Jeder sollte auf seinen eigenen Körper hören und nicht auf pseudowissenschaftliche Erkenntnisse vertrauen. Ernährung hat einen wichtigen Einfluss auf unsere Gesundheit, sie ist aber kein Allheilmittel zur Selbstoptimierung. Bewegung, Umgang mit Suchtmitteln und genügend Schlaf sind mindestens genauso wichtig. Ansonsten darf man Essen auch einfach maßvoll genießen.

    Infoveranstaltungen bietet Ulrike Birmoser regelmäßig an. Die nächste zu „populären Ernährungsirrtümern“ findet am Dienstag, 21. März, um 14 Uhr im Pfarrheim in Neusäß-Westheim statt.

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