Selbstbehauptung und Selbstverteidigung stehen im Mittelpunkt zweiter Termine in Meitingen und in Königsbrunn. Der Grund ist ein sehr trauriger: Frauen und Mädchen werden immer wieder Opfer von Gewalt. Auch daheim.
Wenn Nicole Pfeilmaier eine Angriffssituation mit ihren Taekwondo-Schülerinnen und -Schülern simuliert, dann fällt die schnelle Reaktion auf: Ihr Trainingspartner packt sie am Hals und schon bohrt sie ihre Finger fest in die Augen ihres vermeintlichen Angreifers, der schnell wieder von ihr ablässt. In einer zweiten Kampfsituation wird simuliert, wie der Angreifer die Hände seines Opfers packt und Nicole Pfeilmaier sich durch einen schnellen, kraftvollen Ruck befreien kann. Die Basis des Taekwondo-Kampfsports – wie Nicole Pfeilmaier sie in Meitingen und Aindling (Landkreis Aichach-Friedberg) lehrt – sind einfache Elemente aus der Selbstverteidigung und genau diese möchte die Standortleiterin zweier Twin-Taekwondo-Schulen am kommenden Samstag, 23. November, im E-Center in der Via Claudia in Meitingen zeigen.
Taekwondo im Norden, Judo im Süden des Landkreises Augsburg
Für den Mitmach-Termin wurde sie von Nico Cavaliere, dem kommissarischen Vorsitzenden des Arbeitskreises Polizei Augsburg Land des CSU Kreisverbands Augsburg-Land, gewonnen, der das Thema Selbstbehauptung bzw. -verteidigung bei gleich zwei Aktionstagen im Landkreis in den Fokus rücken möchte: Am Samstag, 23. November, findet ein Angebot zwischen 15 und 17 Uhr im E-Center in der Via Claudia in Meitingen statt. Zwei Tage später, am Montag, 25. November, gibt es zwischen 17 und 19 Uhr ein ähnliches Angebot im Neo-Einkaufszentrum in der Hunnenstraße in Königsbrunn: Im Süden des Landkreises werden Mitglieder der Judo-Abteilung des Polizeisportvereins Königsbrunn vor Ort sein. Vertreter der Frauen-Union Augsburg-Land und auch die Landtagsabgeordnete Carolina Trautner werden erwartet.
Ganz bewusst hat Nico Cavaliere diese Termine ausgewählt, um pünktlich zum Orange Day am 25. November das Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen publiker und auf Angebote der Selbstverteidigung aufmerksam zu machen. Aus der Polizeilichen Kriminalstatistik für Bayern über das Jahr 2023 geht hervor, dass über 79.000 Personen im Jahr 2023 Opfer von Körperverletzungen geworden sind. Über 40 Prozent der Täter hatten keine Beziehung zu ihrem Opfer, griffen also beispielsweise auf offener Straße an. Eben dort könnten potenzielle Opfer sich im besten Fall mit einfachen Handgriffen aus dem Bereich des Kampfsports verteidigen.
„Die Schuld liegt nie beim Opfer selbst.“
Nico Cavaliere, Kommissarischer Vorsitzender des Arbeitskreises Polizei Augsburg Land des CSU Kreisverbands Augsburg-Land
Anders sieht es in Fällen häuslicher Gewalt aus, die der Polizist aus seiner Arbeit kennt und für die es ebenfalls Zahlen in der Bayernstatistik gibt: In über einem Viertel stammten die Täter aus dem „sozialen Nahraum“ der Opfer, was bedeutet, dass es sich in über 20.000 Fällen um eine Körperverletzung in der Ehe, in der Partnerschaft oder in der Familie handelte. Nico Cavaliere schätzt die Dunkelziffer deutlich höher ein – wohlwissend, dass soziale Isolation und wirtschaftliche Abhängigkeit oft Frauen zu Opfern häuslicher Gewalt machen können. Allen Opfern will er vor allem diese wichtige Botschaft mit auf den Weg geben: „Die Schuld liegt nie beim Opfer selbst.“
Niemand, der häusliche Gewalt erfährt, dürfe sich einreden (lassen), dass er dies verdient oder provoziert habe. Dass Opfer zurückgehen in eine familiäre Situation, in der Gewalt vorherrschend sei, komme viel zu häufig vor, weiß Nico Cavaliere, der während seiner Arbeit als Polizist oft nicht nur einmal in ein- und derselben Familie wegen Gewalttaten vor Ort ist.
Die Tendenz, Zivilcourage zu zeigen, sinkt
Johannes Daxbacher, der als 19-Jähriger die Judo-Abteilung im gemeinnützigen Polizeisportverein Königsbrunn gegründet hat und seit 45 Jahren im Polizeidienst tätig ist, bringt noch eine weitere Personengruppe ins Gespräch, die er hofft im Zuge der Aktionstage ansprechen zu können: Es ist die Gruppe derer, die nicht wegsehen dürfen. Verständlich sei zwar die Intention, sich nicht in die Angelegenheiten Dritter einzumischen, doch wer glaubt, ein Opfer von Gewalt zu kennen, sollte ins Gespräch gehen und nicht wegsehen. Die Tendenz, anonym bleiben zu wollen, sich nicht einzumischen und keine Zivilcourage zu zeigen, ist eine gefährliche, die sich in der Gesellschaft immer mehr abzeichne, erklärt Daxbacher, der gemeinsam mit seine Frau Regina weltweit aktiv ist – mitunter in Äthiopien, wo die Gewaltrate gegen Frauen extrem hoch ist.
Eine Keimzelle sei hierzulange die Familie, in der oft beginne, was später nur noch schwerlich zu durchbrechen ist, sagt Daxbacher, der Anfang des Jahres das Verdienstkreuz der Bundesrepublik für sein nationales und internationales Engagement für den Judo- und Polizeisport erhalten hat Wenn Drei-, Vier- oder Fünfjährige ihre Eltern und Großeltern erziehen oder tagtäglich sehen, wie die Mutter dem Vater das Bier ans Sofa bringt, sich um die Kinder, die Küche und die Kirche kümmert darüber hinaus aber der physische oder psychische Prellbock des Vaters wird, kann sich dieses Verhalten nur allzu leicht in spätere Generationen fortschreiben. Um präventiv zu agieren, ist das langfristige Engagement im sportlichen Bereich für Johannes Daxbacher der erklärte Weg, um sich selbst samt der ureigenen Stärken und Schwächen kennenzulernen und dort nachhaltig anzusetzen.
Johannes Daxbacher betont die Langfristigkeit und glaubt nicht daran, dass sogenannte Crash-Kurse nachhaltig etwas bringen. Vielmehr gehe es darum, die eigene Grundeinstellung zu überdenken und ein selbstbewusstes Verhalten an den Tag zu legen, das mitunter auch an der Körpersprache oder Haltung zu erkennen ist. Wie eine selbstbewusste Haltung aussieht, das könnte beispielsweise ein Tipp sein, der im Rahmen des Aktionstags in Königsbrunn vermittelt wird. Auch in den Twin-Taekwondo-Kampfsportschulen in Meitingen und Aindling steht die Langfristigkeit grundsätzlich im Fokus.
Die Meitinger Trainerin weiß, was der Sport mit einem macht
Sportliche Gründe aber auch persönliche Erlebnisse in der Vergangenheit bewegen die Menschen dazu, mit dem Training zu beginnen, weiß Nicole Pfeilmaier. Und auch wenn die Standortleiterin nicht jede persönliche Geschichte der Trainierenden kennt, so weiß sie doch, was das Training mit ihnen macht: Es schult nicht nur das Körper-, sondern auch das Selbstbewusstsein. Zu wissen, wie man sich wehren kann, sorge für einen selbstsicheren Auftritt. Und das wiederum mindere das Risiko zum Opfer zu werden. Dies kann auch Johannes Daxbacher unterschreiben, der weiß, dass das langfristige sportliche Engagement sogar Leben verändern kann. Wie das geht, verrät eine seiner erwachsenen Schülerinnen am kommenden Montag in Königsbrunn.
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