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Meitingen-Herbertshofen: Ein Stahlwerk stellt auf Ökostrom um: Gelingt das?

Meitingen-Herbertshofen

Ein Stahlwerk stellt auf Ökostrom um: Gelingt das?

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    1700 Grad hat es im heißen Herzen des Stahlwerkes. Dafür braucht es Unmengen von Strom.
    1700 Grad hat es im heißen Herzen des Stahlwerkes. Dafür braucht es Unmengen von Strom. Foto: Marcus Merk

    Der dumpfe Ton ist trotz der Ohrstöpsel gut vernehmbar. Er pflanzt sich fort als Vibration über den Fußboden und ist durch die Füße bis in die Magengrube zu spüren. Sein Ursprung sind Grafitelektroden: Riesige Zylinder, die einen elektrischen Lichtbogen erzeugen und so Stahl zum Kochen bringen. 

    So sieht es aus, wenn aus einem gigantischen Kübel Schrott in den Elektroofen fällt.
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    Die Lech-Stahlwerke in Meitingen sind Bayerns einziges Stahlwerk. Ein exklusiver Blick ins Innere des Riesen-Werks.

    1700 Grad wird es in den riesigen Öfen heiß. Ob nun Späne, Eisenbahnschienen oder Konservendosen: Sie werden im heißen Herzen von Bayerns einzigem Stahlwerk zu Stahl verschmolzen. Hier ist es heiß, laut und alles irgendwie gigantisch groß. An der Hallendecke fährt ein riesiger Eimer entlang: Gleich wird er 50 Tonnen Schrott in einen von zwei Lichtbogenöfen gießen, von denen jeder 100 Tonnen fasst. Eine Feuerlohe wird den neuen Guss aus Metall empfangen. Danach wird sich der Deckel schließen und rund eine Stunde lang wird der Lichtbogen sein Werk tun. 

    Eine Tonne Stahl braucht so viel Energie wie ein Haushalt im Monat

    Allein in einer Tonne Stahl steckt der Energiebedarf eines Durchschnittshaushalts für einen ganzen Monat. In Herbertshofen bei Meitingen stellen die Lech-Stahlwerke (LSW) im Jahr bis zu 1,2 Millionen Tonnen her. In Zukunft soll es noch mehr werden. Die Stahlwerke und von ihr abhängige Firmen wollen wachsen, die Produktion soll steigen, das Industriegelände in den nahen Lohwald hinein erweitert werden. Das ist seit Jahren Thema erbitterter Debatten in und um Meitingen – im Schatten des in den 1970er-Jahren hochgezogenen Werks, das seitdem seine Produktion vervierfacht hat, hat es schon viel Streit und Ärger gegeben. Auf der einen Seite steht der wirtschaftliche Erfolg, von dem viele Menschen profitieren, auf der anderen sind die Belastungen für Nachbarn und Umwelt durch den Industriekomplex immer wieder Thema.

    Der technische Geschäftsführer Martin Kießling mit dem Abgeordneten Fabian Mehring im Innern des Stahlwerks.
    Der technische Geschäftsführer Martin Kießling mit dem Abgeordneten Fabian Mehring im Innern des Stahlwerks. Foto: Marcus Merk

    Im nationalen und internationalen Vergleich mag das Werk, das Schrott recycelt und bei dem derzeit rund 1300 Menschen in Lohn und Brot stehen, kein Riese sein. Im bayerischen Maßstab ist es richtig groß. Das gilt besonders für den Hunger nach Energie. Etwa ein Prozent des gesamten bayerischen Stromverbrauchs fließt auf das 40 Hektar große Werksgelände in Herbertshofen bei Meitingen. Was dort im Jahr verbraucht wird, wäre genug für eine ganze Großstadt. Und jetzt stellt sich die Frage: Woher soll dieser Strom in Zukunft kommen – und dazu noch eine gewaltige Menge Gas?

    In 17 Jahren, so sehen es die Klimaschutzziele der bayerischen Staatsregierung vor, soll Bayern CO₂-neutral sein. Das gilt dann auch für die Stahlerzeugung in Herbertshofen. Das hat das Unternehmen bereits erklärt. Momentan fallen bei LSW pro Tonne Stahl etwa 500 Kilo CO₂ an. Klimaneutral werden kann der Riese aus Herbertshofen nur, wenn er seine Energie aus erneuerbaren Quellen bezieht. 

    Bei der Max-Aicher-Gesellschaft, zu der das Stahlwerk gehört, haben sie schon einmal überschlagen, was das bedeuten würde. Um das Unternehmen in Herbertshofen komplett mit grünem Strom zu versorgen, bräuchte es eine 1000 Fußballfelder große Photovoltaikanlage – das entspricht beinahe der 20-fachen Fläche des Werksgeländes – oder 40 moderne Windräder, die sich rund um die Uhr drehen. Im bayerischen Wirtschaftsministerium geht man sogar von 65 Windkraftanlagen aus.

    Industrie-Vorstand Stephan Lemgen von der Max Aicher GmbH.
    Industrie-Vorstand Stephan Lemgen von der Max Aicher GmbH. Foto: Marcus Merk

    So will Lechstahl klimaneutral werden

    Derzeit läuft es so: Das Unternehmen kauft seinen Strom zu großen Teilen an der Strombörse in Leipzig ein. Bislang handelt es sich überwiegend um konventionell erzeugten Strom, oft grauer Strom genannt. Nicht zuletzt infolge der Preisexplosion durch den Ukrainekrieg ist der Anteil des grünen Stroms stark gestiegen. Zeitweise hatten sich die monatlichen Stromkosten nach Medienberichten auf 40 Millionen Euro verzehnfacht. Die Belegschaft demonstrierte gegen diese Entwicklung – unter ihnen Firmenpatriarch Max Aicher. 

    In diesem Jahr sollen etwa 30 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen kommen. Das Problem dabei ist das konstante Angebot. Denn das Werk, dessen Stahl-Ausstoß in den kommenden Jahren noch steigen soll, muss auch nachts und im Winter produzieren können. Die Stromquellen der Zukunft für Lechstahl seien Wind, Wasser, Sonne, sagt Stephan Lemgen, bei Max Aicher Vorstand für den industriellen Bereich. „Wir kaufen ein und wollen selber produzieren.“ Nicht geplant sei aber, im Umfeld der Lech-Stahlwerke in großem Stile Windräder zu errichten.

    Mischte sich in Meitingen unter die Demonstranten: Stahlwerks-Besitzer Max Aicher.
    Mischte sich in Meitingen unter die Demonstranten: Stahlwerks-Besitzer Max Aicher. Foto: Marcus Merk

    Wohl aber stellt sich die Frage nach dem Speicher für den Strom. Der Meitinger Landtagsabgeordnete Fabian Mehring (Freie Wähler) setzt dabei auf Wasserstoff. Seine These: Günstigen Strom aus erneuerbaren Quellen werde es ausreichend geben, nur gespeichert werden könne die Energie nicht. Das soll über

    Wasserstoff für die Industrie im Augsburger Land

    Lechstahl solle an eine Wasserstoffpipeline angeschlossen werden und sei einer der Partner für die Wasserstoff-Strategie, schwärmt Mehring. In Herbertshofen wird es eine vom Freistaat geförderte Studie über den Einsatz eines Elektrolyseurs geben, der mithilfe von Strom Wasserstoff erzeugt. Mehring sieht eine große Zukunftschance für die Region, denkt dabei neben Lechstahl an Firmen wie den Gersthofer Lkw-Hersteller Quantron, den Buttenwiesener Ökostrom-Spezialisten GP Joule oder den Industriepark in Gersthofen, wo der Wasserstoff noch auf herkömmliche Weise hergestellt wird. 300 Millionen Euro hat die Staatsregierung für das Thema Wasserstoff bereitgestellt.

    Mitte April hat der Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft eine Studie vorgelegt. Danach ist es grundsätzlich möglich, den Industriestandort Bayern bis 2040 klimaneutral zu machen – wenn der Freistaat ein ganz anderes Tempo anschlägt. Weil in der klimaneutralen Welt wesentlich mehr Strom gebraucht wird, der sich aus erneuerbaren Quellen erzeugen lässt, müssten ab sofort wöchentlich mehr als 2000 durchschnittliche PV-Anlagen auf den Hausdächern installiert werden, jede Woche zwei neue Windräder in Betrieb gehen. Auf den Landkreis Augsburg heruntergebrochen spricht das Szenario von 50.000 weiteren Solardächern bis zum Jahr 2040 und zwei bis drei Windrädern pro Jahr. Aktuell werden zwar einige derartige Projekte diskutiert. Konkret beantragt laut Landratsamt in Augsburg: exakt null.

    Die Kunden der LSW fragen nach "grünem" Stahl

    Für ein Unternehmen wie Lechstahl wäre – von den gesetzlichen Vorgaben einmal ganz abgesehen – eine klimaneutrale Zukunft durchaus Erfolg versprechend, sagt Geschäftsführer Martin Kießling mit Blick auf die Autoindustrie, die ein wichtiger Kunde des Stahlwerks ist: "Alle wollen nur noch grüne Autos fahren." Und da spiele eben auch der CO₂-Abdruck bei der Stahlherstellung eine Rolle, sagt Kießlings für den Vertrieb zuständiger Geschäftsführer-Kollege Alexander Trost. "Der CO₂-Abdruck ist ein wichtiges Vertriebsargument. Unsere Kunden fragen danach."

    Auch die Konkurrenz ist längst auf dem Weg in die grüne Zukunft und die muss nicht in Deutschland oder Bayern liegen. Immer wieder wird vor dem Verlust wichtiger Branchen gewarnt, wenn das Land seine Stromproduktion nicht rasch umstellt, damit es grünen Strom zu günstigen Preisen gibt. In diesem Zusammenhang sieht auch Stahlwerks-Besitzer Max Aicher die Stunde gekommen für ein umstrittenes Projekt.

    Max Aicher will das Pumspeicherwerk Poschberg bauen

    Das Pumpspeicherwerk Poschberg im Idyll der oberbayerischen Bergwelt bei Bad Reichenhall könnte gut die Hälfte des Strombedarfs des Stahlwerks speichern. Der gigantische Speicher soll aus zwei Becken bestehen, zwischen denen 650 Meter Höhenunterschied besteht. Gibt es genügend Strom, wird Wasser nach oben gepumpt, das dann nach Bedarf durch eine Turbine wieder nach unten läuft. "Wir glauben an dieses Projekt und machen Werbung dafür", sagt Max-Aicher-Manager Lemgen. Rita Poser dagegen hält das Poschberg-Projekt für einen ausgemachten Naturfrevel. "Hier bei uns ist jeder dagegen", sagt die Vorsitzende des Bundes Naturschutz im Berchtesgadener Land. Man werde sich wie in den vergangenen Jahren weiter gegen das Pumpspeicherwerk wehren.

    Dieses genießt inzwischen die politische Protektion des stellvertretenden Ministerpräsidenten. Auf Anfrage unserer Redaktion betonte Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW): "Wir haben eine Ausbauoffensive für erneuerbare Energie gestartet. Bayern ist bei allen Erneuerbaren außer bei der Windkraft führend – und bei der Windkraft holen wir noch auf. Sehr wichtig für die Energiewende sind auch Speicher wie Pumpspeicherkraftwerke. Wir setzen alles daran, dass Pumpspeicher wie in Riedl und Poschberg realisiert werden können."

    Wirtschaftsminister Aiwanger unterstützt das Poschberg-Projekt

    2030 möchte die Max-Aicher-Gruppe den Poschberg-Speicher am Netz haben. Die Widerstände dagegen sind offenbar einkalkuliert. Max-Aicher-Manager Lemgen: "Jede Energieproduktion ist umstritten."

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