Diedorf wurde im Jahr 1056 erstmals urkundlich erwähnt, weiß Wikipedia. Was das Online-Lexikon allerdings nicht weiß: In diesen fast Tausend Jahren, in denen es den Ort gibt, sollte Diedorf mal kurze Zeit nicht Diedorf spielen - sondern die Stadt Augsburg. Das weiß Werner Lorenz, der Vorsitzender im heimatgeschichtlichen Verein Diedorf ist und Mitglied des Gemeinderats war. "Diedorf sollte während des Zweiten Weltkriegs einen Teil der Stadt Augsburg vortäuschen", sagt Lorenz.
Mit einer so genannten Scheinanlage sollten Bombenangriffe nicht auf die Stadt gelenkt werden, sondern auf ein Waldgebiet bei Diedorf. Aufgrund der stadtnahen Lage Diedorfs wollte man die feindlichen Flieger so in die Irre führen und die Zerstörung von Augsburg verhindern. Augsburg war während des Zweiten Weltkriegs besonders häufig Ziel von Bombenangriffen, da sich dort unter anderem der Flugzeugbauer Messerschmitt befand.
Da aber auch Diedorf beschützt werden sollte, versuchte man, die Bomben in den anliegenden Wald zu lenken. Aber: "Ein falscher Wurf und man hätte Diedorf getroffen", erklärt Lorenz die Gefahr des Manövers. Die Alliierten planten ihren Angriff, indem sie das Ziel mit bunten Raketensignalen zunächst kennzeichneten. In Diedorf schickte man von der Scheinanlage im Wald aus falsche Raketensignale in den Himmel, um den Alliierten ihr vermeintliches Angriffsziel so vorzugaukeln.
Am Tag nach einem Bombenabwurf legte man im Ort künstliche Brände und stiftete Rauch, umso brennende Straßenzüge und einen erfolgreichen Bombenabwurf im vermeintlichen städtischen Gebiet Augsburg vorzutäuschen. "Darauf reingefallen ist aber keiner", sagt Lorenz und lacht. Die Alliierten hätten später letztendlich herausgefunden, dass sie Augsburg nicht getroffen haben.
"Es handelt sich dabei um ein ziemlich unbekanntes Kapitel der Geschichte", erklärt Lorenz. Das zeigt auch die Quellenlage im Internet: Im Wikipedia-Eintrag über Scheinanlagen in Deutschland finden sich nur fünf Beispiele, Diedorf ist nicht darunter aufgenommen.
Stadtnähe sorgte für großen Aufschwung Diedorfs
Der Zweite Weltkrieg war auch Grund, warum Lorenz selber zum Diedorfer wurde. Als Vertriebener aus Böhmen lebte er zuerst in verschiedenen Orten des Landkreises und zog 1955 nach Diedorf. So wie viele andere heutige Diedorfer auch: Zwischen 25 und 30 Prozent der Einwohner waren nach Kriegsende Heimatvertriebene, berichtet Lorenz. Auch viele Augsburger wanderten in die Gemeinde aus, da sie die Bomben von der Stadt aufs Land vertrieben. Lorenz sagt: "Die Einwohnerzahl hat sich nach dem Weltkrieg fast verdoppelt."
Auch in den Folgejahren nach dem Krieg sei das Wachstum stetig gewesen und Diedorf habe eine immer wichtigere Bedeutung im westlichen Landkreis bekommen, erklärt Lorenz. Früher sei die Nachbargemeinde Gessertshausen der Dreh- und Angelpunkt gewesen, den Diedorf Mitte des 20. Jahrhunderts langsam ablöste. Wikipedia schreibt, dass die Bevölkerung Diedorfs zwischen 1988 und 2018 um knapp 38 Prozent zunahm.
Dass Diedorf 1996 zum Markt erhoben wurde, wie Wikipedia weiß, ist also nicht verwunderlich: "Aufgrund der Verkehrsanbindung und der Stadtnähe zu Augsburg war Diedorf prädestiniert dafür", meint Lorenz, der die Verleihung des Marktrechts als ehemaliger Gemeinderat selbst miterlebte.
Ortsumfahrung der B300 ist schon fast ganzes Jahrhundert ein Thema
Durch seinen Posten im Gemeinderat bekam Werner Lorenz Themen hautnah mit, von denen Wikipedia nur oberflächlich Bescheid weiß - wie etwa die Ortsumfahrung der B300. Der letzte Stand und die einzige Info auf Wikipedia dazu stammen von Oktober 2018 und liefern lediglich das Stichwort "Variantenuntersuchung".
Dass das Thema Diedorf schon über 70 Jahre begleitet, ist dort nicht erwähnt. Als Lorenz 1965 im Wehrdienst war, wurde die Umfahrung bereits debattiert. "Bei dem Thema war schon immer Sand im Getriebe", erinnert er sich, auch später zu seinen Gemeinderatszeiten.
Woher kommt das Stück Berliner Mauer in Diedorf?
Einen kuriosen, erklärungsbedürftigen Fakt für Außenstehende gibt es außerdem auf Wikipedia: das Stück Berliner Mauer in Diedorf. Lorenz weiß im Gegensatz zur Online-Enzyklopädie, was es damit auf sich hat. "Auf einem Gelände in Neusäß standen jahrelang unbemerkt sieben Teile der Mauer", sagt er. Der Inhaber einer Baufirma in der Region, der auch in Berlin arbeitete, habe sie günstig erworben, wusste aber nicht, was er damit anstellen sollte. Anfang der 2000er-Jahre habe der Bauunternehmer deshalb dem ehemaligen Bürgermeister Otto Völk die Mauer angeboten. "Das Geschenk nahmen wir dann an", sagt Lorenz.
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