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Landkreis Augsburg: Obdachlosigkeit im Landkreis Augsburg: Wohin gehen, wenn es kalt wird?

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Obdachlosigkeit im Landkreis Augsburg: Wohin gehen, wenn es kalt wird?

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    Lothar Böthig ist 54 Jahre alt und kommt aus der Nähe von Bremen. Acht Jahre hat er mit Unterbrechungen auf der Straße gelebt, aktuell wohnt er im SKM Schwabmünchen.
    Lothar Böthig ist 54 Jahre alt und kommt aus der Nähe von Bremen. Acht Jahre hat er mit Unterbrechungen auf der Straße gelebt, aktuell wohnt er im SKM Schwabmünchen. Foto: Anna Mohl

    Lothar Böthig hält eine Kaffeetasse in den Händen – es ist die einzige "Droge", die der 54-Jährige zu sich nimmt, sagt er. Entspannt sitzt er auf dem Stuhl in der Wärmestube des Sozialdiensts Katholischer Männer (SKM) Schwabmünchen und hat noch Zeit für ein Gespräch, ehe er zur Arbeit muss. Während dieses Szenario für viele Alltag ist, war es für Böthig lange Zeit unerreichbar. Seit dem Sommer wohne er hier, davor habe er mit Unterbrechungen acht Jahre auf der Straße gelebt. 

    Mit einem Wohnungsbrand beginnt seine Geschichte. Ein Ölofen explodierte, der die ganze Wohnung zerstörte. Die Versicherung kam nur für den Schaden auf, für eine neue Existenz reichte es nicht. Seine Frau fand einen anderen Mann, er kam eine Weile in einer Gartenlaube unter. Eine Weile funktionierte das, dann nicht mehr. „Dann bin ich auf der Straße gelandet“, sagt Böthig. 

    Bei vielen beginnt die Obdachlosigkeit mit einem Schicksalsschlag

    Böthig ist einer von vielen, die durch einen Schicksalsschlag alles verlieren. Trennungen, Verluste, Kündigungen – es gibt zahlreiche Gründe, durch die Menschen auf der Straße landen, auch im Landkreis Augsburg. Das Landratsamt erfasst keine Zahl der Wohnungslosen, verweist an dieKommunen. Die sind dazu verpflichtet, Menschen, die obdachlos werden, ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Größere Städte haben mehr Kapazitäten, um Menschen unterzubringen, erklärt Julian Großer von der Fachstelle für ambulante Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie Augsburg

    Die Stadt Gersthofen hält sich auf Nachfrage bedeckt, wo und wie viele Menschen untergebracht werden. Die Unterkunft entspreche den gesetzlichen Vorgaben, heißt es. In Königsbrunn gibt es laut dem Sozialbüro Platz für zehn Personen, die bei einer Einweisung wegen Wohnungsverlust maximal sechs Monate unterkommen können. Derzeit seien vier Personen dort. Der Bedarf habe sich im Vergleich zum vergangenen Jahr aufgrund des schlechten Wohnungsmarktes und vieler Eigenbedarfskündigungen verstärkt, heißt es.

    Viele Wohnungslose reisen quer durch Deutschland

    In Schwabmünchen ist die Anlaufstelle der SKM, der zugleich Fachberatungsstelle, Wärmestube und Herberge ist. Hier können die Obdachlosen kostenlos essen, waschen und schlafen. Sieben Betten gibt es, neun Nächte im Monat dürfen Menschen hier übernachten. Viele Unterkünfte im Land handhaben das so – manchmal dürfen die Menschen eine Woche, manchmal mehrere Monate bleiben. Das führt dazu, dass viele von ihnen immer auf der Reise sind und oftmals Routen haben, die sie abfahren.

    Peter Scheffler beispielsweise ist einer, der jeden Monat in Schwabmünchen vorbeikommt. Der Frankfurter hat lange in Hessen gelebt. Mit dem Deutschlandticket fährt er quer durch die Republik, von Unterkunft zu Unterkunft. „Wenn’s nur regnet und kalt ist, da hilft alles nix“, so der 57-Jährige. Davor war er Maler und Lackierer, hat auf dem Bau gearbeitet. Wie er obdachlos wurde, will er nicht sagen. „Schlechte Vergangenheit“, sagt er nur. Dieses Leben habe er sich dann ausgesucht.

    Im SKM Schwabmünchen können Wohnungslose sich aufhalten, Wäsche waschen, essen und vieles mehr.
    Im SKM Schwabmünchen können Wohnungslose sich aufhalten, Wäsche waschen, essen und vieles mehr. Foto: Anna Mohl

    Auch Böthig war viel unterwegs, auch im Ausland. Der Gärtner arbeitete hier und da in Gelegenheitsjobs. Auf seinen Reisen lernte er viele Menschen kennen, die bereit waren, zu helfen. Gebettelt hater nie, bot stattdessen seine Arbeitskraft an. Er erzählt von schönen Momenten, von frühem Morgen im Wald, mit zwitschernden Vögeln. „Nachdem ich mich an das Leben auf der Straße gewöhnt hatte, haben meine Füße irgendwann angefangen, zu jucken, das geht vielen so“, erklärt der 54-Jährige. 

    Als Wohnungsloser eine Wohnung zu finden, ist fast aussichtslos

    Aber er berichtet von Anfeindungen von Bürgern auf der Straße. Es sei anstrengend, auf der Straße zu leben, man fühle sich zum Teil abgewertet, werde angemacht. Man habe gar keine Möglichkeit, zu erzählen, was einem widerfahren sei. Bei der Arbeitssuche begegne man Klischees: Alkoholiker, Drogen, unzuverlässig, unpünktlich. „Selbst wenn man beteuert, dass man nichts damit zu tun hat, ist es vielen suspekt“, sagt er. 

    Es gebe auch Obdachlose, auf die das zutreffe, klar. Vor allem Alkoholmissbrauch finde statt. Böthig hat auf der Straße viel gesehen, was ihn in seiner Entscheidung, abstinent zu leben, bestärkt. Ein Wunsch vereint fast alle: den nach einer eigenen Wohnung. Doch oft ist es ein Teufelskreis: Wer keine Wohnung hat, findet keinen Job und umgekehrt. Bei Obdachlosen stehe im Ausweis, dass sie keinen festen Wohnsitz hätten, erklärt Amke Blohm vom SKM. „Das sieht man direkt.“ 

    Der SKM Schwabmünchen vermietet ein Zimmer für sechs Monate

    Für diesen Zweck hat der SKM Schwabmünchen ein Zimmer, das er sechs Monate vermieten kann – für Menschen mit dem Potenzial, eine Anstellung zu bekommen. Dass Böthig darin wohnt, ist einemZufall geschuldet. Er war auf der Durchreise, erzählt er, als der Zug in Schwabmünchen wegen eines Motorschadens liegen blieb. Um sich seinen Tagessatz abzuholen, kam er in der Wärmestube vorbei, blieb übers Wochenende. Gleich an seinem ersten Tag half er beim Kistentragen bei der Tafel. Seine Hilfsbereitschaft fiel einigen auf. 

    In Betten wie diesen können Wohnungslose im Kreis Augsburg neun Nächte im Monat übernachten, die sie aufteilen können, wie sie möchten.
    In Betten wie diesen können Wohnungslose im Kreis Augsburg neun Nächte im Monat übernachten, die sie aufteilen können, wie sie möchten. Foto: Anna Mohl

    „Weil er sieht, was zu tun ist“, sagt Blohm. Die Einrichtung wollte ihn unterstützen. Als Böthig sich bei Amazon bewarb, bot man ihm an, das Sechs-Monats-Zimmer zu bewohnen. Er bekam den Job. Am 1. August fing er an, zuerst im Lager, dann als Gabelstaplerfahrer. Momentan macht er eine Fortbildung, um neue Mitarbeiter anzulernen. Im Haus ist er eine Art Hausmeister, kümmert sich. 

    Ende des Jahres laufen bei der Wohnungslosennotfallhilfe mehr auf

    „Unser Hauptziel ist es, die Wohnungslosigkeit zu verhindern. Je mehr Zeit wir haben, desto mehr können wir machen“, sagt Julian Großer. Man versuche, zu vermitteln und Unterstützung zu leisten. Jetzt, Ende des Jahres, werde es mehr bei ihnen. „Jetzt, wo es kälter wird, kommen auch viel mehr Leute zu uns, die unmittelbar bedroht sind von Obdachlosigkeit.“ Die vergangenen Jahre würden es mehr Frauen. 

    „Mir ist immer bewusst, es kann jeden treffen“, sagt Amke Blohm. Die Aussage, niemand müsse auf der Straße leben, sie stimme nicht mehr so richtig, sagt die Pädagogin. Ohne familiäres Netz werde es schnell schwierig. In der Wärmestube sei man daher über jeden froh, dem man ein Bett anbieten könne. Doch die Hilflosigkeit sei oft frustrierend. Der, der davor in Böthigs Zimmer war, hatte kein Glück. Er ist inzwischen wieder auf der Straße.

    In der Wärmestube der SKM Schwabmünchen erzählt Lothar Böthig über seinen Weg in die Wohnungslosigkeit.
    In der Wärmestube der SKM Schwabmünchen erzählt Lothar Böthig über seinen Weg in die Wohnungslosigkeit. Foto: Anna Mohl

    Wie lange Böthig bleibt, kann er nicht sagen. Dass die Füße jucken, könne immer passieren. Das sei so ein Ziehen, eine Unruhe. Es habe etwas mit Bindungsangst zu tun. Im Moment fühle er sich sehr ausgeglichen. Seine Heimat, den Norden, vermisse er schon. "Aber ich bin auch gern in Bayern." Heimat sei da, wo er sich "festmache", also niederlasse, sagt er. Und bevor er zur Arbeit aufbricht, will Böthig noch loswerden: „Deswegen finde ich es ganz wichtig, dass es solche Einrichtungen gibt und sie unterstützt werden. Um Menschen wie mir die Möglichkeit zu geben, wieder auf die Füße zu kommen.“ 

    Obdachlosigkeit in Deutschland

    Rund 372.000 Menschen waren Ende Januar 2023 laut des Statistischen Bundesamts wegen Wohnungslosigkeit untergebracht. Im Jahr zuvor, als die Daten erstmals erhoben wurden, waren es 178.000. Grund für den Anstieg sind zum einen verbesserte Datenmeldungen, zum anderen sind laut offiziellen Angaben etwa 130.000 Geflüchtete aus der Ukraine hinzugekommen.

    Die Anzahl der Wohnungslosen mit deutscher Staatsangehörigkeit lag Anfang 2023 bei 60.185, im Vorjahr bei 55.035. Mehr als ein Drittel war jünger als 25 Jahre alt, fünf Prozent waren 65 oder älter.

    50 Prozent der Personen waren Männer und etwa 42 Prozent Frauen. Bei etwa sieben Prozent der Fälle wurde bei Geschlecht "unbekannt" angegeben. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren es 62 Prozent Männer und 37 Prozent Frauen.

    Obdachlose müssen sich beim Jobcenter melden und bekommen dort eine Nummer, dann erhalten sie Bürgergeld und eine Krankenversicherung. An verschiedenen Standorten bekommen sie ihren Tagessatz ausgezahlt. Wer ihn nicht abholt, ist nicht krankenversichert.

    Der Tagessatz liegt aktuell bei 16,73 Euro, im Januar wird er um 14 Prozent erhöht. 

    Der SKM Schwabmünchen bietet eine Wärmestube und Herberge für Obdachlose. Interessierte können Mitglied des Vereins werden oder einmalige Spenden leisten. 

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