Es gibt Bilder, die sich ins kollektive Gedächtnis einbrennen. Die Aufnahmen von Tausenden Menschen, die sich 2015 in Richtung der deutschen Grenze aufmachten, zählen dazu. Fotos von Männern, Frauen und Kinder, die aus Kriegs- und Krisengebieten nur mit dem Notwendigsten in Rucksäcken und Tüten flüchteten, gingen um die Welt. Für einen kleinen Teil der Asylsuchenden endete die nicht selten lebensgefährliche Reise in Turnhallen im Augsburger Land. Inzwischen mögen diese Bilder weit weg scheinen, doch gelöst sind die Probleme nicht. Für den Landkreis werden sie zur Zerreißprobe, fürchtet Landrat Martin Sailer (CSU).
2113 Asylsuchende müssen aktuell im Landkreis Augsburg untergebracht werden
Die Zahl der Geflüchteten, die im Landkreis untergebracht werden müssen, ist aktuell auf dem höchsten Stand seit 2016. Das teilt das Landratsamt mit. Aktuell sind es 2113 Asylsuchende, die vom Staat untergebracht werden müssen. Etwa die Hälfte von ihnen hat den Landkreis im vergangenen Jahr erreicht. Nicht einberechnet sind dabei rund 2000 Geflüchtete aus der Ukraine, die zum allergrößten Teil privat untergekommen sind. In einer Pressemitteilung warnt Landrat Sailer: „Wenn das so weitergeht, weiß ich nicht, wie lange wir es noch verhindern können, wieder Schulturnhallen zu Notunterkünften umzufunktionieren.“
Denn dem Landkreis geht der Platz für Geflüchtete aus. Davon gab es vor einiger Zeit noch deutlich mehr. Wie eine Sprecherin des Landratsamts auf Nachfrage unserer Redaktion mitteilt, war im Jahr 2016 in den staatlichen Unterkünften Platz für etwa 3100 Menschen. Momentan stehen dem Landkreis rund 700 Plätze weniger zur Verfügung. Woran das liegt? "Um Steuergelder einzusparen, hat man sich damals dazu entschieden, leer stehende Unterkünfte nicht dauerhaft vorzuhalten", teilt Landrat Sailer mit. Das mache es dem Landkreis schwierig, die notwendigen Kapazitäten wiederaufzubauen. Außerdem gebe es kaum geeignete leer stehende Gebäude mehr und: "die Bereitschaft, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, nimmt ab", heißt es in der Mitteilung des Landratsamts. Währenddessen sind die 67 dezentralen Unterkünfte sowie die Gemeinschaftsunterkünfte der Regierung von Schwaben praktisch voll belegt. Zwischenzeitlich wurde das Schullandheim in Dinkelscherben als zentrale Unterkunft für Geflüchtete aus der Ukraine genutzt. Inzwischen machen wieder Schulklassen Ausflüge dorthin. Das Gebäude wieder als Unterkunft für Geflüchtete zu nutzen, sei nicht vorgesehen, heißt es aus dem Landratsamt.
Landrat Sailer fordert mehr Unterstützung vom Freistaat
"Unsere Möglichkeiten sind nahezu ausgeschöpft und die Unterbringungsproblematik entwickelt sich zu einer existenziellen Frage", warnt Sailer. Er fordert mehr Unterstützung vom Freistaat. Der solle mehr Plätze in den eigenen Einrichtungen schaffen oder zusätzliche Gemeinschaftskünste anmieten. Sailer: "Es kann nicht sein, dass die Geflüchteten von den Ankerzentren immer nur zu uns weitergeschickt werden. Egal, ob wir verfügbare Plätze haben oder nicht." Der Landrat fordert: „Wenn wir nicht wollen, dass die Situation in den nächsten Monaten völlig aus den Fugen gerät, brauchen wir mehr Unterstützung von der Regierung. Ich appelliere eindringlich an den Freistaat, möglichst schnell deutlich mehr Plätze in ihren eigenen Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen beziehungsweise zusätzliche Gemeinschaftsunterkünfte anzumieten.“
Die meisten Geflüchteten stammen aktuell aus dem Irak
Aktuell bekomme der Landkreis etwa 25 Menschen in der Woche über die Regierung zugewiesen, die im Augsburger Land untergebracht werden müssen. Zum Vergleich: Als 2015 ein Strom an Geflüchteten Bayern erreicht, waren es wöchentlich etwa 60 Menschen, die dem Landkreis zugewiesen wurden. Heute stammen die meisten Schutzsuchenden aus dem Irak (22,6 Prozent), Afghanistan (19,9 Prozent) und der Türkei (16,1 Prozent). Aus Nigeria stammten etwa 13 Prozent der Geflüchteten, knapp fünf Prozent aus Syrien. Geflüchtete aus der Ukraine spielen bei der Belegung der staatlichen Unterkünfte aktuell keine große Rolle. Denn sie leben fast alle in privaten Wohnungen, heißt es aus dem Landratsamt.
Ukrainische Geflüchtete kommen zum großen Teil privat unter
In Neusäß bestätigt sich das. Auf Nachfrage unserer Redaktion teilt eine Sprecherin der Stadt mit, dass in den Unterkünften für Geflüchtete dort aktuell etwa 130 Menschen leben. Darunter seien etwa 20 Ukrainerinnen und Ukrainer. Knapp 200 weitere Menschen aus der Ukraine leben in privaten Wohnungen in Neusäß. Dort engagiert sich auch die Grünen-Kreisrätin Silvia Dassler in der Arbeit mit Geflüchteten. Sie habe den Eindruck, dass viele Geflüchtete aus der Ukraine über Kontakt zu Bekannten, die bereits im Deutschland leben, eine Wohnung finden. Außerdem gilt für sie - anders als Geflüchtete aus anderen Ländern - eine Art Sonderstatus. Sie erhalten auch ohne den oft langwierigen Asylantrag Unterstützung. Dass auch Menschen aus anderen Ländern Hilfe brauchen, sei "In der Öffentlichkeit aktuell nicht mehr so präsent", meint Silvia Dassler. Dennoch sei die Hilfsbereitschaft nach wie vor groß.