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Landkreis Augsburg: Landrat Martin Sailer: Bahnausbau startet in diesem Jahrzehnt nicht mehr

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Landrat Martin Sailer: Bahnausbau startet in diesem Jahrzehnt nicht mehr

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    Auf dem Zeltplatz Rücklenmühle gab Landrat Martin Sailer (Mitte) der Redaktion des Augsburger Landboten ein großes Interview.
    Auf dem Zeltplatz Rücklenmühle gab Landrat Martin Sailer (Mitte) der Redaktion des Augsburger Landboten ein großes Interview. Foto: Marcus Merk

    Der Landkreis Augsburg ist gerade 50 Jahre alt geworden. Landrat Martin Sailer ist nur zwei Jahre älter. Er sagt mit Blick in die Zukunft: "Wir müssen unseren Kindern eine Perspektive hinterlassen." Dem Landkreis muss es gelingen, in den kommenden 50 Jahren große Herausforderungen zu meistern. Martin Sailer zählt den Klimawandel, die Energieversorgung, die Mobilität und den gesellschaftlichen Zusammenhalt dazu. Der Bahnausbau zwischen Ulm und Augsburg ist für ihn ein wichtiger Teil des Ganzen. Im Interview auf dem Zeltplatz Rücklenmühle erklärt der Landrat seine Sicht auf die Dinge.

    Sie haben sich den frisch renovierten Zeltplatz Rücklenmühle für das Interview ausgesucht. Was bedeutet Ihnen dieser Ort?

    Martin Sailer: Der Jugendzeltplatz war für mich eine echte Herzensangelegenheit, als wir damals diskutiert haben, ob wir ihn sanieren oder aufgeben sollen. An Orten wie diesen geht es für mich ein Stück weit auch um die Zukunft des Landkreises, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und um Bildung. Für Jugendliche wird es immer schwieriger, einen Raum zu finden, an dem sie zusammenkommen können. Deshalb freut es mich so, dass wir Jugendgruppen und Organisationen jetzt das ganze Jahr über einen solchen Raum für Austausch, Begegnungen und Fortbildungen anbieten können. Ich bin froh, dass der Kreistag sich damals entschieden hat, den Zeltplatz aufwendig zu sanieren.

    Glauben Sie noch an den Bahnausbau zwischen Ulm und Augsburg?

    Martin Sailer: Ja, ich glaube noch daran. Aber ich teile den Optimismus des Projektleiters Markus Baumann nicht, dass der Baubeginn noch in den 2020er-Jahren erfolgt. Der Bahnausbau ist ein Jahrhundertprojekt. Die geplante Fernstrecke ist für die Region sicher auch wichtig. Aber viel wichtiger ist, dass wir den Nahverkehr ausbauen. Das Projekt muss einen echten Mehrwert für die Region haben. Das Durch-Pflügen einer Trasse durch den Landkreis, ohne dass die Menschen vor Ort etwas davon haben, wird kaum umsetzbar sein.

    Warum ist die Planung so schwierig?

    Martin Sailer: Das Thema ist komplex, die Kompetenzen sind vielschichtig. Man muss viele Akteure an einen Tisch bringen. Und es empört mich wirklich, dass dieser Streckenabschnitt ertüchtigt werden soll, obwohl wir in den Knotenbahnhöfen in Ulm und Augsburg gar nicht die Kapazitäten haben, das künftige Aufkommen abzuwickeln. Es ist schockierend, dass wir in Deutschland Planungen auf den Weg bringen, die gar nicht zusammenpassen. Einerseits wird ein Augsburger Hauptbahnhof für etwa 300 Millionen Euro ertüchtigt und passt dann aber andererseits nicht mehr zur Ausbaustrecke zwischen Ulm und Augsburg, über die schon seit den 90er-Jahren gesprochen wird. In Ulm ist die Situation im Übrigen genauso. Diese Vorhaben müssten doch unbedingt aufeinander abgestimmt sein.

    Was bedeutet es, wenn die Bahnhöfe in Ulm und Augsburg dem Verkehr der Zukunft gar nicht gewachsen sind?

    Martin Sailer: Wir predigen seit Jahrzehnten, dass wir mehr Nahverkehr brauchen. Wenn der Bahnausbau jetzt dafür sorgen sollte, dass der Nahverkehr sogar noch verdrängt wird, dann wird die Region nicht bereit sein, den Bahnausbau einfach so hinzunehmen. Die Menschen werden die Politiker zu Recht fragen: Was macht ihr da eigentlich? Vieles ist bei diesem Projekt kurz gesprungen und wenig durchdacht. Und bei der Bahn wirken die Zuständigkeiten von außen betrachtet so zergliedert, dass es den Anschein erweckt, man würde dort nicht miteinander kommunizieren.

    Warum beziehen Sie als Landrat nur selten öffentlich Stellung zu aktuellen Entwicklungen beim Bahnausbau?

    Martin Sailer: Ich glaube, dass wir als Region nur dann das Maximum erreichen, wenn wir möglichst lange geschlossen auftreten. Wir müssen jetzt versuchen, bei allen Trassenvarianten eine Optimierung anzustreben. Am Ende wird sich die Bahn für eine Variante entscheiden, bei der wir dann den größtmöglichen Mehrwert für unsere Region herausgeholt haben. Wenn jeder nur auf sich schaut, wird die Bahn hingegen davon ausgehen, dass die Region nicht weiß, was sie will. Sie würde keine Rücksicht auf den Widerstand nehmen, der ja dann überall gleich groß wäre, und würde nach ihren Vorstellungen planen. Wenn das Projektteam der Bahn bei den Planungen jetzt bereit ist, kostenintensivere Alternativen an den Trassen zu untersuchen, dann nur, weil Druck da ist und wir geschlossen auftreten.

    Der Kreistag hat in einer Resolution gefordert, dass die Bestandsstrecke ausgebaut werden soll. Halten Sie weiter an dieser Resolution fest?

    Martin Sailer: Die Resolution fußt auf der Entscheidungsgrundlage des Bundesverkehrswegeplans. Die Bahn hat aber den Deutschlandtakt als Zielvorgabe entwickelt. Wir werden die Resolution also an die neuen Gegebenheiten anpassen müssen. So kam übrigens auch der Disput zwischen dem Staatssekretär und dem Minister in Berlin zustande. Der Staatssekretär hatte geschrieben, was im Bundesverkehrswegeplan steht, nämlich ein dreigleisiger Ausbau, und der Minister hat das am nächsten Tag korrigiert, weil der Deutschlandtakt die Zielvorgabe der Bahn ist.

    Fühlen Sie sich da auch etwas reingelegt?

    Martin Sailer: Reingelegt fühle ich mich, weil die Bahn jetzt Zielvorgaben macht, die mit der Politik vor Ort nicht abgestimmt waren und die durchaus kontrovers diskutiert werden. Diese Zielvorgaben müssen von der Bahn transparent und nachvollziehbar begründet werden.

    Es geht darum, die Weichen für die Mobilität der Zukunft zu stellen. Wie soll sie sich im Landkreis entwickeln?

    Martin Sailer: Wir müssen weg vom Individualverkehr und bessere Angebote schaffen. E-Bikes sind eine Riesenchance, um den Verkehr zu verändern. Man sollte sie mit in den Bus nehmen können. Überhaupt müssen wir viel flexibler denken, wir sollten die Angebote im Nahverkehr verdichten und wegkommen vom Linienverkehr, hin zu schnellen Umstiegen. Ganz überspitzt gesagt: Die Busse sollten nicht nur nach Augsburg rein und wieder rausfahren. Außerdem müssen die Staudenbahn und die Strecke Buchloe - Schwabmünchen elektrifiziert werden.

    Sie plädieren für die Wiederbelebung des Bahnhofs in Mödishofen für den Nahverkehr. Gefährdet das die Staudenbahn?

    Martin Sailer: Nein, die Staudenbahn würde sich durch einen zusätzlichen Bahnhalt auf der Strecke nach Dinkelscherben nicht erübrigen. Wir wollen die Staudenbahn perspektivisch auch nicht in Langenneufnach enden lassen. Es gibt Bemühungen, eine Verbindung zum Unterallgäu herzustellen. Ein attraktives Nahverkehrsangebot Richtung Markt Wald, Bad Wörishofen und Mindelheim kann man gut einfädeln, wenn man die Strecke jetzt elektrifiziert. Wir wissen schließlich nicht, was aus den Dieselloks wird.

    Wie werden die Menschen in 50 Jahren im Landkreis leben? Wie werden sie arbeiten und wie viele werden es sein?

    Martin Sailer: Wir sind ein attraktiver Raum und wenn der Zuzug in gleichem Maße fortschreitet, werden wir die 300.000er-Marke reißen. Aber die zentrale Frage ist aus meiner Sicht, wie die Gesellschaft in Zukunft zusammenhält. Im Zuge der Digitalisierung werden immer mehr Menschen im Homeoffice arbeiten. Doch wenn das Leben hauptsächlich zu Hause stattfindet, dann wird der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckeln. Was bedeutet das zum Beispiel für die Ehrenämter? Wir müssen Strukturen schaffen, damit die Menschen weiterhin zusammenkommen, echte Gemeinschaft erleben und Teil der Gesellschaft sein können. Wir brauchen Orte, an denen wir zusammenkommen, an denen Engagement stattfindet. Orte wie den neu gestalteten Jugendzeltplatz an der Rücklenmühle.

    Wie werden die Menschen einmal wohnen? Ist das Einfamilienhaus noch zukunftsfähig?

    Martin Sailer: Einfamilienhäuser gibt es sicher weiterhin, aber die Grundstücke werden kleiner. Man wird jedoch auch in weniger verdichteten Bereichen über fünf- oder sechsstöckige Gebäude nachdenken, um den Flächenverbrauch einzudämmen. Ich halte das für vertretbar. Denn es geht ja nicht darum, dass wir in Mittelzentren wie Dinkelscherben oder Zusmarshausen den Hotelturm nachbauen wollen.

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