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Landkreis Augsburg: Er bringt 1000 Fahrgäste ans Ziel: Unterwegs mit Lokführer Kadir Sahin

Landkreis Augsburg

Er bringt 1000 Fahrgäste ans Ziel: Unterwegs mit Lokführer Kadir Sahin

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    Nach seiner Umschulung zum Lokführer darf Kadir Sahin aus Langweid allein durchs Augsburger Land fahren.
    Nach seiner Umschulung zum Lokführer darf Kadir Sahin aus Langweid allein durchs Augsburger Land fahren. Foto: Marcus Merk

    Der Führerstand ist dunkel. Nur von den Bildschirmen strahlt ein wenig Licht in die Kabine. Kadir Sahin blickt durch die Windschutzscheibe auf die Gleise. Draußen legt sich die Dämmerung aufs Augsburger Land. Regentropfen klatschen gegen das Fenster, die Scheibenwischer bewegen sich im Takt. Mit der rechten Hand zieht Sahin langsam einen Hebel zu sich heran. Allmählich verlangsamt sich die Geschwindigkeit des Zuges. Auf den ersten Blick mag der Vorgang banal wirken, er erfordert allerdings viel Präzision. 

    Seit einem halben Jahr fährt Sahin für Go-Ahead Bayern durchs Augsburger Land. Im Frühjahr hat der 25-Jährige aus Langweid seine Umschulung vom Einzelhandelskaufmann zum Lokomotivführer abgeschlossen. Seitdem fährt er nach Aalen oder Donauwörth, manchmal sogar bis nach Würzburg. Unsere Redaktion hat ihn auf einer Fahrt von Augsburg nach Ulm begleitet.

    Lokführer Kadir Sahin aus Langweid fährt für Go-Ahead Bayern Züge quer durchs Augsburger Land.
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    Lokführer Kadir Sahin aus Langweid fährt für Go-Ahead Bayern Züge quer durchs Augsburger Land. Impressionen aus dem Führerstand.

    Durch die Windschutzscheibe kommen die Lichter des Dinkelscherber Bahnsteigs immer näher. Als der Zug zum Stehen kommt, erhebt sich Sahin von seinem gepolsterten Drehstuhl und öffnet das Seitenfenster. Er streckt den Kopf nach draußen und wartet, bis alle Fahrgäste eingestiegen sind. Sahin drückt einen kleinen Knopf neben dem Fenster. Aus dem hinteren Zugteil ist ein Piepen zu hören. Die Türen schließen sich.

    Elf Monate hat Sahins Umschulung zum Lokomotivführer gedauert. Die Ausbildung erstreckt sich normalerweise über drei Jahre. Das liegt auch daran, dass man erst mit 20 Jahren einen Zug fahren darf. Quereinsteiger sind in der Regel deutlich älter, Sahin war in seinem Kurs der Zweitjüngste. "Die Ausbildung war alles andere als leicht", betont Sahin. "Man musste nicht nur auswendig lernen, sondern es auch verstehen und umsetzen." Vor allem die Menge an Informationen sei in der kurzen Zeit eine Herausforderung gewesen. 

    Am Anfang denkt sich Sahin: "Gott sei Dank habe ich den Tag überstanden"

    Auf eines konnte ihn die Ausbildung nicht vorbereiten: das Gefühl, zum ersten Mal allein für einen Zug verantwortlich zu sein. "Nach den ersten Tagen denkt man sich: Gott sei Dank habe ich den Tag überstanden", gesteht Sahin. Während der Ausbildung war immer ein Ausbilder mit im Führerstand, plötzlich war er auf sich allein gestellt. "Ich bin manchmal für 1000 Fahrgäste verantwortlich", sagt Sahin. Sein Credo lautet: "Sicherheit vor Pünktlichkeit."

    Das Wichtigste ist, den Zug genau am Bahnsteig zum Stehen zu bringen. Das ist nicht so leicht. Bei einer Geschwindigkeit von 160 Kilometern pro Stunde beträgt der Bremsweg rund einen Kilometer. "Man muss ein Gefühl dafür entwickeln, wann man bremst", erklärt Sahin. Die sogenannten Hektometertafeln an Rand der Gleise helfen ihm dabei. Sei zeigen an, an welchem Punkt der Strecke Sahin sich befindet. Auf dem Bildschirm links sieht er, wann der Bahnsteig kommt. Einen Kilometer vorher fängt Sahin an zu bremsen. Das funktioniert, indem er den Hebel neben sich zu sich heranzieht. Schiebt er ihn nach vorne, beschleunigt der Zug. 

    Manchmal ist Bremsen allerdings zwecklos: Einmal ist Sahin ein Reh vor den Zug gesprungen. Ob er manchmal darüber nachdenkt, dass sich ein Mensch auf die Gleise werfen könnte? "Das war mir bewusst, als ich den Job angefangen habe", sagt Sahin. Er versucht, ein solches Szenario auszublenden.

    Lokführer Sahin: "Auch mit Geld kann man die Zeit nicht zurückholen"

    Draußen ist es mittlerweile komplett dunkel, es regnet noch immer. Hin und wieder saust ein entgegenkommender Zug vorbei. Wie zum Gruß dimmt Sahin dann sein Scheinwerferlicht, einige der entgegenkommenden Lokführer machen es ihm gleich. Gleichzeitig hebt Sahin eine Hand zum Gruß. 

    Das Telefon klingelt. "Servus, der 57154 hier", meldet sich Sahin am Hörer. Kurze Stille. "Alles klar, dann weiß ich Bescheid." Das war die Fahrdienstleiterin, sie stellt die Weichen und Signale ein. Am Bahnsteig in Günzburg muss Sahin einen Zug überholen lassen. Das ist ärgerlich, sein Zug hat bereits einige Minuten Verspätung. In Augsburg gab es kurzfristig einen Gleiswechsel, die Abfahrt verzögerte sich. Die Verspätung wieder reinzuholen, ist schwer: Es gibt für alle Streckenabschnitte eine Geschwindigkeitsbegrenzung. 

    Bei einem entgegenkommenden Zug dimmt Kadir Sahin wie zum Gruß sein Scheinwerferlicht.
    Bei einem entgegenkommenden Zug dimmt Kadir Sahin wie zum Gruß sein Scheinwerferlicht. Foto: Marcus Merk

    Vor seiner Umschulung zum Lokführer hat Sahin als Einzelhandelskaufmann gearbeitet. Er war im Außendienst und von Montag bis Freitag in ganz Deutschland unterwegs. "Das war ein schöner Job, aber auf Dauer nichts für mich", sagt Sahin. "Ich hatte keine Zeit für meine Familie. Und auch mit Geld kann man die Zeit nicht zurückholen." Er entschied sich, eine Umschulung zum Lokomotivführer zu machen. Züge haben ihn schon immer fasziniert, als Kind wuchs er in Inningen direkt am Bahnhof auf. 

    Die Ampel für Sahins Gleis am Bahnsteig in Günzburg leuchtet rot, er muss den Zug hinter ihm vorbeilassen. Sahin drückt auf einen Knopf und rückt etwas näher an das Mikrofon, das links von ihm angebracht ist. "Sehr geehrte Fahrgäste, unsere Weiterfahrt verzögert sich um wenige Minuten", sagt er. "Grund dafür ist eine außerplanmäßige Zugüberholung. Vielen Dank für Ihr Verständnis." Solche Durchsagen seien wichtig, damit die Fahrgäste wissen, warum der Zug nicht weiterfährt, erklärt Sahin. 

    Sahins erste Nachtschicht: "Die Leute haben applaudiert, wie im Fernsehen"

    Direkten Kontakt zu den Fahrgästen hat Sahin wenig. Ein Erlebnis ist ihm allerdings in Erinnerung geblieben. In seiner ersten Nachtschicht fuhr er von Augsburg nach München. Als Sahin ankam, drängten sich bereits die Fahrgäste am Bahnsteig. "Ich habe nicht mal den Boden gesehen", erinnert sich Sahin. "Die Leute haben applaudiert, wie im Fernsehen." Um ans andere Ende des Zuges zu kommen, musste er sich durch den überfüllten Fahrgastraum quetschen. Einer rief: "Schnell, sonst fährt der Zug." Sahin entgegnete trocken: "Keine Angst, nicht ohne mich." Als den Fahrgästen dämmerte, dass er der Lokführer ist, riefen sie: "Macht mal Platz."

    An jedem Bahnsteig wartet Kadir Sahin, bis alle Fahrgäste eingestiegen sind.
    An jedem Bahnsteig wartet Kadir Sahin, bis alle Fahrgäste eingestiegen sind. Foto: Marcus Merk

    Ansonsten ist Sahin meistens allein in seiner Kabine. Das stört ihn allerdings nicht. "Ich fahre viel umeinander und sehe tolle Landschaften", sagt er. Den sogenannten "Sifa-Fuß" hat er noch nicht. Etwa alle 30 Sekunden betätigt ein Lokführer den Sicherheitsfahrschalter, kurz "Sifa". Tut er das nicht, leitet der Zug automatisch eine Notbremsung ein. Bei erfahrenen Lokführern wird die Bewegung durch jahrelanges Fahren irgendwann zum Automatismus, sie wippen sogar im Schlaf mit dem Fuß. 

    Sahin steuert den Zug in den Ulmer Bahnhof, mit einer Verspätung von 16 Minuten ist er am Ziel. Sahin zieht sich eine Jacke über, schultert seinen Rucksack und tritt auf den Bahnsteig. Die Luft ist kalt, der Regen hat aufgehört. Sahin zündet sich eine Zigarette an, das macht er nach jeder Fahrt. Er hat rund 20 Minuten, bevor er den Zug zurück nach Augsburg fahren muss. Dreimal wird er die Strecke an diesem Abend noch fahren. "Aber ich kann mich nicht beklagen", sagt Sahin. Er hat jetzt vier Wochen Urlaub. 

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