Irgendwie schien es, als wollte sich das Wetter an diesem Sonntag der Stimmungslage der Verantwortlichen der Bahnbetriebsgesellschaft Stauden (BBG) anpassen. Ein letztes Mal startete, begleitet von Dauerregen, die Staudenbahn vom Augsburger Hauptbahnhof in Richtung Markt Wald unter der Federführung des bisherigen Infrastrukturbetreibers. Betriebsleiter Hubert Teichmann blickt mit einem weinenden, aber auch mit einem lachenden Auge zurück.
Vierzig Prozent seines Lebens seien es gewesen, in denen er seine ganze Energie für den Erhalt und den Betrieb dieser Strecke investierte, erzählt er während der Fahrt. Diese Zeit geht nun zu Ende. Erleichtert fühle er sich jedoch, dass nun eine große Last von ihm abfällt. Denn die Betriebsführung der Schieneninfrastruktur für den nördlichen Teilabschnitt von Gessertshausen nach Markt Wald geht ab dem 1. September auf die Stadtwerke Ulm über.
Vor der Fahrt müssen Unwetterschäden beseitigt werden
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Wie viel Herzblut aller Verantwortlichen in der BGG steckt, zeigte sich während der rund einstündigen Fahrt auf diesem Streckenabschnitt. Damit sie überhaupt durchgeführt werden konnte, hätten viele freiwillige Helfer am Samstag noch die Schienen von den Unwetterschäden freiräumen müssen, sagt Teichmann mit Blick aus der 57 Jahre alten Lokomotive vom Typ V 100. Hagel musste von den Schienen weggeschoben, herabgefallene Äste und umgeknickte Bäume abgesägt werden.
Viele der Fahrgäste nahmen die Abschiedsfahrt die nostalgisch angehauchte Reise ins Unterallgäu als Anlass, um nochmals unter der Leitung der BBG mit dabei zu sein. So wie das Ehepaar Hermine und Anton Sirch aus Ettringen im Landkreis Unterallgäu, die mit ihrem dreijährigen Enkel Leopold ihre Tochter in Diedorf besuchten, um am Nachmittag wieder mit dem Zug zurückzufahren. „Die Stauden sind einfach schön“, schwärmt Hermine Sirch.
In Erinnerung schwelgte Elfriede Härle aus Neusäß, die auf dieser Fahrt extra ein kleines Fotobuch mit dabeihatte. Zu sehen sind darin Bilder von ihrem verstorbenen Ehemann, der als Lokführer bei der Bahn beschäftigt und auch auf der Staudenbahnstrecke eingesetzt war. Früher hätten die Lokführer noch im Ort der Endstation übernachten müssen, weiß die Witwe zu berichten.
Fahrgäste wünschen sich baldige Aktivierung der Staudenbahn
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Die erste Zugfahrt überhaupt durften die elf Monate alten Zwillinge Mathilda und Ronja aus Margertshausen erleben. Mutter Ramona Lipp wünscht sich, dass die Bahnstrecke bald wieder aktiviert werde, dennoch müsse sie mit dem Auto nach Gessertshausen zum Bahnhof fahren. Opa Roland Lipp denkt gerne an die Ausflugsfahrten mit der Staudenbahn zurück, die sich auch für den Besuch des Fischacher Volksfestes anboten.
Beim Festakt in Markt Wald, bei dem die Oberneufnacher Musikanten für die Unterhaltung und die Zusamfunken für die Bewirtung sorgten, nahmen mehrere Beteiligte die Gelegenheit wahr, an die Höhen und Tiefen der 23-jährigen Geschichte der BBG zu erinnern. Weit zurück blickte Raimund Kamm. Der ehemalige Landtagsabgeordnete, ein Mitstreiter der ersten Stunde, erinnerte an die Anfangszeit der Bahn, die aufgrund einer Bittschrift des Fischacher Eisenbahnkomitees an das Königliche Staatsministerium 1911 errichtet wurde.
Er sieht die Staudenbahn als einen Spiegel unserer Verkehrsgeschichte und der Verkehrstechnik. Dampfloks, Dieselzug und Bleiakkutriebwagen konkurrierten stets mit dem Automobil. „Während die Schweiz ihr Bahnsystem ausweitete, hat Deutschland als Heimat einer starken Autolobby die Bahn geschrumpft und ausgehungert“, kritisierte er die politische Einstellung, aufgrund derer die Staudenbahn in der Vergangenheit wenig Unterstützung von dieser Seite erfuhr. Für die Zukunft könnte sich Kamm die Elektrifizierung der Bahnnebenstrecken vorstellen. „Viel leichtere und leistungsfähigere Batterien machen dies auch ohne Oberleitungen möglich“, ist seine Prognose.
Unzufriedenheit war auch den Worten des Fischacher Altbürgermeisters Josef Fischer zu entnehmen. „Der Weg zum Erhalt beziehungsweise zur Reaktivierung der Staudenbahn war stets mit großen Steinen gepflastert, die den Idealisten, die für die Sache gekämpft haben, in den Weg geworfen wurden.“ Dafür lobte er die Hartnäckigkeit und Einsatzbereitschaft von Hubert Teichmann und seiner Mannschaft, die nie aufgaben und sich für den Erhalt und Betrieb der Bahn einsetzten.
Wendepunkt für die Zukunft des ländlichen Raums
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Peter Walcher, Bürgermeister aus Markt Wald, würdigte den Abschied der BBG als besonderes Kapitel der regionalen Geschichte. Die Staudenbahn sieht er als ein verbindendes Element, das über Jahre hinweg nicht nur Menschen, sondern auch Erinnerungen und Erfahrungen miteinander verknüpft hat. „Heute stehen wir an einem Wendepunkt, der die Zukunft unseres ländlichen Raumes maßgeblich beeinflussen kann. Die Staudenbahn ist nicht nur eine Frage der Mobilität, sondern auch ein Schritt hin zu einem besser vernetzten und lebendigen Lebensumfeld für uns alle“, betonte er.
Für die Zukunft des nördlichen Abschnittes von Gessertshausen nach Markt Wald sind nun die Stadtwerke Ulm zuständig. Paul Schiele, Abteilungsleiter Infrastruktur, zollte Hubert Teichmann und seinem Team Respekt für deren langjährigen Einsatz. „Ohne die BBG Stauden wäre die Strecke bereits abgebaut und eine Reaktivierung undenkbar“, stellte er fest.
Hubert Teichmann bedankte sich bei all seinen Mitstreitern und seiner Familie für die jahrelange Unterstützung. „Wir können stolz und zufrieden sein – wir haben eine Bahnstrecke, die kein Mensch wollte, über mehr als 20 Jahre so sexy gemacht, dass sie nun von einem Kommunalunternehmen übernommen wird. Deshalb müssen wir zusammenhalten, um die Reaktivierung endlich umzusetzen.“