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Landkreis Augsburg: Lokführer statt Einzelhandelskaufmann: Kadir Sahin steigt um

Landkreis Augsburg

Lokführer statt Einzelhandelskaufmann: Kadir Sahin steigt um

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    Ausbilder Manuel Janus erklärt Kadir Sahin (sitzend) die Instrumententafel in einer Lokomotive der Baureihe 120.
    Ausbilder Manuel Janus erklärt Kadir Sahin (sitzend) die Instrumententafel in einer Lokomotive der Baureihe 120. Foto: Marcus Merk

    Auf einer Insel mit zwei Bergen ist Kadir Sahin nicht geboren. Auch nicht direkt am tiefen weiten Meer. "Aber als Kind haben wir in Inningen in der Nähe des Bahnhofs gewohnt und ich hatte viele Gleise und den Eisenbahnverkehr vom Balkon aus gut im Blick", sagt der 24-Jährige. Heute wohnt er in Langweid und die Faszination für die stählernen Ungetüme ist geblieben. Sahin hat daher nach seiner Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann eine Entscheidung getroffen. "Ich will Lokomotivführer werden." Seit Mai macht er nun bei Go-Ahead Bayern eine Ausbildung. Und als Quereinsteiger darf er bereits nach elf Monaten das erste Mal alleine auch durchs Augsburger Land fahren. Doch das Pensum ist enorm. Schließlich muss sich Sahin in den Theorie- und Praxislehrgängen den gleichen Stoff aneignen, für den die anderen Azubis drei Jahre Zeit haben. Wir begleiten ihn auf seinem Weg in den Führerstand.

    Heute steht das Modul "Fahrzeugtechnik" auf dem Lehrplan. Es ist ein bunt gemischtes Grüppchen, das sich im Augsburger Bahnpark um die beiden Ausbilder Christoph Meyer und Manuel Janus schart. Warnwesten sind vorgeschrieben und die Männer und Frauen müssen einen Schutzhelm tragen. Sahin ist mit seinen 24 Jahren einer der Jüngsten. Einige sind bereits über 50, der Großteil ist zwischen 30 und 40 Jahre alt. Auf dem Abstellgleis stehen einige leere Waggons. Aus direkter Nähe lässt sich das ungeheure Gewicht nur erahnen. "Ein ganzer Zug mit etwa 2000 Tonnen hat einen Bremsweg von ungefähr einem Kilometer", sagt Meyer. Kein Wunder, dass in der Ausbildung daher ein ganz besonderes Augenmerk auf die Funktionsweise und Bedienung der Bremssysteme gelegt wird. Funktioniert die Beschleunigung noch wie bei einem Auto, wenn auch per Hand mit einem Hebel statt mittels des Fußpedals, so ist die Reduzierung der Geschwindigkeit deutlich komplexer.

    Ausbilder Manuel Janus (links) schaut genau zu, wie  Kadir Sahin die Kupplungslasche vom Zughaken nimmt.
    Ausbilder Manuel Janus (links) schaut genau zu, wie Kadir Sahin die Kupplungslasche vom Zughaken nimmt. Foto: Marcus Merk

    Kadir Sahin aus Langweid lernt: Bei Druckabfall bremst der Zug automatisch

    Die Kontrolle der Druckleitungen zählt mit zu den wichtigsten Aufgaben eines Lokführers und wird vor jeder Fahrt vorgenommen. "Das kann je nach Länge des Zuges bis zu eineinhalb Stunden dauern", sagt Janus. Bewegen lässt sich ein Waggon nur, wenn die Druckluft fünf Bar anzeigt. Fällt der Druck ab, so schließen sich automatisch die Bremsbacken, der Zug stoppt. "Wichtig ist daher, dass alle Waggons nach und nach abgebremst werden", erklärt Meyer. Würde bei einer Gesamtlänge des Zugs von 700 Metern nur ein einziger Wagen zu stark an Geschwindigkeit verlieren, würde der gesamte Verband auseinanderreißen. Sahin nickt. Er soll nun einen einzelnen Waggon abkoppeln.

    Eine armdicke Schraubenkupplung hält die Waggons zusammen. Sahin löst zuerst die Bremsleitungen und hängt die Schläuche ein. Erst dann wird die Schraubverbindung aufgedreht und die Kupplungslasche vom Zughaken genommen. Das Ankoppeln verläuft in umgekehrter Reihenfolge. "Anschließend werden alle Verbindungen erneut überprüft. "Und zwar vom ersten bis zum letzten Waggon", betont Janus.

    Vor jeder Fahrt müssen die Bremsleitungen an jedem einzelnen Waggon geprüft werden. Dies kann je nach Länge des Zugs bis zu eineinhalb Stunden dauern.
    Vor jeder Fahrt müssen die Bremsleitungen an jedem einzelnen Waggon geprüft werden. Dies kann je nach Länge des Zugs bis zu eineinhalb Stunden dauern. Foto: Marcus Merk

    Im Führerstand spürt ein Lokführer die ganze Verantwortung

    Im Führerstand einer ausrangierten 84 Tonnen schweren Lokomotive der Baureihe 120 darf sich Sahin heute mit den Bedienelementen vertraut machen. Auch hier sind verschiedenen Manometer zu finden, die unter anderem Auskunft über die Bremskraft in Kilonewton (kN) geben. Ein kN entspricht dabei etwa der Gewichtskraft einer Masse von 100 Kilogramm. "Hier im Führerstand spürst du erst die ganze Verantwortung, die auf einem liegt", sagt Sahin. Janus stimmt zu. "An seine erste Fahrt erinnert man sich auch nach 20 Jahren ganz genau." Das Gefühl, in den Führerstand zu klettern, die Tür zu schließen und dann ganz allein, ohne dass jemand dabei ist, loszufahren, sei unbeschreiblich. Eineinhalb Stunden dauerte seine erste Tour als Lokführer von Karlsruhe bis Heilbronn und das Glücksgefühl sei riesengroß gewesen, als er nach einer störungsfreien Fahrt anschließend den Zug aufs Abstellgleis parkte. Zeit, um den Erfolg zu genießen, hatte Janus aber nicht. "Direkt danach musste ja bereits die nächste Fahrt vorbereitet werden."

    Meyer zeigt Sahin nun das vielleicht wichtigste Element überhaut - den "Sicherheitsfahrschalter". Diesen Knopf betätigt der Lokführer etwa alle 30 Sekunden mit dem Fuß. "Falls nicht, leitet der Zug sofort automatisch eine Notbremsung ein", erklärt er. "Sifa" nennen die Ausbilder diesen Schalter und schätzen, dass während der gesamten Berufskarriere ein Lokführer "mehrere Millionen Mal auf den Knopf tritt". Man habe das aber schnell im Gefühl und würde nach einiger Zeit, ganz intuitiv auf den Knopf treten, loslassen, drauftreten, loslassen, wieder drauftreten...!

    Altgediente Lokführer drücken den Sicherheitsschalter sogar im Schlaf

    Meyer erinnert sich an die Hochzeit seines Schwagers, der ebenfalls Lokführer ist. "Er saß vorne am Altar neben der Braut und ich konnte sehen, wie er während der Trauung so alle 30 Sekunden ganz automatisch immer mit dem einen Fuß zuckte", sagt er und schmunzelt. Bei einigen alten Haudegen könne man sogar sehen, dass am Fußende des Bettgestells die Farbe abgerieben ist, weil selbst im Schlaf ein Lokführer immer noch den "Sifa" betätigt.

    Erst wenn der Druck fünf Bar beträgt, lösen sich die Bremsen. Fällt der Druck ab, hält der Zug an.
    Erst wenn der Druck fünf Bar beträgt, lösen sich die Bremsen. Fällt der Druck ab, hält der Zug an. Foto: Marcus Merk

    Bis es so weit ist, dass auch Sahin nachts im Schlaf auf den "Sifa" drückt, wird es wohl noch einige Jahre dauern. Er fiebert zunächst dem November entgegen. "Dann beginnt die Ausbildung auf der Schiene und ich kann's kaum erwarten." Und im nächsten Frühjahr wird der 24-Jährige dann nach bestandener Prüfung das erste Mal ganz allein im Führerstand sein und seine Fahrgäste vielleicht auch durchs Augsburger Land chauffieren. Zwar nicht an einer Insel mit zwei Bergen vorbei. Aber immerhin über Gleise mit viel Eisenbahnverkehr.

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