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Landkreis Augsburg: 30 Jahre Einheit: Wie junge Erwachsene im Landkreis auf die DDR blicken

Landkreis Augsburg

30 Jahre Einheit: Wie junge Erwachsene im Landkreis auf die DDR blicken

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    Wenn der Beton Augen hätte: Diese Originalteile der Berliner Mauer stehen vor der Schmuttertalhalle in Diedorf.
    Wenn der Beton Augen hätte: Diese Originalteile der Berliner Mauer stehen vor der Schmuttertalhalle in Diedorf. Foto: Marcus Merk

    Vor der Schmuttertalhalle in Diedorf ist die Berliner Mauer noch ganz nah. Sieben Originalstücke des "antifaschistischen Schutzwalls" stehen dort. Vor den Überresten sind mehrere Informationstafeln angebracht, die von der einstigen Teilung Deutschlands erzählen.

    30 Jahre ist es her, dass die DDR der Bundesrepublik beitrat und Deutschland wiedervereint wurde. Kinder, die in den 1990er-Jahren geboren wurden, studieren heute, haben solide Jobs, ein Haus, Familie. Wie viel weiß diese Generation noch von einer Zeit, die sie nur vom Hörensagen kennt? Wir haben mit jungen Menschen aus dem Landkreis gesprochen.

    Schüler sagt: "Mein Wissen habe ich vor allem aus dem Internet."

    Einer von ihnen ist René Rottmair. Er legte vergangenen Juli an der Berufsoberschule in Neusäß sein Abitur ab. Für zeitgeschichtliche Themen wie die DDR hat sich der Augsburger schon immer interessiert. "Mich hat die jüngere Geschichte schon immer interessiert, also habe ich mir Wikipedia-Artikel, Youtube-Videos oder Dokus im Fernsehen angesehen", sagt der 23-Jährige.

    Aus dem Schulunterricht habe er deshalb keine neuen Erkenntnisse gezogen. "Ich konnte ja nicht erwarten, dass dort mehr Stoff hinzukommt, als mir ohnehin schon bekannt war."

    Ein Lehrer berichtet von nachlassendem Interesse an der DDR

    So ticken längst nicht alle Heranwachsenden, wie Martin Weis, Sozialkunde- und Geschichtslehrer an der Realschule in Zusmarshausen verrät: "In den letzten Jahren hat das Interesse an geschichtlichen Themen wie der DDR nachgelassen." Das läge auch am veränderten Lehrplan. In Sozialkunde würden nicht mehr viele Inhalte zu DDR und Stasi vermittelt, beim Systemvergleich von Diktatur und Demokratie werde das Thema beispielsweise noch angeschnitten. Andere Bereiche würden dann in Geschichte behandelt werden.

    Als Lehrer beider Fächer kann Weis die Inhalte besser vermitteln als andere Lehrkräfte. Die Theorie sei für Schüler weniger interessant. "Man muss die Kinder bei der Hand nehmen, nicht nur das Schulbuch verwenden", empfiehlt Weis. Er habe auch schon alte Lebensmittel aus dem Osten mitgebracht. Diese Art von Unterricht zum Anfassen sei bei den Kindern gut angekommen.

    Mit dem Alter steigt das Interesse an geschichtlichen Themen

    Am Schmuttertal-Gymnasium in Diedorf berichtet man ebenso von aufgeweckten Schülern. "Die Jugendlichen nehmen das Thema sehr gut auf", sagt Selina Hämmer. Sie ist Lehrerin für Englisch und Geschichte und behandelt Inhalte über das SED-Regime oder die Wiedervereinigung. "Das ist für die Schüler eine ganz andere Welt", sagt die Referendarin. Zwischen neunter und zehnter Jahrgangsstufe merke Hämmer jedoch einen Unterschied. "In der Oberstufe sind die Schüler schon etwas reifer."

    Etwas ähnliches beobachtet auch Realschullehrer Martin Weis. "Je älter die Leute werden, desto mehr interessieren sie sich für Geschichte", sagt der Augsburger. Das spüre er vor allem bei den 10-Jahres-Treffen der Abschlussklassen, bei denen Weis ehemalige Schüler als Erwachsene wieder trifft.

    Stadtrat aus Schwabmünchen: "Viele verletzte Seelen in den östlichen Bundesländern."

    Bei Konstantin Wamser hat der Geschichtsunterricht Früchte getragen. Der 28-Jährige hat nach der Schule Geschichte studiert und sitzt heute für die SPD im Schwabmünchner Stadtrat. Doch auch er sagt: "Ich habe keinen emotionalen Bezug mehr zur DDR. Es ist schwierig, sich in diese Zeit hineinzudenken." Neben dem Studium habe er sich zahlreiche Dokumentationen angesehen.

    Aussagen von Zeitzeugen, es sei nicht alles schlecht gewesen in der DDR, faszinieren Wamser. "Die Vergangenheit wird gerne verklärt. Mit Blick auf die Rechtsstaatlichkeit hatte die DDR eine katastrophale Geschichte." Umso positiver findet er es, dass eine eigene Behörde immer noch mit der Aufarbeitung der Stasi-Akten und den damit verbundenen Verbrechen betraut ist.

    Doch nach Ansicht von Wamser wurden bei der Wiedervereinigung auch Fehler gemacht. "Ich glaube, es gibt in den östlichen Bundesländern viele verletzte Seelen, die sich nicht mitgenommen gefühlt haben." Die Angleichung der Löhne und Renten sei beispielsweise längst überfällig. "Ich verstehe nicht, warum das bis heute nicht gelungen ist", sagt Wamser.

    Europäische Identität überdeckt eine Unterteilung in Ost und West

    Erst 18 Jahre alt, aber schon sehr klar in seinen Gedanken, ist Max-Philipp Böhler. Er ist der Enkel der ehemaligen dritten Bürgermeisterin von Neusäß, Erika Böhler. Sie war Vorsitzende des Partnerschaftsvereins von Neusäß und Markkleeberg, einer Vorstadt von Leipzig. Für den jungen Mann ist klar: "Ich unterscheide nicht in Ost oder West. Für mich ist alles eins." Am St. Stephan-Gymnasium in Augsburg, seiner ehemaligen Schule, wurde kaum über die DDR gesprochen. "Leider", wie Böhler sagt.

    Er sei in Italien aufgewachsen, blicke deshalb mit einer europäischen Identität auf die Geschehnisse der Welt. Vor einigen Jahren habe er mit seiner Familie die Neusäßer Partnerstadt besucht. "Da habe ich alles aber noch sehr kindlich gesehen", meint Böhler. Das hat sich geändert, bald fängt er ein Medizinstudium an.

    Funktioniert ein System wie in der DDR heutzutage noch?

    Zurück zum Anfang. Ob René Rottmair glaubt, dass solch ein System wie in der DDR irgendwann nochmal funktionieren kann? Nein. "Den Leuten hat es gefallen, gleichgestellt zu sein, alle bekamen dasselbe. Das ist aber nicht mehr möglich. Selbst wenn man sämtliche Mittel unter allen verteilt, gäbe es nach zehn Minuten wieder Reiche und Arme"", meint der angehende Student. Immerhin kann Rottmair dazu beitragen, nachfolgende Generationen mit dem Thema vertraut zu machen. Er möchte Lehrer werden.

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